Die Digitalisierung hält in allen Bereichen unseres Lebens Einzug, und so auch im Gesundheitswesen. Wie können digitale Tools und KI so eingesetzt werden, dass sie patientenorientiert, sicher und innovativ sind?
In dieser Live-Aufzeichnung von herCAREER wird deutlich: Dazu braucht es Daten, Daten, Daten.
Und der Fokus der Medizin muss sich von der Behandlung hin zur Prävention verschieben.
Was es dafür von Staat, Wirtschaft und Mediziner:innen noch braucht? Das wissen die drei Expertinnen aus Wissenschaft (Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Bettina Pfleiderer), Wirtschaft (Viktoria Prantauer) und Politik (Elisabeth Süß).
_
Hinweis: Frau Staatsministerin Gerlach konnte kurzfristig aufgrund der 2. und 3. Lesung des KHVVG im Bundestag bei der Podiumsdiskussion am 17.10.2024 nicht teilnehmen. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Elisabeth Süß, die spontan eingesprungen ist!
–
Die Expertinnen bringen in diesem Live-Gespräch, moderiert von Andrea Rexer, ihr Fachwissen und ihre persönlichen Erfahrungen ein. Sie diskutieren pragmatische Lösungsansätze und spannende Zukunftsvisionen, die unsere Gesundheit und Lebensqualität mittel- und langfristig verbessern werden.
Kernaussagen dieser Folge:
- Die Forschung generiert viel zu wenig gendersensible und intersektionale Daten.
- KI wird eine massive Bereicherung für Forschung, Prävention und Behandlung darstellen – sobald die Daten auch die gesamte Gesellschaft bzw. die zu untersuchende Bevölkerungsgruppe repräsentieren – und nicht nur den jungen, weißen Mann.
- Die deutsche Bevölkerung bzw. die Patient:innen legen großen Wert auf Datenschutz.
- Ihr Vertrauen in Künstliche Intelligenz muss wachsen, damit sie freiwillig ihre persönlichen Daten für eine bessere Behandlung aller teilen. Dafür müssen Data Science und Medizin vertrauenswürdige und anonyme Lösungen schaffen.
- Nur 40 Prozent der Frauen ab 50 Jahren nutzen die Brustkrebsfrüherkennung in Form einer Mammografie.
- Vorbeugen ist besser als heilen. Vorsorgeuntersuchungen müssen zur Routine werden.
Thema
Wissenschaft, Technik, Digitalisierung & Technologie | Female Body, Soul & Mental Health
Angaben zu den Diskutierenden
Elisabeth Süß ist seit Anfang 2024 Leiterin der Abteilung 5 „Prävention“ im Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention (StMGP). In der Vergangenheit war sie Landtagsbeauftragte des StMGP und Leiterin des Ministerbüros unter Staatsminister a.D. Klaus Holetschek.
Mit den Kolleginnen und Kollegen ihrer Abteilung setzt sie sich das Ziel, für jede und jeden Einzelnen in Bayern möglichst viele gesunde Lebensjahre zu erreichen. Dabei nimmt sie die Prävention, also Maßnahmen des Einzelnen, genauso in den Blick wie die Gesundheitsförderung, die Verbesserung der gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen der Gesellschaft.
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Bettina Pfleiderer ist Mutter von 2 erwachsenen Töchtern und arbeitet als Professorin und Leiterin der Forschungsgruppe Cognition & Gender an der Klinik für Radiologie des Universitätsklinikums Münster der Medizinischen Fakultät der Universität Münster. Sie studierte an 3 Universitäten: Mainz, Tübingen und Münster und ist sowohl promovierte Chemikerin als auch promovierte Ärztin. Sie arbeitete nach ihrer naturwissenschaftlichen Promotion für 5 Jahren in den USA an der Harvard Medical School am Massachusetts General Hospital (Radiologie) in Boston.
Sie ist international eine ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der geschlechtersensiblen Medizin, unterrichtet dieses Fach an der medizinischen Fakultät Münster und hat eine online Plattform zu geschlechtersensibler Medizin entwickelt. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Bekämpfung von häuslicher Gewalt und sie leitet von 2023-2026 das EU-Projekt VIPROM „Opferschutz in der Medizin“. Frauen in Führungspositionen ist weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit; sie hält Vorträge in der ganzen Welt zu diesen Themen und spricht in Podcasts darüber.
Bettina Pfleiderers Hobby ist die Musik. Sie spielt Violine in einem Kammerorchester und ist in der glücklichen Lage, dass sie Hobby und Lehre vereinigen kann: sie unterrichtet nämlich zudem das vorklinische Pflichtwahlfach: Medizin & Musik an der medizinischen Fakultät Münster.
Ehrenamtlich war und ist sie international in vielen Führungspositionen tätig: von 2016-2019 war sie Präsidentin des Weltärztinnenbundes, von 2021-2023 Vizepräsidentin der Europäischen Frauenlobby (EWL) in Brüssel – einer Dachorganisation für 2000 Frauenverbände in Europa – und seit 2023 ist sie Mitglied der W20 Delegation der EU. Die W20 ist eine offizielle Gruppe der G20, die sich mit der Gleichstellung der Geschlechter und wie man die Rolle von Frauen stärken kann, befasst. In der W20 arbeitet sie in einer Arbeitsgruppe mit, die sich damit beschäftigt wie man das Lebenswirklichkeiten von Frauen lokal nachhaltig verbessern kann.
National ist Bettina Pfleiderer Mentorin von jungen Ärztinnen und als Leiterin der Regionalgruppe des Deutschen Ärztinnenbundes aktiv und unterstützt Studierende an der Universität Münster als Vertrauensdozentin der Studienstiftung des Deutschen Volkes seit vielen Jahren. Für ihr Engagement und ihre Forschungstätigkeit erhielt Bettina Pfleiderer internationale und nationale Ehrungen; 2010 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Band
Viktoria Prantauer ist Expertin für digitale Gesundheit, unabhängige Patientenvertreterin und Beraterin für KI und Datentransformation bei Capgemini Invent. Sie setzt sich leidenschaftlich für eine patientenzentrierte Gesundheitsversorgung ein. Mit ihrer Erfahrung als Brustkrebsüberlebende und Gründerin von TheChiefPatientOfficer.com bringt sie eine einzigartige Perspektive in die Entwicklung und Umsetzung digitaler Gesundheitslösungen ein. Als gefragte Rednerin auf internationalen Konferenzen und Preisträgerin des Deutschen KI-Preises ist sie eine anerkannte Stimme für den verantwortungsvollen Umgang mit Gesundheitsdaten und die Förderung von Innovationen zum Wohle der Patienten. Ihr Fokus liegt auf der Etablierung vertrauensbasierter Datenökosysteme, die Patienten als gleichberechtigte Partner in ihre Versorgung einbinden und den Weg für eine daten- und KI-gestützte, personalisierte Medizin ebnen.
Angaben zur Moderator:in
Andrea Rexer leitete zuletzt die Unternehmenskommunikation der HypoVereinsbank, Tochter der UniCredit. Das Team deckt interne und externe Kommunikation, Social Media, Institutional Affairs und Cultural & Social Engagement ab.
Zuvor war Andrea Rexer jahrelang als Journalistin tätig, zuletzt als Ressortleiterin Unternehmen und Märkte beim Handelsblatt. Viele Jahre war sie für die Süddeutsche Zeitung tätig, zunächst als Korrespondentin und Büroleiterin in Frankfurt. Später leitete sie das Finanz-Team in der SZ-Zentrale in München und sie gestaltete zusätzlich mit viel Herzblut die Redaktion des Frauenwirtschaftsmagazins PLAN W. Das Magazin hat sich zum Ziel gesetzt, Frauen sichtbar zu machen, die exzellent sind in dem, was sie tun und so zu Vorbildern für andere werden. Sie hat mehrere Journalistenpreise gewonnen, u.a. dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik. Mit dem renommierten Burns-Stipendium arbeitete sie 2014 drei Monate für die kanadische Online-Plattform „The Tyee“ in Vancouver.
Nebenberuflich ist sie leidenschaftlich Mentorin für junge Talente uns sie hostet für die Wertekommission e.V. den Podcast „Werte und Leadership“, bei dem Persönlichkeiten aus allen gesellschaftlichen Bereichen über gelebte Werte sprechen und wann eine echte Haltung auch mal unbequem sein kann. Zudem moderiert sie Veranstaltungen in deutscher und englischer Sprache, war u.a. beim WebSummit in Lissabon, der weit größten Digitalkonferenz mit 60.000 Teilnehmern oder dem Wirtschaftsgipfel der SZ, dem Autogipfel des Handelsblatts auf der Bühne. 2017 hat sie im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahl eine Serie öffentlicher Debatten mit den Spitzenkandidaten der Parlamentsparteien in Wien moderiert. Zudem war sie mehrfach Gast in TV-Talkshows.
Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER Expo 2024 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.
[00:00:00] Bettina Pfleiderer: Ich würde mir wünschen, dass wir gar nicht mehr darüber reden müssen, dass wir geschlechtersensible Medizin brauchen. Also, wenn das so wäre, dass es so selbstverständlich ist, dass es Lehrstühle gibt für geschlechtersensible Medizin, dann wäre es für die Gesundheit wunderbar.
[00:00:28] Kristina Appel: Willkommen beim HerCareer Podcast. Du interessierst dich für aktuelle Diskurse aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, und das insbesondere aus einer weiblichen Perspektive? Vielleicht wünschst du dir persönliche Einblicke in den Arbeitsalltag von Menschen und Unternehmen, die sich dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel stellen? Dann bist du hier genau richtig. Die Digitalisierung hält Einzug in alle Bereiche unseres Lebens und so auch in den Gesundheitssektor. Wie können digitale Tools und KI so genutzt werden, dass sie patientenzentriert, sicher und innovativ sind? In dieser Liveaufnahme der HerCareer wird deutlich: Dafür braucht es Daten, Daten, Daten. Und: Der Fokus der Medizin muss von der Behandlung zur Prävention wechseln. Was können wir schon? Wo klemmt es noch? Und welche Rahmenbedingungen braucht die digitale Medizin? Die Journalistin Andrea Rexer moderiert das Gespräch zwischen drei Expertinnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
[00:01:33] Andrea Rexer: So, hallo und herzlich willkommen zu unserem letzten Panel. Mein Name ist Andrea Rexer:. Ich darf euch heute durch dieses Panel führen. Es geht um das Thema Gesundheitswesen. Wie bringen wir unser Gesundheitswesen in die Zukunft? Und zwar, deswegen sind wir hier, ganz spezifisch für Frauen. Ich darf an der erste Stelle die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach herzlich entschuldigen. Die Ministerin musste plötzlich nach Berlin. Aber wir haben einen wunderbaren Ersatz aus dem Ministerium, und zwar Elisabeth Süß. Sie leitet die Abteilung Prävention im Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention und war in der Vergangenheit Landtagsbeauftragte für das Ministerium und Leiterin des Ministerbüros unter Klaus Holetschek. Viktoria Prantauer ist eine Expertin für digitale Gesundheit. Sie ist unabhängige Patientenvertreterin und Beraterin für KI und Datentransformation bei Capgemini Invent. Sie steht, und sie wird es auch gleich noch erklären, für patientenzentrierte Gesundheitsversorgung. Sie ist außerdem Gründerin von TheChiefPatientOfficer.com. Und dann haben wir zu meiner sehr großen Freude Professor Bettina Pfleiderer. Sie hat noch viel mehr Professoren- und Doktortitel auf ihre Visitenkarte stehen. Sie ist auf jeden Fall Professorin und Leiterin der Forschungsgruppe Cognition and Gender an der Klinik für Radiologie des Universitätsklinikums Münster und der Medizinischen Fakultät der Uni Münster. Sie war unter anderem fünf Jahre in der Harvard Medical School am Massachusetts General Hospital für Radiologie in Boston und viele andere Stationen. Sie ist auf jeden Fall eine der ausgewiesenen Expertinnen global für das Thema geschlechtersensible Medizin. Deswegen bin ich ganz, ganz stolz, dass wir sie heute hier haben. Ich glaube, ihr nehmt alle von unseren drei Panelistinnen heute sehr, sehr viel mit. Als erstes möchte ich euch drei gerne fragen: Warum brennt ihr für das Thema Gesundheit? Wer möchte starten?
[00:03:19] Elisabeth Süß: Ich kann gerne anfangen, weil ohne Gesundheit ist das ganze Leben nichts. Das merkt man immer, wenn man krank ist, was man vermisst. Also Gesundheit ist eigentlich das Wichtigste, was wir haben. Ohne Gesundheit geht gar nichts.
[00:03:33] Viktoria Prantauer: Also bei mir ist das tatsächlich auch eine ganz persönliche Geschichte. Ich hatte 2019 eine Brustkrebserkrankung. So eine Erkrankung stellt natürlich einmal das Leben völlig auf den Kopf und man fängt stark an zu hinterfragen, mit was verbringt man so seine Zeit. In was investiert man seine Energie? Es hat bei mir so dieses große Bedürfnis ausgelöst, an dieser Transformation des Gesundheitswesens zu arbeiten. Aus dieser eigenen Patientenerfahrung raus habe ich natürlich die eine oder andere Schwachstelle erkannt und seither treibe ich das ganz entschlossen voran.
[00:04:12] Bettina Pfleiderer: Ja, für mich ist Gesundheit einfach, dass Menschen gut behandelt werden. Und dazu gehören tatsächlich Frauen, weil die Medizin hat eigentlich immer nur den männlichen Körper ganz lange bei Medikamenten, Studien und auch bei Symptomen etc. im Blick gehabt. Und mein Ziel ist, dass jetzt sozusagen beide Geschlechter, das heißt in dem Fall tatsächlich Frauengesundheit erhalten und Frauenkrankheiten auch verhindern. Deswegen geschlechtersensible Medizin. Dafür kämpfe ich seit Jahren.
[00:04:42] Andrea Rexer: Vielen Dank für den Einstieg. Viktoria, ich habe es eingangs schon kurz gesagt, du setzt dich ja für eine patientenzentrierte Medizin ein. Auch Prävention ist bei dir so ein ganz großes Thema. Wie kann denn – und du verknüpfst ja sehr schön Künstliche Intelligenz mit dem Thema Gesundheit – welche Rolle kann denn KI beim Thema Prävention hier helfen?
[00:05:06] Bettina Pfleiderer: Also die KI finde ich sehr wichtig, weil viele Sachen sind ja nicht schwarz-weiß, sondern es gibt Ausprägungen von Symptomen oder es gibt Ausprägungen, wenn Medikamente wirken und da braucht man eine KI, die hilft, die Daten zu suchen, die in einer ganz großen Datenmenge Zusammenhänge sieht, die einfach der Mensch nicht sehen kann. Und das ersetzt jetzt nicht den Arzt oder die Ärztin, aber ich finde, sie kann sehr gut helfen, dass wir schon mal auf dem richtigen Wege sind und sagen: Da müssen wir gucken. Und deswegen bin ich eine große Verfechterin, dass wir überhaupt einmal an diese Daten kommen, denn Deutschland tut sich da schwer. Das ist in anderen Ländern ganz anders. Wir kommen fast an keine Daten. Ich würde es lieben, wenn ich sage mal, an Daten käme von beispielsweise auch großen Krankenversicherern. Das ist total schwer in Deutschland. Aber man könnte so viel Gutes tun, weil man besser die Nebenwirkungsprofile rausfiltern könnte, weil man besser sehen könnte, welche Probleme liegen vor, welche Krankheiten, wann treten die auf? Und das ist ganz schwierig. Wenn man nur immer 20 oder 40 oder 100 Leute hat, da hätte man richtige Mengen. Und deswegen, ja, Verfechterin von künstlicher Intelligenz und Prävention.
[00:06:18] Andrea Rexer: Das hört sich gut an! Viktoria, du bist ja auf der Patientenseite. Jetzt sind natürlich viele Menschen, das wissen wir und Sie haben es gerade angesprochen, ja, sensibel, was die eigenen Daten angeht. Und gerade wenn es um Gesundheit geht oder auch, wenn es um Zyklusdaten geht, also wenn es um Frauengesundheit spezifisch geht. Es ist ja hochsensibel. Wie bewegst du dich in diesem Spannungsfeld? Wie ist deine Position dazu? Kann man trotzdem Daten auswerten, auch in so sensiblen Feldern? Auf was muss man achten?
[00:06:43] Viktoria Prantauer: Ja, ich denke, das ist ein Thema, was wirklich sehr stark bewegt. Und ich glaube auch zu Recht, wie in jeder Situation. Ich glaube, wir haben schon ein gutes Bild von den Chancen gehört, aber natürlich haben wir auch die Risiken auf der anderen Seite. Ich bin aber überzeugt, dass die Chancen überwiegen und wir haben auch Wege nach vorne, sage ich mal, um diese Sorgen auch aktiv anzugehen und zu adressieren. Es gibt diese, ich sag mal, rein aus aus technologischer Sicht Möglichkeit, also von von Anonymisierung der Daten bis Pseudonymisierung der Daten bis hin zur Erstellung von synthetischen Daten. Also ich sag mal so ein bisschen eine künstliche Kopie von Daten, die keinen Schluss mehr auf die Originale zulässt. Also es gibt da durchaus Möglichkeiten. Darüber hinaus kann das auch insofern gesteuert werden, dass man sich überlegt, wer hat unter welchen Bedingungen denn auch Zugriff auf die Daten. Und was für mich auch immer sehr wichtig ist, ist die Fragestellung hinzu. Und wenn das forschende Unternehmen zum Beispiel Zugriff hat auf die Daten, was kommt dann dabei für die Patienten raus? Diese Fragestellung, die fehlt mir manchmal. Ich verstehe und ich finde es auch gut, dass Unternehmen und Forschungseinrichtungen fordern, dass dieser Datenzugriff möglich wird. Was mir manchmal auch ein bisschen zu kurz kommt, ist eben die Überlegung, die dann danach folgt. Und wie schaffen wir es, dass das Gelernte wirklich zurückfließt in unser Allgemeinwissen und den Patienten auch zur Verfügung steht? Also das ist so dieser grundsätzliche Konflikt. Es gibt auch einige Ideen dazu, auch auf europäischer Ebene mit zum Beispiel den European Health Data Spaces, die erst mal die Infrastruktur schaffen wollen, das möglich zu machen. Und dann noch nachgelagerte Regularien wie der Data Governance Act, der ganz klar festlegt, es braucht einen neutralen Mittler dazwischen, der sicherstellt, dass alle Interessen auch wirklich gewahrt sind.
[00:08:48] Kristina Appel: Ganz kurz mal praktisch nachgefragt, Viktoria, wie würdest du jeder, der die jetzt hier sitzt, empfehlen, dass man Daten teilt in einer App, um dann selber was draus zu lernen? Oder wärst du da so wie es gerade ausgestaltet ist, in der Praxis noch vorsichtig?
[00:09:03] Viktoria Prantauer: Ich persönlich wiege sehr gut ab, wo ich meine Daten teile. Es lässt sich nicht immer vermeiden. Aber ich versuche schon drauf zu achten. Zum Beispiel: Wo sitzt jetzt das Unternehmen, das da auf meine Daten zugreifen möchte? Also, was manchmal so ein bisschen schwierig ist, wir können uns oft gar nicht vorstellen, welche Daten eigentlich Auskunft geben über unsere Gesundheit. Wenn ich gerade mal ein bekanntes Beispiel geben kann, das seit vielen Jahren immer wieder mal diskutiert wird: Der Facebook-Algorithmus erkennt anhand, wie man Text schreibt, ob eine Person in den nächsten Monaten wahrscheinlich eine Diagnose bekommt hinsichtlich Depression. Oder ich habe auch eine interessante Studie, die Daten von Loyalty Cards von Geschäften ausgewertet hat, und man erkannt hat, dass Frauen, die dann mit Eierstockkrebs diagnostiziert werden, einige Monate vorher angefangen haben, bestimmte Medikamente zu kaufen, eigentlich ja so gegen Bauchschmerzen, bisschen Übelkeit. Also keiner hätte das vermutet. Aber die Auswertung hat gezeigt, es geht in Richtung Eierstockkrebs. Und was ich damit sagen möchte: Als Individuum ist es extrem schwer einzuschätzen, wo gebe ich meine Daten hin? Ich bin daher schon ein großer Verfechter, dass das regulativ auch gesteuert wird, dass da nicht wild Daten von Menschen genutzt werden und damit im stillen Kämmerchen gemacht wird, was dem Unternehmen dann auch gerade so einfällt, sondern es braucht schon Recht und Ordnung und sauber reguliert.
[00:10:45] Bettina Pfleiderer: Ja, aber ich würde trotzdem noch ganz gerne, weil um das geht’s mir eigentlich gar nicht. Ich bin ja keine Firma, ich bin Professorin, ich bin Ärztin, und ich möchte Zugriff auf zum Beispiel eben Krankenkassendaten haben, um zu sehen: Weil wir wissen, dass Frauen grundsätzlich mehr Nebenwirkungen haben bei Medikamenten. Das weiß man. Und man weiß auch, das liegt daran, dass viele Medikamente ganz lange nur von jungen Männern getestet wurden. Wir sind aber keine jungen Männer. Und vor allem: Wann brauchen wir oft Medikamente? Das ist, wenn wir in die Wechseljahre kommen. Da brauchen Frauen Medikamente, da gibt es praktisch keine Daten, denn wenn die kreiert wurden, sind es dann junge Menschen. Und da möchte ich was erfahren, ich verdiene überhaupt nicht dran. Ich bin keine Firma, ich mache keine Medikamente. Mir geht es wirklich um eine bessere Prävention und Behandlung von Frauen. Aber die sind tatsächlich die, die am meisten an diesen Nebenwirkungen leiden. Und da würde es einfach helfen, weil es gar keine Studien gibt. Viele der alten Schmerzmittel, die wurden nie an Frauen getestet, die werden aber schon seit 40, 50 Jahren verschrieben. Neue Studien müssen es machen. Aber wir nehmen eben noch Aspirin und Paracetamol. Die sind schon uralt, da gibt es einfach noch wenig Frauendaten und da möchte ich einfach eine Lücke schließen, weil ich finde, dass jeder Mensch schon ein Recht hat, dass er eben Medikamente nimmt, von denen man weiß, was ist eine gute Dosis, was sind gefährliche Wege, welche Umstände machen es schwieriger? Auch wenn ich jetzt ein Medikament nehme und wenn man weiß, der Patient oder die Patientin nimmt ein bestimmtes Medikament und immer wenn sie das nimmt und nimmt das andere auch, dann gibt es Probleme und die wie kriege ich anders ehrlich gesagt kaum raus. Und darum geht es mir.
[00:12:29] Elisabeth Süß: Ich gebe Ihnen da recht, dass es da sicher noch Luft nach oben gibt. Aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, weil alleine durch diese ganzen Vorhaben, jetzt elektronische Patientenakte, der europäische Gesundheitsdatenraum, den Sie auch schon angesprochen hatten. Da sind jetzt wirklich Entwicklungen in Gange, wo man wirklich sagen kann, man hat erkannt, dass wir hier eine Datenschatz haben, den es zu heben gilt. Ich wäre da wirklich ein bisschen zuversichtlich, was die Zukunft angeht. Und wir haben ja es bereits geschafft für Krebserkrankungen, da gibt es ja das Krebsregistergesetz. Das ist so ein bisschen die Blaupause für das, wie es vielleicht auch für andere Erkrankungen mal laufen kann, wo es wirklich klar geregelt ist, wo sichergestellt ist, dass die Daten pseudonymisiert, anonymisiert für die Forschung zur Verfügung gestellt werden können. Also wir im Gesundheitsministerium, wir sind für das bayerische Krebsregister zuständig, also jeder, der eine Krebserkrankung hat: Da ist der Arzt gesetzlich verpflichtet, die Daten in dieses Register einzupflegen, weil man eben aufgrund dieser Fülle der Daten, die man damit generiert, wirklich hofft, eben voranzukommen. Was die Therapie, die Diagnostik von Krebsen angeht, da sind wir auf einem guten Weg. Da kann die Forschung bereits jetzt Anträge stellen. Die müssen uns schildern: Wofür werden die Daten gebraucht? Das wird dann von einer Jury bewertet und in der Regel werden diese Anträge auch befürwortet. Und da sind wir schon einen großen Schritt weitergekommen. Und wie gesagt, ich habe die Zuversicht, dass wir jetzt im Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen auch bei anderen Erkrankungen vorankommen. Aber ich gebe Ihnen Recht, im Moment ist noch ganz viel Luft nach oben.
[00:14:14] Viktoria Prantauer: Vielleicht, Aandrea, wenn ich noch mal auf das Thema Prävention zurückkommen darf: Ich möchte jetzt da noch mal die andere Seite aufmachen, weil wir haben gesagt, wir brauchen die Daten. Wir haben gesagt, es gibt Möglichkeiten zu anonymisieren, zu pseudonymisieren. Wenn wir aber Prävention möchten und das ist jetzt schon auch noch mal wichtig, dann muss man sich halt auch überlegen, die Daten müssen dann aber schon ja wieder zu mir zurückgeführt werden. Sonst kann ich nichts machen. Und wenn ich jetzt zurückdenke an meine eigene Diagnose, das war ja ein völliger Zufall. Es gibt keinen Pfad, der vorsieht, bei einer Frau Anfang 30 Mammographie zu machen und zu prüfen, ob da vielleicht Brustkrebs sich versteckt. Das heißt, hätte ich es nicht selber bemerkt rechtzeitig, dann hätte das auch anders ausgehen können. Wahrscheinlich hätte es Hinweise gegeben, dass sich in meinem Körper was verändert, wären diese Daten vorhanden, aber sie sind nicht mal vorhanden. Also von Prävention, wo ich hin möchte, da sind wir momentan noch sehr weit weg, und an irgendeiner Stelle wird dann auch ein Kompromiss stattfinden müssen. Also möchte ich alles komplett anonymisiert oder möchte ich natürlich doch auch Einblick in mein persönliches Profil? Und wenn ich gerade den Hinweis noch geben darf: Dänemark, Schweden, Finnland, die haben eine sehr ambitionierte Gesundheitsstrategie 2030, also eine Vision, die sie formulieren. Und da gehen sie schon so weit, dass quasi jedes Individuum in Echtzeit Feedback bekommen soll zum eigenen Gesundheitszustand. Nicht nur bezogen, sage ich mal auf die Daten, die klassischerweise im Medizinsystem gesammelt werden, sondern auch über Umwelteinflüsse, Klimawandel. Das macht auch was mit den Menschen. Soziale Faktoren. Also wir sind ja alle Individuen. Was bei jemand anderem eine Krankheit auslöst, muss es ja bei mir nicht. Und natürlich auch die biologischen Faktoren. Wenn wir in Richtung Prävention wollen, dann müssen wir auch so ein bisschen das Thema „alles muss anonym sein“ auch loslassen lernen.
[00:16:29] Andrea Rexer: Ich möchte gerne noch beim Thema Prävention bleibt und möchte eine These reinwerfen. Ich habe in den vergangenen Monaten von Peter Attia das Buch über Langlebigkeit gelesen „Outlive“, d. Red. Und dessen These ist, dass generell die Medizin sich mehr ausrichtet, den Sterbefall zu verhindern, anstatt richtig bei der Prävention anzusetzen. Was müssen wir denn tun auf der Basis, damit wir ernsthaft Krankheitsbilder verhindern, bevor sie überhaupt eintreten? Was können wir tun?
[00:16:55] Bettina Pfleiderer: Also ich sage es ganz ehrlich: Um eine Krankheit zu verhindern, muss man erst mal verstehen, was macht die Krankheit, was sind die Faktoren? Und da kommen wir, glaube ich, nur langsam hin. Ich bin schon dankbar, wenn man überhaupt in Studien findet: So viele Männer und so viele Frauen haben teilgenommen. Meistens ist es nicht mal angegeben. Aber nehmen wir an, wir hätten die ideale Welt und wir hätten mehr Informationen. Na, da würde dann das Alter noch dabeistehen. Steht auch nicht immer dabei. Und ich glaube, was wir brauchen ist einfach ein umfassenderes Bild von einem Menschen. Also ich sage immer, Gehirne sind ja nicht im luftleeren Raum oder Menschen. Wir sind ein Umgebungstier, wir haben Beziehungen, wir leben auf dem Land, wir leben in der Stadt, wir haben Stressoren, wir haben Erfahrungen in der Kindheit, und das macht uns zum Mensch, aber auch tatsächlich zum Patient oder zur Patientin am Ende. Und wenn wir Prävention ernst meinen, dann müssen wir diese Faktoren kennen und verstehen, um zu sehen, wenn jetzt jemand zu uns kommt, ein Patient oder eine Patientin, dass sie – und wenn man so ein bisschen versteht – sodass man viel besser verstehen kann, was wahrscheinlich passieren wird, wenn wir da nicht gegensteuern. Und jetzt kommen wir wieder zum Thema von heute und da finde ich, kann nämlich die KI, die Künstliche Intelligenz uns helfen, weil es sind eine solche Menge an Information, die kann ein menschliches Gehirn gar nicht mehr erfassen. Das heißt aber nicht, dass wir die KI für die Denkarbeit nutzen, sondern ich sehe das so: Die liefern uns Hypothesen, die liefern uns Hinweise. Und dann die Experten oder die Experten, die sich eben mit diesen Themen auskennen, die fangen was damit an.
[00:18:35] Elisabeth Süß: Ich möchte es mal aufgreifen. Das, was Sie schildern, ist auch wieder so ein bisschen die Zukunft, wo wir hinmüssen. Aber wir könnten aktuell ganz konkret auch die MI, die menschliche Intelligenz nutzen, weil wir ja bei vielen Krankheiten auch tatsächlich wissen, was förderlich ist und hilft, die Krankheit zu verhindern. Das sind diese ganz banalen Dinge, die wir alle kennen. Sich gesund zu ernähren, nicht zu rauchen, keinen Alkohol zu trinken, sich mehr zu bewegen. Da wissen wir ja viel. Da kommt es halt auf jeden Einzelnen an, aber auch da haben wir noch Luft nach oben. Also es ist so: Wir wissen, dass sich zum Beispiel Frauen weniger bewegen als Männer. Frauen ernähren sich gesünder, Frauen nehmen aber auch mehr Medikamente. Sie sind mehr gestresst, und da müssen wir einfach ran. Zum einen, was jede einzelne Frau wirklich ganz individuell selber tun kann. Aber auch wir als Gesellschaft, indem wir eben die die Gesellschaft, unsere Umgebung so gestalten, dass eben diese negativen Faktoren verhindert werden, dass wir eben unsere Gesellschaft bewegungsfreundlich strukturieren und dergleichen. Wir können tatsächlich jetzt auch schon ohne KI, einfach indem wir unseren menschlichen Verstand einsetzen, auch ganz viel schon erreichen.
[00:19:51] Bettina Pfleiderer: Ja, ja, aber ich störe mich daran, dass man immer sagt… Also ich finde immer, manchmal kommt so raus, man muss die Patienten ändern. Ich find’s schwierig. Wir müssen die Strukturen erst mal ändern und dann können wir uns auch noch ändern. Aber die Strukturen sind ja so, dass, selbst wenn ich den höchsten Wunsch habe, mich zu ändern, ich habe die Struktur überhaupt nicht. Also ich bin erst mal dafür, die Struktur und dann zu sagen, Frauen, ändert euch, tut mehr das und jenes zum Beispiel. Aber ich stimme Ihnen zu, klar. Aber man braucht auch Visionen, denn wenn man keine Vision hat, bewegt man sich nicht. Also wenn ich jetzt in dem, was wir haben, zufrieden bin und sag: Ja gut, dann drehe ich da noch ein bisschen und dann machen wir die Frauen auch ein bisschen mehr compliant und mach jenes und dieses, da kommt man nicht weiter. Man braucht Visionen, die vielleicht noch sehr für die Zukunft sind. Aber ich glaube, nur dadurch können wir was bewegen. Und dann erreicht man vielleicht kleine Dinge, die würde ich gar nicht erreichen, wenn ich mich zufrieden gebe. Ich bin nie zufrieden.
[00:20:47] Andrea Rexer: Frau Süß, Sie haben im Vorgespräch eine Zahl genannt, wie viele Menschen in Bayern Präventionsuntersuchungen überhaupt wahrnehmen. Das ist ja ein strukturelles Argument, wo man sagt, Mensch, was machen wir denn da die ganze Zeit. 40 Prozent, oder?
[00:21:00] Elisabeth Süß: Also was die Mammographie angeht zum Beispiel, die Ihnen ja geholfen hätte, jetzt ist natürlich ein Teil der Wahrheit, dass die Mammographie ja im Moment nur für Frauen von 50 bis 75 angeboten wird. Aber auch da haben wir eine Teilnahmerate von 40 Prozent. Das heißt also, ich finde es echt immer schockierend, weil es ist kein Aufwand, man wird aktiv angeschrieben, man wird darauf hingewiesen. Ich muss mir nicht mal selber den Termin notieren, sondern ich werde aktiv eingeladen. Es ist etwas, was umsonst ist, was die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten uns zahlt. Und trotzdem sind es nur 40 Prozent der Frauen, die dieses Angebot wahrnehmen. Das ist tatsächlich etwas, was mich dann immer umtreibt. Was können wir tun, um da eigentlich diese Teilnahmerate zu vergrößern?
[00:21:48] Viktoria Prantauer: Also ich wollte gerade diese Perspektive reinbringen, dass ich schon denke, dass hier entsprechende Innovation uns auch das Leben leichter machen kann, Präventionsangebote in Anspruch zu nehmen. Muss es denn jetzt auch die Mammographie sein, wo ich ein halbes Jahr vorher ein Termin ausmache und dann brauche ich in einem Tag frei und dann gehe ich hin und dann warte ich. Oder kann ich neue Technologie nutzen? Vielleicht kann ich es sogar zu Hause machen und dann ist es hier in zehn Minuten erledigt und weiter geht’s. Also wir brauchen schon Innovation, denke ich, um auch schneller dieses Präventionsthema angehen zu können. Was uns dann auch zu einem strukturellen Thema führt, ist, wie sieht auch die Vergütung aus? Und ein weiterer struktureller Punkt, und da bin ich schon auch, lso hoffe ich, dass Digitalisierung uns helfen wird. Je nachdem, wo man lebt, hat man halt auch besseren Zugang zu einer Versorgung oder einen schlechteren Zugang. Und ein letzter Punkt: Nur weil ich eine Mammographie mache, heißt es auch noch nicht, dass richtig erkannt wird. Also da bin ich ja dann auch abhängig. Wie gut ist jetzt die Maschine, wie alt ist die, wie viele musste die Ärztin schon anschauen und übersieht sie vielleicht? Also, das sind ja alles Optionen, die in Frage kommen. Also ich denke, da kann man einerseits mit Digitalisierung, aber auch mit der Überlegung: wie sehen Vergütungsstrukturen aus, schon noch einiges bewegen.
[00:23:11] Elisabeth Süß: Wenn ich dazu vielleicht noch was sagen darf: Wir haben in Bayern tatsächlich ein Projekt, wo wir testen, wie mit KI die Bilder der Mammographie besser ausgewertet werden. Also da versucht man eben genau das schon zum Einsatz bringen. Das ist, wie gesagt, noch ein Projekt. Aber wir haben sehr, sehr gute Zwischenergebnisse und so was stimmt ja immerhin hoffnungsfroh, dass man es dann vielleicht tatsächlich auch mal in die Regelversorgung bekommt.
[00:23:35] Bettina Pfleiderer: Was ich noch ergänzen möchte: Ich denke, wenn wir nämlich die Hausärzte, eine Ärztin oder überhaupt die Gynäkologinnen und Gynäkologen besser bezahlen würden für das Sprechen, dann würden, glaube ich, auch viele dieser Vorsorgeuntersuchungen eher gemacht werden. Denn oft sind es ja Ängste, dass man nicht genau versteht, warum macht man es, was ist da dahinter? Machen mich die Strahlen krank? Bekomme ich erst einen Tumor durch die Mammographie? Und wir haben ja Menschen, wir haben Frauen beispielsweise. Aber das wird überhaupt nicht bezahlt. Also ich denke, wir brauchen einfach eine Änderung, auch was in der Medizin Geld bringt, auch für die Ärzte und Ärztinnen. Und da sehe ich ein ganz großes Problem. Denn wenn ich als Hausarzt oder Hausärztin mich zehn Minuten oder eine Viertelstunde mit einem Patient oder Patient unterhalte, bekomme ich 30 Euro. In der Zeit nehme ich 20 Mal Blut ab und verdiene das Fünffache. Und das finde ich, das müssen wir ändern. Und ich glaube, wenn wir das täten, das wäre auch sehr gut. Das kann auch Digitalisierung gar nicht ersetzen, nämlich das Gespräch. Meine Erfahrung ist, wenn ich Menschen erkläre, wenn sie Medikamente nehmen, dass es sein kann, beispielsweise, dass die ersten drei Tage diese und jene Beschwerden kommen können. Dass das aber nicht schlimm ist, dass es normalerweise vorüber geht, dass es nach einer Woche viel besser wird, und wenn nicht, auf jeden Fall kommen, dann ist das, dass jemand sagt: Ich schmeiße es jetzt nicht nach drei Tagen in den Papierkorb, viel kleiner, weil ich das vorher schon gesagt habe, dass es sehr wahrscheinlich passieren kann. Aber dass das nicht schlimm ist, weil der Körper braucht die Zeit, zum Beispiel, wenn es im Gehirn arbeitet oder wirkt. Die Andockstellen vom Medikament, die müssen sich erst anpassen, dass plötzlich so ein Medikament da ist. Und das müssen wir erklären, und da glaube ich, das ist auch wichtig, dass wir das besser abbilden, auch mit dem, was ärztliche Leistung ist und was was zählt.
[00:25:30] Andrea Rexer: Wie viel Mensch muss denn das sein? Könnte auch die KI, Viktoria, es gibt ja Chatbots, die inzwischen reden, als wäre es dein Nachbar. Wie weit kann KI ein ärztliches Gespräch unterstützen oder begleitend verstärken? Wie siehst du den Einsatz?
[00:25:45] Viktoria Prantauer: Ja, das ist eine sehr gute Frage, weil ich wollte jetzt grade noch das Beispiel erzählen und dann schwenke ich zu deiner Frage. Also ich habe die Diagnose in einem anderen Krankenhaus bekommen, wo ich dann die Behandlung gemacht habe. Und der Hintergrund ist ganz einfach, das Krankenhaus, wo ich die Diagnose bekommen habe – ich war wirklich so ertrunken in einer Menge an Daten, aber händeringend nach Informationen, die mir gerade weiterhelfen. Und ich werde nie vergessen und ich habe es ausgedruckt zu Hause. Die Ärztin dann in einem anthroposophischen Krankenhaus in Berlin hat sich hingesetzt und auf einen DIN-A4-Zettel war die Brust aufgemalt. Wo befindet sich jetzt hier der Tumor? Sie hat mir gezeigt: hier Chemotherapie, Phase eins, macht das. Chemo Therapie, Phase zwei, macht das. Da waren Pfeilchen und Kreuzchen. Und ich hab mich abgeholt und verstanden gefühlt und in dieser schwierigen Situation, ich weiß noch, dass meine ganze Familie in dem Raum war, wir alle haben sie mit großen Augen angeschaut. Wir sind dann nach Hause und waren so: Ja, ein richtig guter Termin. Auch in so einer Phase kann man sich gut fühlen, wenn man abgeholt wird. Und um auf die Frage der KI zurückzukommen: Also, ich sehe da schon sehr große Unterstützungsmöglichkeiten. Und so ein Beispiel, was ich erzählen kann, wo ich mir das oft gewünscht hätte: Auch meine Onkologin hat sich, wenn es möglich war, viel Zeit für mich genommen. Aber es ist halt einmal im Monat 20 Minuten, so vielleicht mal 30, wenn es irgendwie ging. Aber ich hatte so viele Fragen dazwischen. Und an wen richte ich diese Fragen? Es sind auch ein bisschen unangenehme Fragen manchmal. Und besser nicht Google! Den Fehler habe ich zweimal gemacht, da konnte ich nicht mehr schlafen danach. Also wie sehr hätte ich mir da gewünscht, eine verlässliche Informationsquelle einfach mal so fragen zu können! Einfach so einen Chatbot, wo ich das mal adressieren könnte. Ich würde das schon eine interessante Ergänzung in so einem Therapieverlauf sehen.
[00:27:51] Bettina Pfleiderer: Aber da möchte ich trotzdem, ich bin ja leider immer wieder so, also jetzt als Gesundheitsexperten und Ärztin, die mit geschlechtersensibler Medizin arbeitet: Ich teste die Systeme immer, zum Beispiel unterhalte ich mich lange mit ChatGPT, aber geschlechtersensible Medizin kann der nicht. Noch nicht. Also wenn ich sage, was ist der Unterschied zwischen sensibel und oder spezifisch, weiß ChatGPT nicht. Der gibt mir ab er das Gefühl, dass er es weiß, weil er sagt, es tut mir so leid, dass ich Sie nicht zufrieden gestimmt habe mit meiner Antwort, weil ich habe ihm da null Punkte gegeben. Und dann versuche ich: Gibt es denn eine Studie, die das behauptet, wie die Dosen anders sind für die Chemotherapie? Und diese Studie gibt’s nicht, die führt ins Leere. Entweder macht er eine Studie, damit ich glücklich bin. Also das kann sicher sein, da sind wir wieder bei der Zukunft. Aber man darf nie vergessen: Diese ganzen KIs oder Chatbots werden mit Daten gefüttert, die es gibt. Wenn wir aber die Daten noch nicht haben, was füttert man da rein? Da füttert man dann Männerdaten rein. Entschuldigung. Und dann bekomme ich Ratschläge, von denen ich denke, na ja, das hat ja eine KI gemacht, aber die sind gar nicht für mich als Frau, das kann ich gar nicht kritisieren, weil er hat ja nichts Besseres.
[00:29:10] Andrea Rexer: Frau Pfleiderer, Sie haben es vorhin schon kurz angerissen, dass es ja ein veritables Problem gibt in den Datensätzen, weil über Jahrzehnte immer nur Männer getestet wurden, weil Frauen so was Lästiges haben wie einen Zyklus. Es war den Männern immer zu komplex, selbst bei den Tierversuchen. Wie kommen wir denn da hin, dass wir langsam oder vielleicht sogar schneller eine bessere Datenbasis haben? Sind Sie da positiv?
[00:29:31] Bettina Pfleiderer: Ja, ich bin immer positiv. Das wurde ja schon gesagt von Ihnen, Frau Süß. Es gibt da neue Gesetze und wir müssen inzwischen für neue Medikamente die Anzahl in Prozent von Menschen einschließen, die an dieser Krankheit erkranken. Das muss nicht immer 50:50 sein. Aber wenn ich ein neues Medikament teste, beispielsweise gegen Rheuma, und da weiß man, dass es 80 Prozent Frauen haben, dann müssen 80 Prozent Frauen in diese Studien rein. Und das sind wir noch dran. Die neuen Medikamente haben das auch. Wir haben dummerweise aber ganz viele alte Medikamente, die immer gegeben werden. Schmerzmittel. Da könnte ich Bücher schreiben.
[00:30:13] Andrea Rexer: Aber heißt das, ich müsste eigentlich beim Arzt fragen: Von wann ist dieses Medikament? Ich will das Neueste des Marktes.
[00:30:18] Bettina Pfleiderer: Nein. Ich denke, man müsste entweder – das wird in USA gemacht: Da gibt es eine Forschungseinrichtung, die die finanziert die Forschung. Das ist das National Institute of Health, und die stellen Gelder zur Verfügung, dass man bestimmte Daten nachholt, dass man also sagt: Okay, sag mal, wir haben ganz viele Daten von Männern, jetzt müssen wir aber auch Frauen einschließen. Oder dass man Datensätze zurückgeht und die tatsächlich nach Geschlecht analysiert. Das wurde ja gemacht und da gab es auch große Überraschungen, weil man hat immer gedacht, das kennt ja jeder, ASS Acetylsalicylsäure, d. Red.. Das gibt man, um beispielsweise einen Herzinfarkt zu verhindern. Das wirkt bei Frauen nicht. Also Frauen brauchen kein ASS, um ihren Herzinfarkt zu verhindern. Das weiß man inzwischen. Das hätte man aber nie rausgekriegt. Die ganzen Daten, die sind alle durch Männer getrieben. Andererseits ist es so, dass ASS verhindert bei Frauen Schlaganfälle, bei Männern nicht. Also wenn man sieht, das bekam man aber erst raus, nachdem man die Daten überhaupt mal nach dem Faktor Geschlecht angeschaut hat. Ich habe zwei Ansätze. A) Schau die Daten mal an und ASS ist wirklich so ein Klassiker, wo man jetzt weiß, ASS-100 ist bei Männern super, bei Frauen kann es Magenschmerzen machen. Das kann, wenn man Blutverdünner macht, die Blutverdünnung noch mehr schädigen. Also das ist gar nicht so günstig. Man muss überlegen ob man ein Medikament nimmt für eine Blutverdünnung, wenn man weiß, das ist eigentlich Placebo, weniger noch als Placebo. Bei Männern nicht, aber gut. Also das müssen wir machen, das besser nacharbeiten. Und das zweite ist tatsächlich, dass Gelder zur Verfügung gestellt werden, dass man Sachen nachholt. Man hat meistens die Daten an jungen Menschen erhoben. Die brauchen oft diese Medikamente nicht, wo es doch von Bedeutung ist, wenn man in den Wechseljahren ist, ungefähr acht bis zehn Medikamente einnimmt. Und dann ist ja wichtig, wie wirkt so ein Medikament? Es nützt ja nichts, wenn die einen gesunden Menschen haben, der dann das Medikament nimmt. Das kann ganz anders wirken, wenn man älter ist. Die Nierenfunktion ist anders, die Leber funktioniert anders. Ich habe ein anderes Blutvolumen und dann funktioniert das gar nicht mehr, was ich in jungen Menschen habe. Also Sie sehen, ich habe schon einige Ansätze, und wenn wir das schaffen, haben wir, glaube ich, viel Gutes erreicht.
[00:32:32] Andrea Rexer: Wir sind ja hier auf einer Karrieremesse, das heißt, mein Lösungsvorschlag wäre jetzt: Es müssen sich möglichst viele junge Frauen für Medizinstudium entscheiden, oder?
[00:32:40] Bettina Pfleiderer: Das machen sie doch schon. Wir haben 80 Prozent in Münster.
[00:32:42] Andrea Rexer: Medizin ist bereits weiblich, dann muss sich ja was tun.
[00:32:48] Bettina Pfleiderer: Wir brauchen aber tatsächlich weiblich Forschende, weil man hat gefunden, wir haben viel zu wenig Professorinnen. Man hat die neuesten Studienzahlen: in der Medizin sind 10 Prozent Frauen, in der Medizin, die Professorinnen sind. Also wir sind eine Minderheit. Und ich mache ganz andere Forschungsthemen als meine Männer, weil mich ganz andere Dinge interessieren. Ich mache häusliche Gewalt, ich mache Gewalt gegen Menschen, Ich mache geschlechtersensible Medizin. Das machen ehrlich gesagt meine Kollegen nicht, die machen andere Dinge. Und deswegen glaube ich, ist es viel wichtiger oder bin ich eine Verfechterin, dass möglichst viele Frauen auch in die Forschung gehen, weil dann auch so Themen mehr Gehör finden.
[00:33:29] Andrea Rexer: Gibt es Fragen? Hier vorne, das Mikro kommt schon.
[00:33:32] Zuhörerin 1: Hi, ich bin Start-up-Beraterin bei der Techniker Krankenkasse in Bayern, und mein Ziel ist es auch mehr Gesundheits-Start-ups in den Gesundheitsmarkt zu bekommen. Ihr habt auch das Thema angesprochen. Wir brauchen Innovationen, die digitale Lösungen anbieten, vor allem in Präventionsbereich. Was tut ihr da aus dem Ministerium heraus, um Start-ups schneller in den ersten Gesundheitsmarkt zu bringen? Gibt es Pilot-Ökosysteme, die in Bayern etabliert werden sollen, wo auch Venture Capital vielleicht zum Start rein fließen soll? Wie ist das so der Stand im Ministerium?
[00:34:04] Elisabeth Süß: Also wir haben ganz aktuell einen Förderkorb gehabt, also wir haben eine Förderrichtlinie, wo es genau darum geht, digitale Lösungen zu fördern. Und der Schwerpunkt des aktuellen Förderkorbs war tatsächlich KI und Frauen. Und da werden gerade die Gewinner, die Projekte bewertet und ausgewählt. Aber das ist jetzt halt eher eine Maßnahme. Wir haben aber jetzt nicht den großen Geldtopf, weil gerade wenn man jetzt an Start-up-Unternehmen geht, ist es auch so ein bisschen – jetzt komme ich immer mit diesen Zuständigkeitsthemen, das ist immer gar nicht gern gehört- aber da ist das Gesundheitsministerium tatsächlich nicht der richtige Ansprechpartner, sondern da müsste man dann eher ans Wirtschaftsministerium oder so denken. Wir fördern halt gezielt bestimmte Anwendungen. Wenn das ein Start-up ist, was den Zuschlag bekommt, dann ist es gut. Aber wir fördern nicht selber das Start-up, sondern dessen Projekt.
[00:34:56] Andrea Rexer: Hier vorne ist noch eine Frage.
[00:34:57] Zuhörerin 2: Jetzt würde ich die Frage meiner Vorrednerin gerne umdrehen Was ist ihr größtes Problem? Und wenn ich einen Zauberstab hätte in der Gendermedizin, wie kann ich Ihnen helfen? Und da würde ich gerne alle drei Rednerinnen hören.
[00:35:16] Viktoria Prantauer: Also, wenn ich mir was wünschen dürfte. Ich würde mir wünschen, dass das Gesundheitsökosystem noch besser zusammenarbeitet, weil ich glaube, es gibt nicht den einen, nicht das eine Start-up, nicht das eine Unternehmen, nicht die eine Forschungseinrichtung, die das lösen kann und in eine neue Zukunft bringen kann, sondern es braucht Zusammenarbeit. Das heißt, da sich zu öffnen, offen zu sein für diese anderen Meinungen, Perspektiven, neue Zusammenarbeitsmodelle. Das ist, denke ich, noch eine große Baustelle. Und natürlich würde ich mir wünschen, dass wir in der Datennutzung schon einen großen Schritt weiter sind. Jetzt kann man sagen: Ja, seit fünf Jahren, ein bisschen was ich eh schon passiert, Aber manchmal bin ich schon sehr ungeduldig.
[00:36:00] Bettina Pfleiderer: Ich würde mir wünschen, dass ich überhaupt hier nicht mehr sitzen würde. Das wäre mein Traum. Tatsächlich, ich meine das ernst. Nämlich, dass wir gar nicht mehr darüber reden müssen, dass wir geschlechtersensible Medizin brauchen und was es bedeutet, warum es schlecht ist, wenn wir sie nicht haben. Also wenn es so wäre, dass es so selbstverständlich ist und überall drin wäre, dass es Lehrstühle gibt für geschlechtersensible Medizin, und diese Leuchttürme wie ich, die dann immer überall sein muss, das wäre mein Traum. Und dann glaube ich, dann wäre es für die Gesundheit wunderbar.