Nach Rammstein: Die Süddeutsche Zeitung sprach mit der Psychologin Sandra Konrad, Autorin des Buches „Das beherrschte Geschlecht“.
Warum Frauen auf Backstage-Partys gehen und anschließend Übergriffe beklagen? In solche Fragen sei das „victim blaming“ schon eingebaut, sagt Konrad. Man fokussiere sich auf ein vermeintliches Fehlverhalten der Opfer und schiebe ihnen die Verantwortung zu. „Frauen sollen für ihre Sicherheit sorgen, indem sie ihre Freiheit und ihr Recht auf Selbstbestimmung einschränken.“
Warum Betroffene so lange nichts sagen? „Menschen schweigen nach traumatischen Erfahrungen oft, und zwar aus Ohnmacht über den erfahrenen Kontrollverlust“ – sowie aus Scham und Angst vor Schuldzuweisung.
Eine Rolle spiele auch, „dass Frauen immer wieder sehen, was anderen passiert, die über erlittene Übergriffe sprechen, und dass sie oft öffentlich gedemütigt werden.“ Wer noch nie sexuell belästigt wurde, könne kaum nachvollziehen, wie schockierend eine solche Situation sei und wie viel Überwindung es koste, sich zu wehren. So passiere es, dass „Frauen schweigen, auch wenn sie eigentlich schreien müssten vor Wut.“
Was ihnen helfen würde: „Andere Betroffene, die sich trauen, den Mund aufzumachen, und eine Gesellschaft, die sich schützend um sie stellt.“ Scham habe viel Macht über uns, so Konrad, denn sie „entzieht uns das Zusammengehörigkeitsgefühl zu unserer Gruppe (…). Wir Menschen brauchen Bindung, wir brauchen andere Menschen, bei denen wir uns sicher und wohl fühlen.“
Die jungen Frauen, die Konrad für ihr Buch interviewt hat, hielten sich alle für sexuell selbstbestimmt. Doch im längeren Gespräch stellte sich heraus, „wie penibel sie sich an Normen und Regeln halten und wie oft sie sich auf sexuelle Kontakte und Praktiken einlassen, die ihnen eigentlich nicht gefallen. Die Erkenntnis, dass Grenzen überschritten wurden, kam oft erst später.“
Denn „Frauen wachsen noch immer in einer Welt auf, in der es für sie wichtiger ist zu gefallen, als zu bestimmen. Und so ist es für viele oft nicht automatisch spürbar, was jetzt eigentlich ihr eigenes Bedürfnis ist. Ein starkes Machtgefälle macht es doppelt und dreifach schwierig.“
Konrad betont: „Wer mächtig ist, hat Verantwortung, und es ist egal, ob das in einem Unternehmen ist oder ob er ein Künstler ist.“ Was sie ermutigend findet: „Immerhin wird Machtmissbrauch heute anders hinterfragt als früher, und er kann aufgedeckt und auch verurteilt werden. Wer seine Macht missbraucht, ist heute nicht mehr so unangreifbar wie noch vor ein paar Jahren.“
Dazu passt, was ZEIT ONLINE berichtet: Nachdem die Anwälte von Till Lindemann rechtlich gegen Frauen vorgehen, die ihre Vorwürfe öffentlich machen, hat die Amadeu Antonio Stiftung bei betterplace.org eine Spendenaktion gestartet, um „die Machtverhältnisse auszugleichen“ und Betroffene u.a. bei Anwalts- und Prozesskosten zu unterstützen. Innerhalb weniger Tage wurden 675.000 € eingesammelt.
Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
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