Anlässlich der Aufhebung eines Urteils gegen den US-Filmproduzenten Harvey Weinstein hat ZEIT ONLINE die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm interviewt, Autorin des Buchs „Gegen Frauenhass“.

Clemm betont, die Aufhebung bedeute keineswegs einen Freispruch für Weinstein. Das Urteil sei durch eine höhere Instanz nur deshalb aufgehoben worden, weil das vorherige Verfahren unfair gewesen sein solle – insofern, als darin auch Opfer von Weinstein als Zeuginnen gehört wurden, deren Fälle nicht Teil der Anklage waren. Die Aufhebung bedeute auch nicht, dass diese Zeuginnen die Unwahrheit gesagt hätten.

Es sei durchaus sinnvoll, in einem Fall wie diesem auch Zeuginnen, denen Ähnliches widerfahren sein soll, anzuhören. Dadurch könnten Muster erkennbar werden, Taten in der Vergangenheit, die die Glaubhaftigkeit der Aussagen stützten. „Wenn man Dinge isoliert sieht, stößt man nie auf das strukturelle Problem. Man kann Beschuldigte nicht ohne ihre Vorgeschichte beurteilen“ – wobei diese allein natürlich nicht für eine Verurteilung ausreiche.

„Aber die Errungenschaften der MeToo-Bewegung sind durch die Aufhebung des Urteils nicht weg – da geht es doch darum, dass Opfer endlich sexualisierte Gewalt offenbaren können.“ Allerdings: „Für Zeuginnen, die in so einem Prozess ausgesagt haben und dafür vor der Weltöffentlichkeit ihr gesamtes Privatleben durchleuchten lassen mussten, ist die Aufhebung selbstverständlich eine Zumutung.“

Auf die deutsche Rechtsprechung bezogen, hinterfragt Clemm im Einzelfall, ob ein Strafprozess aus Sicht der Betroffenen überhaupt das Richtige sei. Die Verfahren dauerten viel zu lang. Strafen seien selten und oft nicht sinnvoll, wenn sie nur im Wegsperren der Täter bestünden, und die abschreckende Wirkung selbst hoher Strafen sei gering. „Es geht um die Frage, welche Regularien wirklich helfen, sexualisierte Gewalt zu verhindern. Dort, wo es ein Machtgefälle gibt, wird es zu oft ausgenutzt, um sexualisierte Gewalt auszuüben.“

Wenn man teure Anwälte habe, könne man ein Verfahren lange hinauszögern. „Auf der Verletztenseite gibt es dagegen keine riesigen Fonds, mit denen Interessenvertretungen bezahlt werden können. Verurteilungen wegen sexualisierter Gewalt sind sehr selten. (…) In Deutschland ist es unglaublich gefährlich, jemanden, der über Macht und Geld verfügt, anzuzeigen. Die verletzten Personen müssen auf jeden Fall mit Gegenanzeigen und öffentlicher Vorverurteilung rechnen. (…) Deshalb sind quasi keine Täter in diesem Land bekannt. Es scheint sie nicht zu geben.“

Obwohl ein rechtsstaatliches Verfahren grundsätzliches etwas sehr Wichtiges und für die Demokratie Fundamentales sei, ist Clemm überzeugt: „Das Problem der sexualisierten Gewalt werden wir niemals allein über die Strafjustiz lösen. Wir müssen diese Gewalt gesamtgesellschaftlich bekämpfen. (…) Es bräuchte eine neue Haltung: Wer schweigt, macht mit.“

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Ein Beitrag von herCAREER, 
veröffentlicht bei LinkedIn 06.05.2024