Warum war die Krankenschwester eine Schwester? Die NZZ Neue Zürcher Zeitung sprach mit der Schweizer Historikerin Elisabeth Joris, die zur Geschichte von Frauenarbeit geforscht hat, über den Pflegeberuf und auch über häusliche Care-Arbeit.
Früher waren Ordensschwestern für die Pflege zuständig. „Krankenpflege wurde als Dienst für den Heiland betrachtet, als Akt der christlichen Nächstenliebe. Man erwartete von den Schwestern einen aufopfernden, mütterlichen, selbstlosen Dienst“, sagt Joris.
Bevor es Krankenhäuser gab, wurden Kranke zu Hause gepflegt. „Darum war die Medizin einer der ersten akademischen Berufe, die Frauen zugänglich wurden: Sie waren traditionell für die praktische Gesundheitspflege zuständig gewesen daheim. Niemand konnte argumentieren, der Arztberuf widerspreche dem Wesen der Frau.“
Auch heute noch erwarte die Gesellschaft eine besondere Aufopferung von Pflegenden. Aber vor ein paar Jahrzehnten sagten Krankenschwestern: „Ich stelle mich nicht länger nur in den Dienst der Gesellschaft. Ich bin auch ein Ich“ – und begannen, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Schon in den 1970er Jahren wurde darüber diskutiert, ob auch familiäre Sorgearbeit aufgewertet werden sollte, indem sie bezahlt wird. Lohn für Hausarbeit und Kindererziehung? Das wird heute wieder von Feministinnen gefordert. Joris: „Die Frage ist dieselbe geblieben: Nagelt man Frauen so auf Hausarbeit, Erziehung und Sorge fest? Oder entspricht es einer Honorierung dieser Arbeit, die gesellschaftlich unabdingbar ist?“
Es habe Tradition, dass Care-Arbeit nicht als „echte“ Arbeit wahrgenommen werde. „Als man im 19. Jahrhundert das Bruttosozialprodukt definierte, also ‘die Wirtschaft’, klammerte man die Arbeit im Haus einfach aus. So hat sie keinen volkswirtschaftlichen Wert. Wir wissen alle, dass die Realität eine andere ist.“
Joris bezweifelt aber, dass man Care-Arbeit so genau messen könnte. Hier sieht sie eine Schnittstelle mit der Pflege, in der heute für die Abrechnung nahezu jeder Handgriff einzeln aufgelistet werden muss – „Pflege als Beziehungsarbeit findet auf diesen Rechnungen keine Entsprechung. (…) Der Pflegeberuf wurde rationalisiert: Was früher mit einer weiblichen Fürsorge verbunden war, ist weggefallen.“
Sollte Care-Arbeit auch finanziell honoriert werden? Welche Auswirkungen hätte das? Was meint ihr?
Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
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