„Viel zu viele Männer halten Gewalt gegen eine Frau für akzeptabel oder sind gar selbst schon gewalttätig geworden. Die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm vertritt vor Gericht Mütter, die sich und ihre Kinder dieser Gewalt entziehen wollen.“ ZEIT ONLINE hat Christina Clemm interviewt – deren Buch „Gegen Frauenhass“ gerade erschienen ist.
„In meinen Fällen, die vor dem Familiengericht gelandet sind, war Gewalt kein einmaliger Vorfall“, sagt Clemm. „Sie ist ein strukturelles Problem.“ Die Täter übten Macht aus und akzeptierten es nicht, wenn die Partnerin dem nicht mehr ausgesetzt sein wolle und sich ihnen entziehe. Oft verlagerten sie dann ihren Machtwunsch auf eine andere Ebene, häufig auf den Kampf um die Kinder.“
Für Kinder seien die Folgen des Miterlebens von Gewalt dramatisch. „Sie haben häufig massive psychische Probleme, Anpassungsstörungen, Angst- und Panikattacken und vieles mehr. Das Problem ist, dass sie in einer permanenten Ambivalenz leben, denn der Mensch, den sie eigentlich lieben, der sie eigentlich schützen soll, ist der Aggressor.“
Dass es in Deutschland zwei getrennte Rechtswege gibt – einerseits für die Strafverfolgung und andererseits für das Umgangsrecht mit den Kindern nach einer Trennung –, führt laut Clemm oft zu weiteren Problemen: „Meist legen die Familiengerichte sehr rasch zumindest begleiteten Umgang fest, weil sie keine sicheren Erkenntnisse haben und davon ausgehen, dass mit der Trennung die Gefahr gebannt sei. Aber das stimmt nicht.“ Sie erlebe immer wieder, dass Ex-Partner im Rahmen des begleiteten Umgangs den Frauen auflauerten und sie verfolgten. Wenn der Mann „nur“ die Frau geschlagen habe, werde ihm oft sogar unbegleiteter Umgang mit den Kindern gewährt.
Täterstrategien würden oft nicht durchschaut. Etwa die Strategie, die Mutter zu diskreditieren, indem der gewalttätige Mann sich als liebevoller Vater geriert, der im Gegensatz zur labilen Mutter den Kindern einen geregelten Alltag bieten könne.
In der Familienrechtsprechung hält sich nach Clemms Erfahrung immer noch „eine Skepsis gegenüber Frauen und der Mythos, dass sie vor dem Familiengericht lügen, um sich Vorteile zu verschaffen. Dabei man muss sich doch fragen: Wenn alles gut ist und eine Frau einfach nur diesen Mann nicht mehr liebt und gehen will, dann gibt es doch wirklich bessere Unterkünfte als ein Frauenhaus, schönere Stunden als bei der Kripo auszusagen, sich in Gewaltschutzambulanzen zu begeben und in therapeutische Kriseninterventionen.“
„Wir müssen uns viel mehr bewusst machen, dass häusliche Gewalt in jedem Umfeld vorkommt, in jeder gesellschaftlichen Schicht.“
Sie spreche so oft über Gewalt gegen Frauen, sagt Clemm. „Jedes Mal kennen meine Gesprächspartner Betroffene (…). Aber niemand kennt einen Täter. (…) Da senkt sich komischerweise immer Dunkelheit über das Thema. (…) Dabei ist es gesellschaftlich wirklich wichtig, zu fragen: Wer sind die Täter? Wo sind sie? Denn sie sind ja unter uns.“
Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
veröffentlicht bei LinkedIn 12.09.2023