Bei Themen wie Diversity oder Vereinbarung von Beruf und Familie kommen individuelle Lebensentwürfe zu kurz, findet der Film- und TV-Produzent, Journalist und Manager Hubertus Meyer-Burckhardt. Der Schriftsteller und Moderator, der unter anderem als Gastgeber der „NDR Talk Show“ bekannt ist, liest auf der herCAREER aus seinem Buch „Frauengeschichten“. Ein Gespräch über Frauen, Beruf und Berufung.
Warum Diversity mehr sein sollte als Beruf und Familie
herCAREER: Herr Meyer-Burckhardt, Sie sagen in Ihrem Statement für die herCAREER: „Für mich war die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau schon im Elternhaus vollkommen selbstverständlich und bedurfte schon damals keiner besonderen Erwähnung.“ Wie meinen Sie das genau?
Meyer-Burckhardt: Ich bin in einem Mutter- und Großmutter-Haus großgeworden. Mein Vater war Alkoholiker und neigte zu entsprechendem Verhalten. Wie in der griechischen Tragödie habe ich mich meines Vaters mit 12 entledigt und ihn rausgeschmissen. Meine Mutter „musste“ arbeiten, sie „durfte“ nicht zuhause bleiben. So war damals der Terminus technicus in den 70er Jahren. Sie war Altenpflegerin und sehr engagiert in ihrem Beruf. Sie hat sich als berufstätige Frau verstanden und war alleinstehende Mutter, was so manche einsame Minute impliziert hat. Außerdem waren wir Flüchtlinge, meine Großeltern sind mit meiner Mutter von Osten nach Westen geflohen, nach Kassel. Meine Mutter und meine Großmutter – das waren zwei resolute Frauen, die vom Zweiten Weltkrieg geprägt waren, vom Verlust von Heimat und allem Hab und Gut. Da war kein Raum für Selbstmitleid und Selbstreflexion. Sie waren sehr warmherzig, aber auch sehr selbstbewusst. Sie haben ihr eigenes Geld verdient.
herCAREER: Ihre Mutter war also Alleinverdienerin. Ist das ihre Vorstellung von Gleichberechtigung?
Meyer-Burckhardt: Gleichberechtigung heißt für mich, dass geschlechtsspezifische Kriterien keine Rolle spielen dürften. Für mich ist das selbstverständlich. Ob Mann oder Frau spielt für mich bei beruflichen oder existenziellen Fragen, die das Leben ausmachen, überhaupt keine Rolle. Deshalb wundere ich mich, dass das ein so großes Thema ist. Als ich vor 30 Jahren in der Werbung angefangen habe, hatte ich schon eine Chefin.
herCAREER: In Verlagen und Medienunternehmen arbeiten zwar viele Frauen, sitzen aber meist nicht im höheren Management…
Meyer-Burckhardt: Das ist nicht wahr. Gruner + Jahr, der Bauer Verlag, der RBB, der Mitteldeutsche Rundfunk – alle werden von einer Frau geführt.
herCAREER: Natürlich gibt es diese Frauen, aber sie sind insgesamt im Top-Management in der Branche deutlich in der Minderzahl.
Meyer-Burckhardt: Da ist vielleicht noch Luft nach oben, aber es stimmt nicht, dass nichts passiert. Ich bin ja auch Filmproduzent und habe viele Kolleginnen: Da ist Regina Ziegler, Katharina Trebitsch, Heike Wiehle-Timm, um nur ein paar zu nennen. Ich arbeite als Produzent auch an der Schnittstelle zu Sendern, beim ZDF, dem NDR oder beim BR. Ich habe mit so viel Frauen zu tun wie nie zuvor. Mein Eindruck ist, dass Frauen Männern heute deutlich mehr Respekt einflößen als früher. Jahrhunderte oder Jahrtausende wurden sie dominiert und jetzt haben sie die Aura einer nahezu furchteinflößenden Person. Männer müssen sich jetzt ein bisschen umkucken und das gefällt mir ganz gut.
herCAREER: Sie sprechen einmal im Monat im NDR Radio mit bemerkenswerten Frauen. Daraus ist das Buch „Frauengeschichten“ entstanden. Was interessiert Sie denn an den Frauen?
Meyer-Burckhardt: Veronica Ferres, Elke Heidenreich, Marianne Sägebrecht oder Ulrike Murmann, die erste Pröpstin in der Kirchengeschichte Hamburgs – viele der Frauen kenne ich persönlich gut. Dass sie prominent sind, interessiert mich an ihnen noch am wenigsten. Mich fasziniert vielmehr der Mensch. Ich flüchte ein bisschen ins Klischee, aber die Psychologin Eva Wlodarek hat wohl recht, als sie sinngemäß sagte: Männer kommunizieren über Status und Frauen über Beziehung. Männer finden sich viel mehr in der Funktion wieder und Frauen in der Person.
herCAREER: Damit bedienen sie gewisse Stereotype. Sollte man die nicht besser überwinden?
Meyer-Burckhardt: Das sind einfach Erfahrungen, die ich gemacht habe. Etwas anderes kann ich ja nicht beschreiben. So habe ich eben die Frauen wahrgenommen, die mir beruflich oder privat begegnet sind. Natürlich sind Frauen nicht nur so, wie ich sie in meinem Buch beschreibe.
herCAREER: Können Frauen aus Ihrer Sicht auch Solidarität?
Meyer-Burckhardt: Eine gewisse Kameraderie habe ich unter Männern in der Tat stärker erlebt. Dietrich Schwanitz nannte Freundschaften unter Männern ja treffen „Jagdgesellschaften“. Das mag sich aber gerade ändern. Zum Glück haben die Frauen aufgeholt. Meiner Meinung nach schaffen das die Frauen ohne Quote.
herCAREER: Warum genau sind Sie gegen die Quote?
Meyer-Burckhardt: Weil es bei der Besetzung einer Spitzenposition nur ein einziges Kriterium geben darf: nämlich das Können. Damit meine ich die Skills, die für die konkrete Funktion erforderlichen professionellen Voraussetzungen. Geschlecht, Religion, Herkunft, politische Überzeugung, die sich im demokratischen Kanon bewegt – das ist doch ganz egal. Von mir aus kann sich der Vorstand eines börsennotierten Unternehmens ausschließlich aus Frauen zusammensetzen, wenn es denn fachlich gerechtfertigt ist.
herCAREER: In vielen Berufen und Branchen haben Frauen die bessere Qualifikation und kommen trotzdem nicht zum Zug…
Meyer-Burckhardt: Da kann ich wieder nur von meiner Erfahrung sprechen. Als ich bei Axel Springer und ProSiebenSat.1 im Vorstand war, habe ich es auch erlebt, dass Frauen gewollt waren für die nächste Hierarchiestufe, sie aber aus persönlichen Gründen abgesagt haben, obwohl sie beispielsweise keine Kinder hatten. Das war ihnen einfach zu viel Stress. Sie wollten gar nicht die nächste Karrierestufe erklimmen – das gibt es übrigens bei Männern auch und das ist absolut zu akzeptieren.
herCAREER: Vielen Frauen ist die Quote zwar nicht sympathisch, aber sie sehen keinen anderen Weg, dass es Frauen stärker ins Management schaffen. Ähnlich ist das ja auch mit der Bezahlung. Noch immer verdienen Frauen teilweise sogar in den gleichen Positionen weniger als Männer…
Meyer-Burckhardt: Darüber brauchen wir gar nicht zu reden: Dass es das noch gibt, ist ein Skandal! Ich wundere mich immer, dass das mit unserer bundesrepublikanischen Verfassung überhaupt konform geht. Das ist mir ein Rätsel.
herCAREER: Sie moderieren zusammen mit Barbara Schöneberger die „NDR Talk Show“. Wie sieht das denn aus: Verdienen Sie beide gleich viel für die Moderation?
Meyer-Burckhardt: Ich weiß nicht, was Barbara verdient. Bei Moderatoren, Künstlern und auch Top-Managern kommt allerdings noch ein Aspekt dazu: Wir haben einen Marktwert. Da Barbara ein Star ist und ich definitiv nicht, hoffe ich, dass sie mehr verdient als ich, weil ihr Marktwert unstrittig größer ist. Ich will doch nicht auf diesem Feld eine Gleichheit haben. Ich kann ja auch nicht einen Film besetzen und sagen, Meryl Streep darf nur genauso viel verdienen wie ihr männlicher Kollege, der ein hervorragender Schauspieler sein mag, aber eben kein Star ist.
herCAREER: Noch mal zurück zu ihrem Buch Frauengeschichten. Der Untertitel lautet: „Was ich von starken Frauen gelernt habe“. Was macht denn aus Ihrer Sicht „eine starke Frau“ aus?
Meyer-Burckhardt: Dasselbe, was einen starken Mann auch ausmacht: Autonomie. Für mich ist das jemand, der sich eine gewisse Mühe gegeben hat, den eigenen Lebensweg zu finden. Das sind Menschen, die ihren Bedürfnissen gefolgt sind, unabhängig von den Kriterien, die eine Gesellschaft für sie vorsieht. Mich beeindrucken Menschen, die auf Eigenständigkeit Wert legen und unabhängig im Denken sind. Mit dem Ausdruck meine ich natürlich nicht die physische Stärke, mit der ich mich im Wettbewerb durchsetze wie ein Meister Proper. Es gibt einen ganz schönen Satz des Dichters Novalis: Glück ist Talent für das eigene Schicksal. Ich mag den Satz sehr.
herCAREER: Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es eher unüblich, von „einem starken Mann“ zu sprechen. Wenn Frauen aber das tun, was Männer immer tun, dann sind sie plötzlich starke Frauen. Zementiert dies nicht die Annahme, dass diese Frauen Ausnahmen sind?
Meyer-Burckhardt: Ich zeige hauptsächlich prominente, aber nicht nur berühmte Frauen. Es sind Frauen, die in ihrem Fach eine Spur hinterlassen haben, wie beispielsweise die Hirnforscherin Prof. Birgit Liss oder Insa Thiele-Eich, die als Astronautin auf die Raumstation ISS fliegen wird. Das sind auch nicht Frauen, die besonders maskulin auftreten, sondern einfach solche, die einen guten Kompromiss mit der Gesellschaft geschlossen haben. Wir alle müssen die Frage für uns beantworten, wie viel wir geben und nehmen können, ohne dass es auf unsere Kosten geht, wir aber trotzdem überleben in dieser auf Wettbewerb fußenden Welt. Das gilt für Männer und Frauen in gleicher Weise, zum Beispiel in Bezug auf ihre Elternrolle. In Berlin sehe ich in letzter Zeit viele junge Väter, die ihre Kinder vor der Brust hertragen.
herCAREER: Wie hatten Sie denn mit ihrer ersten Frau und Mutter Ihrer Kinder die Familienarbeit aufgeteilt?
Meyer-Burckhardt: Bei meiner ersten Ehe bin ich rausgegangen in die Welt und meine Frau war zu Hause und hat sich um die Kinder gekümmert. Und ich fand die Verabredung gar nicht diskreditierend. Auch das muss möglich sein, so wie es auch umgekehrt Frauen gibt, die Karriere machen und der Mann bleibt zu Hause. Bei mir war es eben eine klassische und traditionelle geschlechterspezifische Aufteilung.
herCAREER: Würden Sie das heute vielleicht anders machen wollen?
Meyer-Burckhardt: Ich weiß es nicht. Ich bin immer in Berufen gewesen, in denen eine starke persönliche Bindung die Voraussetzung war. Ich produziere gerade meinen 33. Film. Da kann ich nicht sagen, ich gehe dann mal nach Hause und arbeite am Freitag von dort aus. Das ist wie in einem Handwerksbetrieb. In der Filmproduktion haben Sie nicht die personelle Ausstattung wie in einem großen Unternehmen. Außerdem gibt es einfach Projekte, die einen Kapitän brauchen, der erreichbar ist. Wenn Sie einen Film mit Kapitalbindung von fast zwei Millionen Millionen Euro durchbringen wollen, dann können Sie nicht halbe Kraft machen. Es gibt Berufe, die sind nicht familientauglich. Die sind einfach eine Berufung.
herCAREER: Modelle wie Co-Leadership, bei dem man einen Tandempartner in der Führung hat, können Sie sich in Ihrer Branche nicht vorstellen?
Meyer-Burckhardt: Ich kann mir das generell schon in der Branche vorstellen, aber für mich nicht. Ich habe so klare Vorstellungen, wie etwas laufen und aussehen soll, dass ich die Produzenten-Tätigkeit nicht teilen möchte. In der ganzen Diskussion um Gleichberechtigung ist komischerweise immer eine sehr tradierte Vorstellung dominant.
herCAREER: Sie finden also die Diversity-Diskussion zu dogmatisch?
Meyer-Burckhardt: Ich würde eher sagen: zu fantasielos. Es gibt auch glückliche Lebensentwürfe für Kinderlose und Singles. Was unser Paar-Bild angeht, sind wir immer noch von Amor und Psyche oder Romeo und Julia geprägt. Das Leben erfährt erst eine Erfüllung, wenn ich einen Partner habe. Ich halte das für völligen Quatsch. In einer pluralen Welt muss es doch möglich sein, auch anders zu leben. Ich kenne Frauen, die eine beachtliche Karriere gemacht haben und zu keinem Zeitpunkt Kinder wollten. Das kommt in der ganzen Diskussion überhaupt nicht vor. Es heißt ja immer, man müsse Beruf und Familie vereinen, so als ob es überhaupt kein Glück geben könne ohne Familie. Das hat fast schon etwas Spießbürgerliches.
herCAREER: Was halten Sie von Diversity-Initiativen und Frauen-Karrieremessen wie der herCAREER, wo Sie bald Ihr Buch vorstellen werden?
Meyer-Burckhardt: Das ist ja eine gewisse Industrie geworden. Viele Lifestyle-Magazine leben sehr gut von der „Working Woman“. Ich bin dessen ein wenig müde geworden, gebe ich gerne zu. Von der Messe herCAREER erwarte ich mir aber interessante Gespräche.
Auf der herCAREER präsentiert Hubertus Meyer-Burckhardt beim Authors-MeetUp am Donnerstag, 10. Oktober 2019, von 12.45 bis 13.25 Uhr sein Buch „Frauengeschichten“. Darin versammelt der Autor zehn herausragende Gespräche mit erfolgreichen Frauen, für die das Leben eine „ungesicherte Unfallstelle“ ist – ein offener Raum für Neues, in dem Unvorhergesehenes entstehen kann.
Über die Person
Hubertus Meyer-Burckhardt, geb. 1956, ist ein preisgekrönter Film- und TV-Produzent, Journalist, Manager in der Medienbranche und Autor. Mehr als 15 Jahre moderiert er inzwischen die „NDR Talk Show“, seit 2008 an der Seite von Barbara Schöneberger. Beim Hörfunksender NDR Info hat er einen eigenen Talk. Angelehnt an die Radiosendung „Meyer-Burckhardts Frauengeschichten“, in der er einmal pro Monat eine bemerkenswerte Frau vorstellt, entstand 2017 sein erstes Sachbuch mit dem Titel „Frauengeschichten“. Vorher waren von ihm bereits die Romane „Die Kündigung“ (2011) „Die kleine Geschichte einer großen Liebe“ (2014) und „Meine Tage mit Fabienne“ (2016) erschienen. Meyer-Burckhardt hatte schon in zahlreichen Medienunternehmen wie der Agentur BBDO, der Multimedia Film- und Fernsehproduktion GmbH Hamburg (Joint-Venture der Axel Springer AG mit der Studio Hamburg GmbH) und ProSiebenSat.1 Media AG führende Managementpositionen inne. Er lebt in Hamburg, ist Vater von zwei Kindern und mit der Journalistin Dorothee Röhrig verheiratet.
Hier finden Sie die aktuelle Pressemitteilung von Hubertus Meyer-Burckhardt.