Unterschätzt zu werden, der Underdog zu sein, kann ein großer Vorteil sein, gerade zu Beginn der Karriere. Aber wie geht man damit um, konstant unterschätzt zu werden? herCAREER im Interview mit Yasmin Al-Douri, Co-Director des Responsible Technology Hub (RTH).
„Unterschätzt zu werden war nie etwas, das mir fremd war“
herCAREER: Wie hast du es erlebt, unterschätzt zu werden – am Anfang deiner Karriere und in ihrem weiteren Verlauf? Inwiefern war es für dich ein Vorteil, unterschätzt zu werden?
Yasmin Al-Douri: Unterschätzt zu werden war nie etwas, das mir fremd war – es begleitete mich mein gesamtes Leben lang. Als Tochter einer alleinerziehenden, arbeitenden arabischen Mutter, die mich in einem Problemviertel großgezogen hat, gehörte ich für viele schon seit meiner Geburt zu denen, die „zum Scheitern verurteilt“ waren. Als erste in meiner Familie (von der Seite meiner Mutter), die überhaupt studiert hat, galt ich oft als die Ausnahme, nicht als Regel. Mir war früh bewusst, dass ich nicht diejenige bin, auf die man große Erwartungen setzt. Eher war ich diejenige, von der man dachte: „Mal schauen, ob sie überhaupt irgendwo landet.“
Dieses Gefühl, unterschätzt zu werden, begleitet mich besonders auch zu Beginn meiner Karriere. Egal, wie gut vorbereitet ich war, egal wie kompetent ich mich präsentierte, ich wurde oft als zu jung (und das selbst heute noch), zu unerfahren, zu „anders“ wahrgenommen. Jedes Mal, wenn ich einen Raum betrat, wurde ich mit diesem skeptischen Blick begrüßt. Die unausgesprochene Frage: „Was macht sie denn hier?“ lese ich bis heute in den Gesichtern mancher meiner Kolleg:innen. Oft war ich die Jüngste in der Runde, meistens sogar die einzige – oder eine von sehr wenigen – People of Color, und in vielen Fällen die einzige muslimische Frau. Das bedeutet auch, dass ich mich regelmäßig gezwungen sah, mich erst zu beweisen, bevor ich überhaupt ernst genommen wurde.
Besonders als erfolgreiche Frau – und das sage ich bewusst und stolz – habe ich ständig mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass ich entweder nur durch „Quote“ oder „Glück“ meinen Platz erhalten habe. Das wurde mir schon einmal von einem Vorgesetzten ins Gesicht gesagt.
Doch das ständige Unterschätztwerden hat mir die Freiheit gegeben, meinen eigenen Weg zu gehen. Ganz nach dem Motto: “Ihr habt keine positiven Erwartungen an mich, also kann ich hier brillieren wie ich möchte” – und die Betonung liegt auf “wie ich möchte”. Ich konnte meine Ideen frei verfolgen, Pläne schmieden und Dinge ausprobieren, ohne dass jemand mich ständig kontrollierte oder versuchte, mich von meinem Kurs abzubringen. Einfach machen, das ist mein Credo geworden. Verlieren konnte ich nichts, denn es gab ja nur meine eigenen Erwartungen an mich selbst. So konnte ich auf eine Weise wachsen und lernen, wie es mir vielleicht nicht möglich gewesen wäre, wenn ich von Anfang an bestimmte Ziele und Erwartungen anderer hätte erfüllen müssen.
Vielleicht war ich am Anfang sogar wütend oder frustriert darüber, unterschätzt zu werden. Doch mittlerweile sehe ich darin eine stille Stärke: Ich kann Menschen überraschen und bin vor allem nicht an ihre Erwartungen gebunden. Meine Geschichte gehört mir allein – ich entscheide, wohin ich gehe und auf welche Weise ich dort ankomme.
herCAREER: Was möchtest du anderen Frauen raten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder machen?
Yasmin Al-Douri: Das Wichtigste, das ich ihnen mitgeben möchte: Egal, wie oft man euch unterschätzt, wie oft ihr den skeptischen Blick spürt – euer Wert wird nicht durch die Erwartungen anderer definiert. Lasst nicht zu, dass ihre Vorurteile oder ihr begrenzter Horizont euch kleinhalten. “If it’s not a YOU problem, it’s a THEM problem!”
Zweitens: Seht es als eure Chance, unterschätzt zu werden. Ihr könnt daraus große Stärke ziehen. Wenn Menschen euch wenig zutrauen, könnt ihr Erwartungen eigentlich nur übertreffen. Es kann ein langer Weg sein bis zu dem Punkt, wo ihr wirklich auf der Basis eures Talents, eures Könnens und eurer Erfahrung bewertet werden. Für den Weg dorthin braucht ihr gute Orientierung, eine gute Strategie und beste Umgangsformen. Arbeitet an euren Projekten und entwickelt eure Ideen, ohne euch ständig zu erklären. Zeigt die Ergebnisse mit Stolz und Selbstbewusstsein und lasst sie für sich selbst sprechen.
Außerdem rate ich euch: Seid realistisch und euch klar über das, was ihr geben könnt und wollt. Oft glauben wir, uns ständig beweisen zu müssen, dass wir alles gleichzeitig schaffen: Karriere, Privatleben, Freundschaften, Hobbys – und das alles perfekt. Aber niemand schafft das dauerhaft. Es ist in Ordnung, Grenzen zu ziehen, Prioritäten zu setzen und sich einzugestehen, dass man nicht immer alles leisten kann. Sich selbst treu zu bleiben und die eigenen Grenzen zu kennen – das ist echte Stärke.
Und holt euch unbedingt Unterstützung, sucht euch ein Netzwerk oder einen Freundeskreis, der euch stärkt, versteht und konstruktives Feedback gibt. Menschen, die euch ehrlich und mit Empathie sagen: „Hier warst du gut, dort kannst du dich verbessern“, sind unbezahlbar. Unterschätzt zu werden bedeutet nicht, dass ihr keine Fehler machen dürft oder dass ihr perfekt sein müsst. Aber ihr könnt mit umso mehr Stolz auf eure Erfolge blicken, weil ihr sie gegen Widerstände erreicht habt.
Feiert eure Identität, feiert eure Herkunft und vor allem eure Entwicklung. Die Tatsache, dass ihr anders seid, ist eure Superkraft. Nutzt sie, um eure eigenen Standards zu setzen, statt euch nach fremden Maßstäben zu richten.
herCAREER: Wie kann das Umfeld eines „Underdogs“ für Unterstützung und Empowerment sorgen?
Yasmin Al-Douri: Ein unterstützendes Umfeld erkennt vor allem das Potenzial, das in einer Person steckt, auch wenn sie nicht alle klassischen Kriterien erfüllt, die gemeinhin als Indikatoren für Erfolg gelten. Das bedeutet konkret: Wenn jemand, der als „Underdog“ gilt, einen Raum betritt oder eine Idee äußert, dann braucht dieser Mensch andere, die aufmerksam zuhören, statt skeptisch zu blicken oder vorschnell zu urteilen. Unterstützen heißt dann nicht zwingend, begeistert zu applaudieren, sondern vielmehr der Person zu vermitteln: „Hey, ich sehe dich. Deine Stimme zählt, und du hast hier einen Platz verdient.“
Echtes Empowerment bedeutet aber noch mehr als Anerkennung. Es heißt, Menschen aktiv zu fördern, ihre Stärken hervorzuheben und ihnen den Raum zu geben, sich selbst zu entfalten. Wenn du Teil des Umfelds einer Person bist, die immer wieder unterschätzt wird, dann gib ihr die Chance, Verantwortung zu übernehmen. Unterstütze sie nicht nur dabei, Projekte umzusetzen, sondern trau ihr etwas zu. Lass sie Aufgaben und Herausforderungen übernehmen, die zeigen, dass du an ihr Potenzial glaubst – und dann begleite sie aktiv dabei, ihre Ziele zu erreichen.
Empowerment heißt aber nicht nur, jemanden zu loben, wenn alles glattläuft. Es heißt auch, ehrlich zu sein und konstruktives Feedback zu geben, selbst wenn das manchmal unangenehm sein mag. Die Art und Weise des Feedbacks ist das A und O: Dein Gegenüber sollte spüren, dass es dir vor allem darum geht, die Person wachsen zu sehen, und nicht, sie zurechtzuweisen!
Ein unterstützendes Umfeld bedeutet auch, Erfolge zu feiern – die kleinen und die großen. Es geht darum, sie nicht kleinzureden, sondern zu zeigen: „Wir sehen dich, wir erkennen deine harte Arbeit an, und wir feiern deine Erfolge mit dir.“ Gerade solche Momente stärken das Selbstbewusstsein einer Person, die das Gefühl kennt, nicht genug oder nicht richtig zu sein.
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Diese Art von Unterstützung war für mich ausschlaggebend. Dass ich heute mutig meine Ideen vertrete, selbstbewusst in Meetings auftrete und mich traue, meine Meinung laut zu äußern, verdanke ich vor allem Menschen in meinem direkten Umfeld und besonders Manager:innen, die mir offen gezeigt haben, dass sie an mich glauben. Das Gefühl, dass andere einem zutrauen, Großes zu leisten – selbst wenn die Welt dir ständig das Gegenteil beweisen will –, ist unbezahlbar.
Also, wie kannst du zu einem unterstützenden Umfeld eines „Underdogs“ beitragen? Indem du Räume öffnest, statt sie zu schließen. Indem du zuhörst, ernst nimmst, bestärkst und klar kommunizierst, dass du das Potenzial erkennst. Indem du ehrliches Feedback und Verantwortung gibst ebenso wie Vertrauen und Anerkennung. Und vor allem, indem du nicht zulässt, dass Vorurteile und falsche Erwartungen die Chancen eines Menschen von Anfang an limitieren. Diese Offenheit macht den Unterschied, nicht nur für den „Underdog“, sondern letztlich auch für uns alle.
herCAREER: Bei herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Austauschpartner:innen aufsetzt. Zu welchen Themen kannst du als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?
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herCAREER: Würdest du auch als Mentor:in bei herCAREER fungieren? Welche Frau würdest du dir als Mentee wünschen?
Yasmin Al-Douri: Am liebsten wünsche ich mir einen Underdog, eine WoC oder ein Arbeiterkind als Mentee.
Zur Kontaktaufnahme bitte die von der Interviewpartner:in angegebenen Möglichkeiten nutzen und sich auf das Interview bei herCAREER-Learn & Connect beziehen.
Über die Person
Yasmin Al-Douri ist Gründerin, Tech-Ethik-Expertin und Senior Landecker Democracy Fellow. Als Co-Direktorin des Responsible Technology Hub (RTH) landete sie auf der Forbes-Liste „30 under 30“. Sie wurde zu einer von weltweit 50 Young Globale Changemakers ernannt und erhielt den Zeiss Woman Award für ihre Arbeit mit RTH.
Yasmin hat einen Master in Politics & Technology von der Technischen Universität München. Sie war als Business Program Manager im Responsible AI Team für Microsoft Germany tätig und beriet Infineon Technologies bei der internen Positionierung zu Trustworthy AI.