Warum das so ist, darüber sprach ZEIT ONLINE mit dem Psychologen David Reilly (Griffith University). Nach seinen Forschungsergebnissen ist nicht das biologische Geschlecht ausschlaggebend für die Selbsteinschätzung – sondern inwieweit jemand sich mit typisch männlichen oder typisch weiblichen Geschlechterrollen identifiziert.

  • Reilly sagt, Männer hielten sich überwiegend „für klüger als der Durchschnitt – also nicht nur klüger als Frauen, sondern auch als andere Männer.“ Nicht nur ihre Intelligenz, sondern ihre Fähigkeiten allgemein würden sie oft überbewerten. „Frauen glauben eher, ihre guten Leistungen wären Glückssache.“

  • Selbstvertrauen sei der entscheidende Faktor. „In der Kindheit haben Mädchen genauso viel davon wie Jungen. Aber wenn die Pubertät beginnt, scheint das Selbstvertrauen von Mädchen drastisch zu sinken (…), auch das Vertrauen in die eigenen intellektuellen und akademischen Fähigkeiten.“

  • Laut einer gesonderten Auswertung der internationalen Pisa-Studie von 2018 glauben jugendliche Jungen mehr an ihr Talent als Mädchen, wie die ZEIT im März 2022 berichtete. 47 % der Jungen und 61 % der Mädchen stimmten folgender Aussage zu: „Wenn ich versage, habe ich Angst, dass ich vielleicht nicht genug Talent habe.“
    Saudi-Arabien war das einzige Land in der Pisa-Studie, in dem Mädchen stärker an die eigenen Talente glaubten als Jungen. Bei allen anderen Ländern war es umgekehrt. Je höher Bildungsgrad und Wohlstand in einem Land – und damit auch die Bedeutung von Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung –, desto größer war der Unterschied zwischen den Geschlechtern in dieser Frage.

  • David Reillys Team hat nun untersucht, inwiefern sich Menschen mit Persönlichkeitsmerkmalen identifizieren, die entweder bei Männern oder bei Frauen eher sozial erwünscht sind.

    • „Männliche“ Merkmale: z.B. Durchsetzungsfähigkeit, Führungsqualitäten, Aggressivität, Ehrgeiz. Ergebnis: Wer sich selbst so beschrieb, hielt sich für klüger als der Durchschnitt.
    • „Weibliche“ Merkmale: u.a. Empathie, Fürsorglichkeit, Kinderliebe. Es gab auch Männer, die diese Merkmale für sich wählten – und die ihre Intelligenz ebenfalls stark unterschätzten.
  • Reilly sieht auch die Nachteile auf der maskulinen Seite: „Das ist das Problem, wenn jemand die eigene Intelligenz als zu hoch einschätzt: Man muss scheitern. (…) Es hilft Jungen bis zu einem gewissen Grad, ihre eigene Intelligenz zu überschätzen, doch irgendwann können ihre Fähigkeiten nicht mehr mit ihrem Ehrgeiz und den Erwartungen mithalten. Am Ende hilft es allen, wenn sie ihre Fähigkeiten realistisch einschätzen – Jungen wie Mädchen.“

Intelligenz könne durch Übung weiterentwickelt werden. Wenn man Kinder dabei unterstütze, strengten sie sich mehr an und entdeckten ihre Talente. „Unsere Kultur braucht viel mehr weibliche Vorbilder“, sagt Reilly,„damit Mädchen sagen können: Das möchte ich auch machen.“

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Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
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