„Der Wutausbruch auf der Plattform X wurde in Frankreich von Millionen von Menschen gesehen, über 60.000 haben ihm ein ‚Gefällt mir‘ gegeben“, schreibt Annika Joeres bei ZEIT ONLINE.
Präsident Macron hatte auf X eine „demografische Wiederaufrüstung“ gefordert: Frankreich brauche mehr Babys. Eine junge Französin antwortete mit diesem Post, der viral ging: „Wir haben kein Geld. Wir haben kein Eigentum. Wir haben keine Kinderbetreuung. Wir kommen um 19 Uhr von der Arbeit nach Hause. Verstehen Sie das?“
In Frankreich wurden 2023 rund 7 % weniger Kinder geboren als 2022 und fast 20 % weniger als 2010. Über den fehlenden Nachwuchs wird in der Öffentlichkeit heftig debattiert.
Lange Zeit war die Hashtag Geburtenrate in Frankreich höher als in den meisten anderen europäischen Ländern. Sicher auch, weil die Kinderbetreuungsmöglichkeiten vergleichsweise gut sind, sowohl für Klein- als auch für Schulkinder, und es vom Staat besonders für kinderreiche Familien eine Reihe von finanziellen Hilfen gibt. Ganztägige Betreuung werde in Frankreich nicht so in Frage gestellt wie bei uns, so die ZEIT, französische Mütter hätten dabei weniger ein schlechtes Gewissen als deutsche. Diese Bedingungen sind aber inzwischen offenbar nicht mehr ausschlaggebend für eine Entscheidung pro oder contra Kind.
Denn trotz des fortschrittlichen Betreuungssystems würden die meisten Aufgaben im Haushalt und rund um die Kinder noch immer von Frauen bewältigt, sagt der Soziologe Hervé Le Bras. Sie seien nicht mehr bereit, die Doppelbelastung zu tragen. Eine fortschrittliche Familienpolitik läge für ihn also darin, Frauen zu entlasten.
Auch könnte Zuwanderung den Geburtenrückgang ausgleichen. Derzeit jedoch verfolgt die Regierung eine Politik, die Migration stark begrenzt.
Feministinnen kritisieren den mehr Kinder fordernden Präsidenten für dessen „militärische Rhetorik“. Seine Äußerungen zeigten einen Willen zur „Re-Instrumentalisierung“ der Körper von Frauen. Diesen sollte man nicht, unter dem Deckmantel einer „nationalen Pflicht“, Schuldgefühle auferlegen, wenn sie kinderlos bleiben wollten.
Die grüne Parteichefin Marine Tondelier weist auf weitere Gründe für die Entscheidung zur Kinderlosigkeit hin, wie etwa die Zukunftsangst wegen Klimakrise und Naturzerstörung – deren Folgen zudem zu mehr Unfruchtbarkeit führten. Auch Armut und Wohnungsnot spielten eine Rolle, deren Bekämpfung sich Macron verstärkt widmen solle.
Immerhin plant die Regierung jetzt, eine kostenlose Fruchtbarkeitsuntersuchung und Verbesserungen bei der Elternzeit auf den Weg zu bringen.
Der Wutausbruch der Französin auf X erinnert an den, der neulich in der taz zum Ausdruck kam, unter der Überschrift: „Reizender Burnout: Frauen sollen den Fachkräftemangel beheben, mehr Kinder kriegen und pflegen. Sonst noch was?“ Siehe dazu den vielbeachteten Beitrag von herCAREER, verlinkt unten im Kommentar.
Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
veröffentlicht bei LinkedIn 24.01.2024