„Wenn man wissen will, was dem neuen CDU-Programm alles fehlt, muss man nur einen einzigen Namen nennen: Rita Süssmuth. Sie ist nicht einfach alte Dame, sie ist, immer noch, politische Kämpferin. Demnächst wird sie 87 Jahre alt; verglichen mit dem, was da im Entwurf eines neuen CDU-Grundsatzprogramms geboten wird, ist sie unglaublich jung, fantasievoll und modern“, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutsche Zeitung (€). Die frühere Ministerin und Bundestagsvizepräsidentin Süssmuth fürchte heute zu Recht einen „Rückfall hinter das Erreichte“.
Prantl: „Der Entwurf des neuen CDU-Parteiprogramms ist nicht einfach nur konservativ, er ist so altbacken, als sei er von Franz-Josef Wuermeling geschrieben worden“, dem ersten bundesdeutschen Familienminister (ab 1953); er warnte vor einer „totalen Gleichberechtigung“ – die könne nämlich bei der Zwangsarbeit für Frauen in Bergwerken enden.
Die „Familie als Keimzelle der Gesellschaft“ gelte im neuen Programmentwurf als Bestandteil der „Leitkultur“, schreibt Prantl. Das Wort Emanzipation tauche kein einziges Mal auf und das Wort Gleichberechtigung nur am Rande, „in laberndem Zusammenhang. Friedrich Merz, der Parteichef, mag womöglich dazu sagen, dass doch die Gleichberechtigung kein Problem mehr darstelle, weil sie schon erreicht sei. Schon die CDU-Fakten sagen anderes“ – z.B.: keine Frau in Spitzenposition, der Parteichef und Fraktionsvorsitzende ein Mann, ebenso der Generalsekretär; nicht einmal ein Viertel der Unions-Abgeordneten sind Frauen.
„Am 18. Dezember 1953, also vor genau siebzig Jahren, fällte das Bundesverfassungsgericht sein spektakuläres Urteil zur Gleichberechtigung. An diesem Tag ging von Karlsruhe der Befehl aus, den Gleichberechtigungsartikel 3 des Grundgesetzes wirklich ernst und nicht nur für ein schönes Sprüchlein zu nehmen.“ Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ war fünf Jahre vorher dank der Überzeugungskraft der Parlamentarischen Rätin Elisabeth Selbert (SPD) ins Grundgesetz geschrieben worden. Das BVG zwang den Gesetzgeber nun, ein Gleichberechtigungsgesetz zu formulieren, das dann 1958 erschien.
„Die Erfahrung lehrt: Grundgesetzliche Postulate helfen nichts, wenn sie nicht ins Alltagsrecht übersetzt werden. (…) Eine bloß formale Gleichbehandlung führt nicht zur Gleichberechtigung, wenn die formale Gleichbehandlung auf ungleiche Lebenssituationen von Männern und Frauen trifft. Daher müssen Frauenförderungsgesetze samt Quoten verabschiedet werden; daher müssen Paritätsgesetze dafür sorgen, dass der Frauenanteil in den Parlamenten steigt. Die Merz-CDU schlägt um solche Fragen einen großen Bogen. Rita Süssmuth indes wirbt für Parität mit all der Kraft, die sie noch hat. Es ist ihr letzter politischer Kampf. Mit der Sympathie ihres Parteichefs und ihres Generalsekretärs kann sie dabei nicht rechnen; die haben sich in der Vergangenheit eingerichtet.“
Ein Beitrag von herCAREER,
veröffentlicht bei LinkedIn 19.12.2023