In kaum einer Branche tummeln sich so viele Vorurteile gegenüber weiblichen Gründerinnen: Wer in der IT- und Tech-Welt ein Business starten möchte, braucht ein dickes Fell, auch und gerade im Jahr 2022. Es nicht zu tun, ist trotzdem keine Alternative, sagt Antonella Lorenz, die gerade ihre zweite Firma gegründet hat. Und erklärt, worauf es ankommt, wenn Frau in der IT-Welt erfolgreich sein möchte, warum eine Kindheit in Italien eine gute Schule ist und Programmieren unnötig.
„Einfach machen, Dinge ausprobieren. Gerade im IT-Umfeld.“
herCAREER: Worauf muss Frau Ihrer Meinung nach achten, wenn sie im IT-Umfeld gründet? Was sind Ihre absoluten Must-Dos?
Antonella Lorenz: Das gilt für jeden Business-Bereich, aber für die sehr männerdominierte IT-Welt umso mehr: Netzwerken. Der Mehrwert eines funktionalen Netzwerkes ist für die persönliche Weiterentwicklung unbezahlbar. Viele Frauen tun sich dabei aber nach wie vor schwer. Ich bin in vielen männlichen Netzwerken teilweise nach wie vor die einzige Frau, Männer sind da sehr viel sicherer unterwegs.
Frauen sollten sich also unbedingt mehr trauen, auf Netzwerkveranstaltungen potentielle Kontakte direkt und unmittelbar anzusprechen, ohne Angst vor Zurückweisung. Jeder, der solche Veranstaltungen besucht, will ja angesprochen werden. Wenn man kein gemeinsames Thema hat, ist das nicht schlimm, dann geht man eben weiter. Aber diese neuen Kontakte sind unbezahlbar. Ich bin in Italien großgeworden, und da ist das Netzwerken essentiell, im beruflichen und privaten Bereich. Der Staat übernimmt nicht so viele Funktionen wie hier, er ist längst nicht so organisiert. Deshalb habe ich da vermutlich weniger Hemmungen, was mir sehr zugute kommt.
Genauso wichtig ist es aber auch, im Netzwerk Verantwortung zu übernehmen, die Werte des jeweiligen Netzwerkes zu achten. Wenn man neue Kontakte einführt, aber auch indem man selbst regelmäßig etwas beisteuert.
Außerdem: Einfach machen, Dinge ausprobieren. Gerade im IT-Umfeld. Sich nicht reinreden lassen. 500 Leute werden kommen, und versuchen, dir deine Idee auszureden: Weil du das nicht studiert hast, weil du eine Frau bist, weil du Kinder bekommen wirst. Und so weiter. Davon müssen sich Frauen befreien und einfach machen. Es wird immer ein Mann um die Ecke kommen, meist sind es die besonders unsicheren, die versuchen, dich mit besonders vielen Fachbegriffen einzuschüchtern. Wenn du etwas nicht verstehst, frag nach. Aber spiel das Spiel nicht mit.
herCAREER: Welche Kompetenzen sollte man auf jeden Fall mitbringen? Programmieren zum Beispiel?
Antonella Lorenz: Auf keinen Fall. Das ist das Unwichtigste der Welt. Du musst führen können. Führen hat aber erst einmal mit dem Kontext nichts zu tun, da ist es ganz egal, ob es sich um eine Gummibärchen-Fabrik handelt oder eine Software-Firma. Führen hat etwas damit zu tun, Raum zu schaffen, damit sich andere entfalten können. Ich selbst habe gerade im Healthcare-Bereich gegründet und bereits in einem sehr frühen Stadium nach Leuten gesucht, die meine Lücken kompensieren. Also schauen: Was kann ich nicht leisten, wofür brauche ich Expert:innen? Niemand kann alles. Neben einer guten Führungskraft brauchst du dringend jemand, der sich mit Finanzen gut auskennt und im IT-Bereich sicherlich eine:n kompetente:n CTO.
Was ich auch empfehle: Die Idee im Netzwerk zu pitchen und sie zu einem Projekt werden zu lassen. Ich habe dazu eine Art Fokusgruppe aus meinem Netzwerk ins Leben gerufen. Menschen, die ähnlich schnell denken wie ich, und denen ich die Option gegeben habe, mit zu gründen. Wir haben dann sechs Monate an der Idee gefeilt, bis es zu einer konkreten Geschäftsidee wurde.
herCAREER: Welchen Ratschlag, der Sie selbst am meisten beeinflusst hat, würden Sie gern weitergeben? Und: Was welchen Rat würden Sie der 20-jährigen Antonella geben?
Antonella Lorenz: Ein Rat meiner Mutter hat mich sehr geprägt, und ich habe ihn auch genauso an meine Tochter weitergegeben: Höre nie auf zu arbeiten und sei finanziell immer unabhängig. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch eine Partnerschaft davon profitiert, wenn beide auf Augenhöhe miteinander agieren. Meinem 20-jährigen Ich würde ich raten: Such dir von Anfang an Menschen, die dich voranbringen. Suche dir Mentorinnen, die dir dabei helfen, weiterzudenken, dich auch jenseits deines Horizonts umzusehen und deinen Handlungsspielraum zu erweitern.
herCAREER: Auf der herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartnerinnen aufsetzt. Zu welchen Themen können Sie im Vorfeld / auf der Messe / im Nachgang als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?
- Datengetriebene Geschäftsmodelle
- Brücken schlagen in die IT der Zukunft
- vom Produkt zum Service
herCAREER: Gibt es Themen, zu denen Sie persönlich eine/n Sparringspartner/in suchen und einen fachlichen wie persönlichen Austausch weiterführen möchten? Dann benennen Sie uns Schlagworte für ihre Themen.
- Datengetriebene Geschäftsmodelle
- Brücken schlagen in die IT der Zukunft
- vom Produkt zum Service
herCAREER: Würden Sie auch als Mentor:in in der herCAREER-Community fungieren? Welche Frau würden Sie sich als Mentee wünschen?
Sehr gern, ich finde das sehr spannend und durfte auch schon zwei Frauen als Mentorin begleiten. Was ich mir von einer Mentee wünsche: Offenheit und die Bereitschaft, ein Feedback anzunehmen.
Nutzen Sie eine der Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme, die die Interviewpartner:in angegebenen hat, und beziehen Sie sich auf das Interview der herCAREER-Community.
Über die Person
Antonella Lorenz, 57, Unternehmerin, Programmiererin, Investorin. Business Angel. Gastrednerin. Und ihrer Zeit immer schon Jahre voraus. Zum Beispiel mit
dem elektronischen Patientenbrief – 15 Jahre, bevor die digitale Patientenakte dann tatsächlich eingeführt worden ist. Out-of-the-box thinking ist ihre größte Stärke. In der männerdominierten IT-Welt ist Antonella eine Ausnahmeerscheinung – auch nach zwanzig Jahren noch. Neugier, Empathie, Ideen, Kreativität und Weltoffenheit zeichnen sie aus. Zuletzt gründete Antonella die Initiative EqualHealthcare. Ihr Ziel? Brücken zwischen IT, Healthcare-Professionals, der Start-up-Szene, Investor*innen, dem Gesundheitssystem und allen Interessierten im Bereich geschlechtsspezifische Medizin und Forschung zu bauen. Damit Wissenslücken geschlossen werden und Neues entstehen kann.
Noch ein ganz neues Projekt in diesem Jahr: Das Start-up Appoco, um Apothekern neue digitale Geschäftsmodelle zu ermöglichen. „Es empört mich, dass Frauen im Jahr 2022 in der Medizin immer noch wie „ein Mann in klein“ wahrgenommen werden. Ich trete dafür an, dass sich das ändert.“