Zahlreiche Studien zeigen: Gründungs- und Führungserfolg ist keine Frage des Geschlechts, sondern von passenden Kompetenz- und Persönlichkeitsausprägungen. Erkenntnisse wie diese sind zumeist leider weder Investoren:innen, noch Gründer:innen bekannt. Dabei können sie eine wertvolle Orientierungshilfe bieten: Welche Persönlichkeitsausprägungen zeichnen uns aus, führen zu welchen Verhaltensweisen und sind förderlich für späteren Gründungs- und Führungserfolg? Solche Einblicke im MeetUp tun idealerweise beides: Sie stärken die Akzeptanz unserer eigenen persönlichen Bedürfnisse und Ziele und bieten zugleich eine Alternative für verzerrte geschlechterbasierte Entscheidungskriterien.
„Zwischen männlichen und weiblichen Gründern oder Gründer-Teams bestehen keine Leistungsunterschiede“
herCAREER: Warum sind Gründungs- und Führungserfolg keine Frage des Geschlechts, sondern von passenden Kompetenz- und Persönlichkeitsausprägungen?
Gräfin von Bernstorff: Zahlreiche Studien zeigen, dass zwischen männlichen und weiblichen Gründern oder Gründer-Teams keine Leistungsunterschiede bestehen, z. B. wenn es um Umsatz- oder Wachstumszielerreichung geht. Einige Studien weisen darauf hin, dass gerade gemischte Teams besonders erfolgreich arbeiten. Wir finden solche Effekte auch in zahlreichen anderen Kontexten der Personalauswahl. Stattdessen zeigen diverse Studien seit Langem, dass Fähigkeiten und Bedürfnisse wie Persönlichkeitsmerkmale sehr wohl Aufschluss darüber geben, wie erfolgreich Menschen in ihrem Job sind, wie gern sie das tun, was sie tun oder welches Stresslevel Personen bevorzugen oder auch, wie häufig und gern sie den Job wechseln oder einen Aufstieg anstreben.
herCAREER: Wie können diese eine wertvolle Orientierungshilfe bieten?
Gräfin von Bernstorff: Wenn ich als Gründer oder Gründerin weiß oder noch mehr Insights darüber erhalte, welche Persönlichkeitsausprägungen mich auszeichnen, wie sie mein Verhalten im Job oder in der Zusammenarbeit mit anderen beeinflussen, kann ich das nutzen. Im Grunde geht es doch immer zunächst darum zu wissen, wer ich bin, was ich eigentlich will und wo ich bisher vielleicht noch nicht im Einklang mit meinen Bedürfnissen handele. Das trifft sicher in besonderer Weise auf Frauen zu, deren Bedürfnisse historisch, politisch oder familiär gesehen lange Zeit stark von außen bestimmt waren. Die Frage, was ich als Frau oder Gründerin möchte, erhält nun zunehmenden Stellenwert, aber das heißt nicht, dass ich auch schon Antworten darauf weiß. So können gezielte Kenntnisse zu meinem Persönlichkeitsprofil extrem hilfreich bei meiner beruflichen (im Übrigen auch persönlichen oder privaten) Orientierung sein. Das hilft auch ganz konkret bei bestimmten Fragen: Wie stelle ich mich auf, gründe ich allein oder gemeinsam, nachhaltig oder wachstumsgetrieben, beantrage ich einen Kredit und wenn ja, wo? An welche Art von Investor/in wende ich mich, wie präsentiere ich mich, wie netzwerke ich, wie führe ich, wer könnte mich als Mentor unterstützen usw.?
herCAREER: Wie können wir unsere eigenen persönlichen Bedürfnisse und Ziele besser akzeptieren?
Gräfin von Bernstorff: Zunächst einmal: Es gibt diverse Frauen und Männer, die ihre Bedürfnisse und Ziele gut im Blick haben und danach handeln. Hier entsteht dann gar keine große innere Diskrepanz, und diese Personen werden im Allgemeinen eher eine hohe persönliche Zufriedenheit erleben.
Schwierig, aber auch interessant wird es ja vereinfacht gesagt erst dann, wenn das, was ich (häufig) tue, nicht im Einklang mit dem steht, was ich möchte und dadurch ein persönlicher Leidensdruck entsteht. Wenn ich mir sicher bin, dass ich meinen persönlichen Bedürfnissen mehr Raum geben möchte (d. h. an bestimmten Stellen nicht mehr so weitermachen möchte wie bisher), muss ich etwas an denjenigen Verhaltensweisen ändern, die meine Bedürfnisse einschränken. Und die Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, sich selbst und die antrainierten Verhaltensmuster tatsächlich ehrlich zu hinterfragen. Zum Beispiel mit einem Partner, einer Partnerin, einem Freund, einer Kollegin oder einer/m guten Coach.
herCAREER: Welche Alternativen gibt es zu verzerrten geschlechterbasierten Entscheidungskriterien?
Gräfin von Bernstorff: Dafür müssen wir „einfach nur“ unsere im Allgemeinen so beliebte Intuition einschränken. Bauchgefühl ist super, wenn es um unsere persönlichen Entscheidungen geht, aber höchst fehleranfällig, wenn wir über die Persönlichkeit, die Karriere von anderen oder Investitionen in andere entscheiden. Insofern: Strukturierte, datengestützte Verfahren, die wissenschaftlich gesichert sind. Das heißt Verfahren, die nachweislich und transparent nach strengen wissenschaftlichen Maßstäben konzipiert wurden. Das sind dann Verfahren, die erstens. gut erforschte Kompetenzen wie bestimmte Fähigkeiten und die besagten Persönlichkeitsmerkmale zutreffend erfassen („Welche Kompetenzen interessieren mich denn überhaupt?“) und denen zweitens eine systematische und empirisch fundierte Anforderungsanalyse zugrunde liegt („wie hoch oder gering sollte denn die jeweilige Kompetenz ausgeprägt sein?“). Ergebnisse solcher Verfahren sollten dann drittens nachweislich eine tatsächliche datengestützte Prognose über den späteren Berufserfolg erlauben. Die geht dann weit über das verbreitete „Gefühl“ für den „hungrigen“ Gründer:in hinaus.
herCAREER: Auf der herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartnerinnen aufsetzt. Zu welchen Themen können Sie im Vorfeld / auf der Messe / im Nachgang als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?
- Gründerdiagnostik
- Personalpsychologie
- Persönlichkeitsdiagnostik
- Studien zu Gründungs- und Berufserfolg
herCAREER: Wie können oder möchten Sie kontaktiert werden?
Über die Person
Charlotte von Bernstorff ist Professorin für Personalpsychologie an der BSP-Business School Berlin und berät Unternehmen zur Optimierung und Digitalisierung von Personalauswahl- und -entwicklungsprozessen. Nach dem Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie und unterschiedlichen beruflichen Stationen im Personalbereich promovierte sie zu Effekten der Automatisierung für menschliches Erleben und Verhalten und forscht seitdem im Feld der sogenannten Predictive Analytics zur Qualität von datengestützten Personalentscheidungen und neuen Technologien in der Management- und Gründerdiagnostik. Ihr Ziel ist es, Studien mit unmittelbarer Relevanz für Personal- und Investitionsentscheidungen durchzuführen, wissenschaftliche Erkenntnisse gut verständlich zu kommunizieren und zu einer Verbreitung von fundierten Ansätzen und Vorgehensweisen in der Personaldiagnostik beizutragen.
Dieses MeetUp ist Teil der Expert-MeetUps bei der herCAREER 2021.