Ein Erfahrungsbericht aus dem Alltag einer Unternehmensberaterin, der mit Klischees aufräumt und dafür die weiblichen Vorteile im beruflichen Alltag aufzeigt. Arbeiten wir bis spät Nachts (manchmal, selten, niemals), sammeln Flugmeilen und Hotelpunkte (schon mal gefragt wofür), (k)leben am Telefon (warum habe ich sogar zwei!), liefern dem Kunden Lösungen, die keiner versteht (oder will Frau lieber das Problem zurück) und verdienen wir wirklich mehr Geld als wir ausgeben können… Oder nicht, oder vielleicht anders, oder ist es nicht von Vorteil dass Frau auch einmal mit den Klischees aufräumt?
Wenn das die Lösung ist, dann will ich mein Problem zurück…
herCAREER: Consulting 2018: Dauerhaft auf Reisen, arbeiten bis spät in die Nacht, nicht lösungsorientierte Lösungen – Klischees oder Realität? Wie sieht Beratung tatsächlich in der heutigen Zeit aus?
In einem Teil der Klischees und Vorurteile steckt vermutlich schon noch ein Fünkchen Wahrheit. Allerdings denke ich, dass dies auch stark davon abhängig ist, in welcher Beratung man arbeitet. Zudem ist aktuell vieles im Umbruch. Ich arbeite seit 12 Jahren bei KPMG und aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass sich in dieser Zeit viel verändert hat – und deshalb auch viele Klischees nichts mehr mit der Arbeitsrealität zu tun haben. Die Gründe dafür lassen sich zum einen in der Markt- und Geschäftsentwicklung finden, zum anderen aber auch in unserem wichtigsten Gut, unseren Mitarbeitern.
Als Prüfungs- und Beratungsunternehmen unterliegen wir wie andere Firmen auch einem hohen Wettbewerbs und Kostendruck. Man kann sagen, dass die Zeiten der Spitzen-Stundensätze vorbei sind – sofern es sie denn überhaupt einmal gegeben hat. Heute verhandeln wir mit unseren Kunden häufig feste Tagessätze, unabhängig davon, wieviel Stunden unser Arbeitstag dann tatsächlich hat oder wie hoch die Reisekosten der Mitarbeiter dafür sind. Wirtschaftlich ist es für uns daher sehr wichtig, dass wir Projekte stringent und effizient steuern, nicht bis spät in die Nacht arbeiten oder wie verrückt durch die Weltgeschichte reisen. Mein Motto lautet: Wenn meine Mitarbeiter und ich bis nachts arbeiten müssen oder mehr Zeit im Flugzeug verbringen als an unserem Arbeitsplatz, dann habe ich das Projekt falsch aufgesetzt!
Andererseits vollzieht sich zurzeit auch ein großer Wandel in der Personalkultur. Als Unternehmen müssen wir kontinuierlich daran arbeiten, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Denn die Werte und Priorisierungen der neuen, jungen Generation am Arbeitsmarkt sind oft nicht mehr ausschließlich finanziell getrieben. Karriere wird zwar als wünschenswert erachtet, ihr wird aber nicht mehr alles andere untergeordnet. Mitarbeiter fordern viel mehr Flexibilität von ihrem Arbeitgeber, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, möchten Neues und Herausforderndes lernen, sich weiterentwickeln oder gerne auch Auslandserfahrung sammeln. Außerdem ist es vielen sehr wichtig, sich ausreichend Zeit für das Private zu nehmen. Dinge wie eine großzügige Elternzeit, eine Auszeit, um zu reisen oder noch einmal studieren oder promovieren zu können – dies sollte ein attraktiver Arbeitgeber möglich machen. Wenn wir ein solcher mit motivierten, sehr gut ausgebildeten Mitarbeitern sein wollen, dann müssen wir auch den heutigen Ansprüchen am Arbeitsmarkt gerecht werden. Ich denke, genau diese Ansprüche spiegeln sich heute bei uns in der Beratung bereits sehr deutlich wider.
Neben sehr flexiblen Arbeitszeitmodellen gibt es allein in meinem Mitarbeiterumfeld eine Fülle an unterschiedlichsten Beispielen von Auszeiten, Elternzeiten, Secondments, Weiterbildung oder längeren Urlauben. All das fügt sich problemlos in unseren Projektalltag ein und unsere Mitarbeiter sind hoch motiviert und leisten exzellente Arbeit für KPMG. Darüber hinaus achte ich selbst auch sehr genau darauf, dass meine Mitarbeiter ihre Arbeitszeit effizient steuern, und Nachtschichten gibt es bei uns sowieso nur in ganz seltenen Fällen, also nur wenn es unbedingt notwendig ist und dann auch meistens mit mir gemeinsam. Wir bestellen dann einfach Pizza und ziehen unser Vorhaben gemeinsam durch. Diese Zeit wird später aber wieder durch Freizeit ausgeglichen und man kann an einem Freitag auch mal um 15 Uhr ins Wochenende starten.
Und was das Reisen anbelangt: Wenn man an einem Standort wie zum Beispiel Leipzig oder Berlin wohnt und in der Beratung auf Banken spezialisiert ist, dann wird man vermutlich sehr viel mehr reisen müssen als der Kollege, der in Frankfurt wohnt. Ich glaube dies liegt in der Natur der Sache. Wobei ich schon ein paarmal versucht habe, meinen Frankfurter Kunden davon zu überzeugen, seinen Standort nach München zu verlegen. Aber komischerweise wollte er das nicht. Nun gut :-)
Was ich damit sagen möchte: Beratung ist ein projektgetriebenes Geschäft und wir arbeiten ausschließlich auf Projekten und überwiegend beim Kunden. Wenn der Kunde nun in einer anderen Stadt sitzt als dort wo man wohnt, wird man vermutlich ein paar Nächte im Hotel verbringen müssen. Wir versuchen aber, die Mitarbeiter möglichst standortbezogen einzusetzen, und planen unseren Personalbedarf auch entsprechend nach Marktbedarf an den richtigen Standorten. Aber Beratung wird meines Erachtens nach immer eine Tätigkeit bleiben, in der das Reisen einen Anteil hat. Insbesondere am Anfang einer Beraterkarriere ist Reisen ein großer Bestandteil und gehört natürlich auch dazu, wenn man schnell und viel lernen möchte. Aber wir berücksichtigen heute immer mehr den Wunsch unserer Mitarbeiter, in bestimmten Lebensphasen weniger reisen zu müssen, beispielsweise um mehr Zeit für die Familie zu haben. Ich denke KPMG hat es gut im Griff, den Mitarbeitern eine Work-Life-Balance zu ermöglichen und ihnen die Flexibilität, die wir von ihnen fordern, auch zurückzugeben. Normalerweise ist man höchstens drei Nächte in der Woche unterwegs, ausschließlich zu Regelarbeitszeiten und niemals am Wochenende. Man muss aber auch deutlich sagen, dass sich das Familien- und Privatleben bei einem Berater stärker auf das Wochenende konzentriert und ein Fußballtraining am Dienstagabend wird man vermutlich auf den Freitag legen müssen – oder alternativ mit den Kollegen vor dem Hotel ein wenig kicken.
herCAREER: Tolle Bezahlung versus Work-Life-Balance – wie finden Unternehmensberater den für sich richtigen Weg?
KPMG ist ein Arbeitgeber, bei dem die Arbeitszeit auf Vertrauen basiert – was große Eigenverantwortung bedeutet. Bei uns geht es nicht darum, wer als Letzter das Licht ausmacht und es morgens möglichst vor den anderen Kollegen wieder einschaltet. Bei uns geht es darum, einen guten Job zu machen und dabei seine Arbeitszeit im Griff zu haben. Ich vertraue meinen Mitarbeitern, wenn sie mir sagen, dass sie um 18 Uhr unbedingt noch eine Stunde brauchen, um etwas fertig zu bekommen, und dies auf keinen Fall am nächsten Tag erledigt werden kann. Wie ich auch meinen Mitarbeitern vertraue, wenn sie um 17 Uhr nach Hause gehen oder erst um 10 Uhr starten. Ich denke, jeder soll und muss sein Arbeitsvolumen selbstständig steuern – und wann er es erledigt. Wenn es hier einmal unterschiedliche Ansichten gibt, ist es wichtig, offen und ehrlich darüber zu sprechen und gemeinsam einen Weg zu finden. Ich selbst fange sehr gerne vor 9 Uhr an und allerspätestens nach 19 Uhr ist mit mir nur noch sehr wenig anzufangen. Wenn aber ein Mitarbeiter sagt, er macht morgens lieber Sport und startet erst um 9.30 Uhr, und arbeitet dafür abends etwas länger, dann ist das für mich in Ordnung. Solange es das Projekt zulässt, was für gewöhnlich gut möglich ist, sollte jeder Unternehmensberater seine beziehungsweise ihre Balance finden, artikulieren, abstimmen und dann auch gerne umsetzen.
Was die Bezahlung anbelangt: KPMG bezahlt für eine 40-Stunden-Woche ein sehr ordentliches Gehalt und wir preisen hier weder Überstunden noch Wochenendarbeit ein. Denn wir sind ein Arbeitgeber bei dem Überstunden 1:1 vergütet werden. Jede Überstunde wird entsprechend erfasst und kann in Freizeit oder eine zusätzliche Gehaltskomponente umgewandelt werden, was für das Unternehmen allerdings Extraausgaben bedeutet. Deshalb haben wir wirtschaftlich nur wenig Interesse daran, dass unsere Mitarbeiter unnötig viele Überstunden leisten. Deshalb fokussieren wir uns auf das Wesentliche, nämlich die Qualität der Arbeit selbst. Ich denke, ein solches System ist absolut fair, offen und transparent und fördert aktiv die Verantwortung für eigene Work-Life-Balance.
Was ich an KPMG zudem attraktiv finde: Wir zahlen zusätzlich zum Festgehalt eine variable Vergütung, die – auch abhängig vom Erfolg der Firma – eine individuelle monetäre Leistung für jeden Einzelnen darstellt. Wer besonders gute Arbeit erbringt, wird auch besonders vergütet.
herCAREER: Was ist Ihr persönlicher Top-Tipp für Frauen in der Beratung? Wie holen sie das Beste aus dem Job für sich persönlich heraus?
Ich bekomme sehr oft diese oder ähnliche Fragen gestellt – meine Antwort bleibt eigentlich immer gleich: Wir Frauen müssen uns mehr (zu)trauen! Ich denke, wir sollten sehr viel mehr Mut und Selbstbewusstsein zeigen, wenn es darum geht, das Beste aus unserer Tätigkeit für uns persönlich herauszuholen. Denn für gewöhnlich machen wir alle einen hervorragenden Job, sind hoch effizient und gut darin, viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Warum lassen wir uns dabei manchmal von äußeren Einflüssen oder Meinungen irritieren, ohne erst einmal zu probieren, ob unser Weg nicht auch funktioniert? Ich kann nur raten, möglichst viel auszuprobieren und dabei selbst einen Weg zu finden, der für Frau und Privates persönlich und beruflich passt. Ich bin davon überzeugt, wenn Frau einen Weg für sich gefunden hat, der ihr gefällt und den richtigen Ausgleich für sie schafft, dann ist sie auch im Job erfolgreich!
herCAREER: Auf der herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartnerinnen aufsetzt. Zu welchen Themen können Sie im Vorfeld / auf der Messe / im Nachgang als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?
- Ein Job in der Unternehmensberatung, Wirtschaftsprüfung oder Steuerberatung
- Beratung im Bereich Financial Services und aktuelle Trends am Markt
Über die Person
Andrea Kemmer ist gebürtige Münchnerin, dort aufgewachsen, studiert und lebt auch in München. Sie hat im Jahr 2006 ihr Studium als Diplom-Wirtschaftsingenieur an der Hochschule München mit Schwerpunkt Informationstechnologie abgeschlossen und ist im Anschluss (April 2006) bei KPMG als Associate im Bereich Consulting Financial Services eingestiegen. Sie ist 2010 zum Manager mit Prokura befördert worden und seit 2016 Partner bei KPMG in München. Sie berät seit mehr als 12 Jahren im Bereich Financial Services insbesondere Banken rund um regulatorische Themen und fokussiert sich dabei besonders auf externes und internes Reporting. Im Laufe ihrer Karriere hat sie außerdem zwei Auslandsaufenthalte für KPMG absolviert und war jeweils ein Jahr in London beschäftigt.
Das MeetUp war Teil der Karriere-MeetUps bei der herCAREER 2018.