Über Geld spricht man nicht, sagt ein Sprichwort. Mareice Kaiser hat es dennoch getan: In ihrem Buch „Wie viel – Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht“ erzählt die Journalistin und Autorin ihre eigene Geldgeschichte und die von Menschen, mit denen sie für ihr Buch über Geld gesprochen hat. Im Interview erklärt sie, was Geld für sie ist und warum es aus ihrer Sicht an Verteilungsgerechtigkeit mangelt – auch in der Arbeitswelt.

„Ich betrachte Geld nicht als individuelle Ressource, sondern als gemeinschaftliche.“

herCAREER: Mareice, Du hast Dich für Dein Buch auf verschiedenen Ebenen mit Geld beschäftigt. Was ist das nun eigentlich, Geld?

Mareice Kaiser: Geld ist sowas wie eine Sprache, die wir sehr früh lernen. Schon als Kinder verstehen wir, dass Geld ein Tauschmittel ist. Ich gebe Geld und bekomme etwas dafür. Und: Da wir im Kapitalismus leben, bemessen wir auch unseren Wert oft in Geld.

herCAREER: Über Geld spricht man nicht. Das ist nicht nur ein Spruch, sondern viele Menschen haben diese Haltung verinnerlicht. Warum sollten wir das Geld-Tabu aufbrechen?

Wir sprechen nur oberflächlich über Geld, aber eigentlich ist es ständig da. Welche Klamotten tragen wir, welche Schuhe, welche Taschen? Wir erkennen Geld überall, aber wir machen es nicht zum Thema. Wir sollten es aber zum Thema machen, weil dadurch klar wird: Geld ist nicht für alle gleich zugänglich. Die Erzählung, mit der wir aufwachsen, ist: Du kannst alles schaffen, wenn Du Dich nur hart genug anstrengst. Das stimmt aber nicht. Um das zu sehen, müssen wir über Geld und Zugänge zu Geld sprechen.

herCAREER: Geld bedeutet Macht, aber auch Freiheiten und Möglichkeiten. Wann hast Du Dinge nicht tun können, weil Du das Geld nicht dafür hattest?

Ich bin in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, mit zwei Geschwistern und wenig Geld. Es gab einiges, was wir uns nicht leisten konnten. Urlaub als Familie zum Beispiel. Und ich wollte studieren, konnte es mir aber nicht leisten. Seitdem ich 18 bin, stehe ich finanziell auf eigenen Beinen – das hat mal besser, mal schlechter geklappt. Um Geld zu verdienen, habe ich eine Ausbildung als Mediengestalterin gemacht, dann mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg geschafft und irgendwann den Quereinstieg in den Journalismus. Die Leute, mit denen ich in den Medien arbeite, haben zu 99 Prozent andere Lebensläufe. Sie haben meist Eltern, die selbst studiert haben – und damit einen vorgezeichneten Lebenslauf, der auch ein Studium vorsieht. Aber es ist auch nicht nur das fehlende Studium. Ich wollte zum Beispiel immer Gesangsunterricht haben, aber das hat nicht geklappt – aus finanziellen Gründen und weil meine Eltern mich hätten fahren müssen. Ein Bus fuhr bei uns im Dorf nur morgens zur Schule und nachmittags wieder zurück. Irgendwann Mitte 20 habe ich dann Gesangsunterricht genommen und die Gesangslehrerin sagte mir in der dritten Stunde: „Wärst du mal früher gekommen! Aus dir hätte eine Opernsängerin werden können.“

herCAREER: Wie viel Geld ist aus Deiner Sicht genug und wie viel zu viel?

Genug Geld ist da, wenn es für alle reicht. Ich betrachte Geld nicht als individuelle Ressource, sondern als gemeinschaftliche. Deshalb bin ich ein großer Fan von Umverteilungskonten. In den 1990er Jahren haben das zum Beispiel die Prolo-Lesben vorgemacht: ein Konto, auf das alle einzahlen und von dem sich die Leute aber auch Geld nehmen können, wenn sie es gerade brauchen.

herCAREER: Was hast Du bei Deinen Gesprächen über Geld und den Recherchen zu Deinem Buch erfahren, was das Gefühl von Armut oder Reichtum mit Menschen macht?

Je weniger Geld die Menschen hatten, desto weniger Ansprüche hatten sie. Ein Rentner, der nur mit Pfandflaschensammeln über die Runden kommt, sagte mir: „Ich habe genug“. Während der Multimillionär noch eine Villa bauen will. Außerdem macht Geld klein und groß. Damit meine ich das Selbstwertgefühl.

herCAREER: Vor allem Frauen sind von Armut betroffen. Wie erklärst Du Dir das?

Dazu gibt es viele Zahlen und Statistiken. Frauen übernehmen weiterhin mehrheitlich die unbezahlte oder schlecht bezahlte Care-Arbeit. Dadurch entstehen viele Geld-Lücken und am Ende Altersarmut, von der Frauen überproportional betroffen sind. Unsere Arbeitswelt wurde von Männern für Männer gestaltet, die keine Care-Arbeit leisten müssen. Deshalb spüren Frauen eigentlich an jeder Ecke, dass es hakt.

herCAREER: Was hat Geld mit Status zu tun – den richtigen Codes, der richtigen Sprache, um beruflich aufzusteigen und die bestbezahltesten Jobs zu bekommen – und wie hast Du das persönlich erlebt im Job erlebt?

Ich merke immer wieder, dass ich anders bin als die meisten, mit denen ich in einer Branche arbeite. Dass ich aus anderen Verhältnissen komme als viele andere Journalist:innen und Autor:innen, die aus akademischen Familien stammen. Lange habe ich mich dafür geschämt und geschauspielert. Erst seit meiner Entdeckung des Begriffs Klassismus und meiner Arbeit an meinem Buch „Wie Viel“ hat sich das verändert. Und ich habe festgestellt: Meine Herkunft ist auch eine Chance für meinen Journalismus. Ich spreche mit Menschen anders, durch meine Lebenserfahrung bin ich auf Augenhöhe mit meinen Gesprächspartner:innen. Bei anderen Journalist:innen beobachte ich oft sowas wie eine Bildungsarroganz. Ihr Standpunkt ist der einzig richtige. Diese Haltung ist einer der Gründe, aus denen das Vertrauen in den Journalismus gelitten hat. Denn in den Redaktionen sitzen vor allem weiße cis-Männer mit Studium.

herCAREER: Du hast für Dein Buch mit verschiedenen Menschen gesprochen, die verschieden arm, reich oder dazwischen sind. Welche Begegnung war dabei für Dich am eindrücklichsten?

Die großen Unterschiede, die manchmal so unmittelbar nebeneinander leben, das hat mich sehr bewegt. An einem Tag war ich bei einem Rentner, der von Armut betroffen ist und keine funktionierende Heizung bei sich zu Hause hatte. Am nächsten Tag bei einem Multimillionär mit Fußbodenheizung in seiner Villa. Diese ungerechte Verteilung von Ressourcen war mir schon vorher bewusst, aber es ist nochmal was anderes, wenn man es selbst an frierenden Händen oder warmen Füßen fühlt.

herCAREER: Vielen Frauen ist es unangenehm, wenn sie höhere Gehaltsforderungen stellen oder auf eine Beförderung drängen. Sollten sie ihre Zurückhaltung ablegen? Vor allem Finanzcoachings und Verhandlungstipps für Frauen suggerieren das gerne…

Schon Mädchen werden so erzogen: Sei lieb, sei brav, sei still, sei dankbar. Uns sagt als Kinder niemand: „Nimm dir, was du brauchst. Du bist mehr wert, hau mal ordentlich auf den Tisch.“ Dass wir so sozialisiert werden, hat Einfluss auf unser Leben, eben auch auf Gehaltsverhandlungen. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein und dagegen zu agieren. Finanzcoachings für Frauen sehe ich ambivalent, denn sie kosten ja Geld, sind also nur für einen eh schon privilegierten Teil von Frauen zugänglich. Finanzielle Ungerechtigkeiten werden dadurch nicht nachhaltig verändert. Dafür braucht es mehr als ein paar Frauen, die jetzt wissen, wie das mit den Aktien funktioniert. Es geht eher darum, Geld für alle zugänglich zu machen. Und zwar gerecht verteilt. Wie das konkret aussieht, darüber würde ich gern als Gesellschaft sprechen. Vielleicht ist es ein Einheitslohn? Oder einer, der Care-Arbeit extra bezahlt? Darüber sollten wir alle sprechen.

herCAREER: Wie kann man aus Deiner Sicht eine Veränderung im Umgang mit Geld herbeiführen und wo sollte man ansetzen?

Auf jeden Fall braucht es politische, strukturelle Veränderungen. Zum Beispiel eine Abschaffung des Ehegattensplittings, das ungerechte Finanzverteilung in Ehen bevorteilt. Sowas muss sich ändern. Kinderbetreuung, Bildungspolitik, Mindestlohn, überall dort braucht es Veränderungen. Gleichzeitig sehe ich Menschen mit Geld in der Verantwortung, offen über Geld zu sprechen und damit sichtbar zu machen, dass die Geldverteilung in Deutschland nicht gerecht ist. Alle Menschen mit Geld und Privilegien können etwas für mehr Verteilungsgerechtigkeit tun. Sie sind aber oft zu faul, denn ihnen geht es ja gut. Es gibt sehr, sehr wenig reiche Menschen, die sich für Verteilungsgerechtigkeit einsetzen. Geld macht zufrieden und faul, leider.

herCAREER: Du sagst, Du magst Geld nicht – hasst es sogar. Aber kann Geld doch auch manchmal glücklich machen?

Ich hasse Geld, das ist der Beginn meines Buchs. Am Ende sieht es ein bisschen anders aus. Und ich würde nicht unbedingt sagen, dass Geld immer glücklich macht. Aber kein Geld zu haben, das macht auf jeden Fall unglücklich.

herCAREER: Inwiefern ist es Dir mit Deinem Buch gelungen, das Geldtabu ein Stückweit aufzubrechen?

Bei meinen Lesungen sprechen wir sehr offen über Geld. An eine Lesung erinnere ich mich, da habe ich gesagt, dass es vielleicht gerechter zugehen würde, wenn wir immer offen über Geld sprechen würden. In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum hat sich eine Frau gemeldet, ihren Namen und ihr Alter gesagt und wie viel sie verdient. Alle Personen nach ihr haben das auch gemacht. Dadurch war eine ganz spezielle, tolle Stimmung im Raum. Eine Art von Verbundenheit.

Das Gespräch führte die freie Journalistin Stefanie Hornung.

Über die Person

Mareice Kaiser scrollt, schreibt und spricht zu Gerechtigkeitsthemen. Mit ihrem Essay „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ war sie für den Deutschen Reporter:innenpreis nominiert, ihr gleichnamiges Buch erschien 2021 im Rowohlt Verlag und landete direkt auf der Spiegel-Bestsellerliste. Im Herbst 2022 erschien ihr aktuelles Buch „Wie viel – Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht“, in dem sie ihre eigene Geldgeschichte erzählt und die von anderen Menschen – Menschen mit sehr wenig Geld, Menschen mit sehr viel Geld und Menschen dazwischen. „Dazwischen“, so beschreibt Mareice Kaiser auch ihre eigene soziale Verortung.

Am Donnerstag, 17.10.2024 spricht Mareice Kaiser auf der herCAREER Expo beim Podcast-MeetUp über ihre Erfahrungen mit Geld und die Geldgeschichten der anderen, die sie bei ihrer Buchrecherche erlebt hat – mit Verena Lammert, Journalistin und Gründerin der Kooperative W. Ort und Zeitpunkt findest Du im Programm.