„Sollten die meisten Menschen Kinder haben?“ Eine etwas merkwürdige Frage, die das Meinungsforschungsinstitut Ipsos da gestellt hat. Die Befragung ergab: In Deutschland bejahten fast zwei Drittel der Männer (59%) die Frage; bei den Frauen war es nur ein Drittel (33%).

„Expertinnen sehen eine entscheidende Ursache für die unterschiedlichen Antworten darin, dass Kinder noch immer eher zulasten der Frau gehen. Für Männer verändere sich zwar durch die Geburt eines Kindes grundsätzlich auch sehr viel, wesentliche Grundfeste ihres Lebens blieben aber oft stabiler als bei den meisten Frauen“, heißt es in der Pressemeldung.

Von kinderlosen Frauen sei oft zu hören, dass sie sich sorgten, die „Aufgabe Kind“ nicht bewältigen zu können – zumal wenn sie im Bekanntenkreis die immense Überforderung junger Mütter sähen. Die gesellschaftlichen Erwartungen und die Rahmenbedingungen machten es Frauen schwer, den Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben mit dem Wunsch nach Kindern unter einen Hut zu bringen. „Egal, wie Frau es macht, sie macht es verkehrt – und den Begriff ‚Rabenmutter‘ gibt es nur bei uns“, so die Kölner Psychologin Petra Jagow.

Über Rahmenbedingungen und Rollenverteilungen sprachen auf der herCAREER und im Interview die Autorinnen Patricia Cammarata („Raus aus der Mental-Load-Falle“, „Musterbruch. Überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung“) und Anne Theiss-Berlinger („Die Abwertung der Mütter“).

„Zwei Menschen entscheiden sich gemeinsam für eine Familie. Dann können auch die Belastungen so aufgeteilt werden, dass es gerecht ist“, so Cammarata. „Wir wissen aus der Forschung, dass wir mit großer Zuversicht, was Gleichberechtigung angeht, in die Familiengründung gehen. Dann rutscht man schrittweise über Monate und Jahre in eine klassischere Rollenverteilung hinein. (…)Die große Kunst ist, so banal es klingt, im Vorfeld zu planen. Die Verteilung der Elternzeit gehört dazu, aber auch: Wie sieht die restliche Sorgearbeit aus?“ Davon leisteten in der Rushhour des Lebens Frauen 111% mehr als Männer.

Theiss plädiert dafür, auch Unternehmen „in der Gleichstellungsfrage mitzunehmen und ihnen klarzumachen, dass sie nicht auf das Potential von Müttern verzichten können. (…) Wie selbstverständlich wird jungen Frauen heute mitgegeben: Du kannst alles haben. Und dann werden sie Mutter und es wird nicht nur wirtschaftlich schwieriger, dabei zu bleiben, wie man möchte, sondern auch sozial.“ Der soziale Druck sei in Deutschland besonders hoch.

Dazu passt ein weiteres Ergebnis der IPSOS-Umfrage: Im europäischen Durchschnitt meinten nur 53% der Männer, dass die meisten Leute Kinder haben sollten, bei den Frauen waren es 39%.

Theiss wünscht sich mehr Verständnis für die individuellen Lebenswege von Frauen. Und dass Frauen zusammenhalten angesichts von Bestrebungen, alte Rollenbilder wieder in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. „Es ist immer besser, selbstbewusst, befreit von jeglichen Normen den eigenen Weg zu gehen.“

herVIEW - Natascha Hoffner

Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
veröffentlicht bei LinkedIn 13.11.2024