Die CDU-Jungpolitikerin Jenna Behrends rechnet in ihrem Buch „Rabenvater Staat“ mit einer „rückwärtsgewandten Familienpolitik“ ab. Ihre Forderung: Die staatlichen Ausgaben für Familien sollten viel stärker bei den Kindern ankommen. Am 10. Oktober ist sie als Speakerin beim Authors-MeetUp auf der herCAREER und als Table Captain bei der herCAREER@Night in München zu Gast.
„Jedes Lebensmodell hat seine Berechtigung. Der Fehler liegt nicht bei den Eltern, der Fehler liegt im System.“
herCAREER: Sie wurden als Jurastudentin im Alter von 23 erstmals Mutter. Vor wenigen Wochen haben Sie mit 29 Ihr zweites Kind bekommen. Was waren für Sie die größten Herausforderungen als Mutter bisher?
Das sind vor allem die Alltagsfragen und -probleme, vor denen man plötzlich steht. Das beginnt bei der Suche nach einer Hebamme, geht weiter mit fehlenden Kinderärztinnen und Ärzten für die Vorsorgeuntersuchungen bis hin zu einem Kitaplatz. Offiziell haben Eltern einen Rechtsanspruch für einen Kitaplatz, tatsächlich gibt nicht genug ausgebildete ErzieherInnen. Am Ende steht man auf diversen Wartelisten und hofft, dass man doch noch ein Betreuungsplatz ergattert. Das ist für die betroffenen Familien sehr nervenaufreibend.
herCAREER: Was hat sich in der Zwischenzeit in Sachen Familienpolitik für Sie verändert?
Die Familienpolitik stand politisch in den vergangenen sechs Jahren so gut wie gar nicht auf der Agenda der Bundesregierung – da gab es andere Themen. Der letzte Wurf war wohl die Neugestaltung des Elterngeldes mit dem „Elterngeld plus“. Nur, die richtig großen und notwendigen Veränderungen wurden leider nicht angestoßen.
herCAREER: Sie schreiben im Vorwort des Buchs, Eltern bekriegen einander aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebensmodelle. Wie haben Sie das selbst erlebt? Und was hat das mit dem Staat zu tun?
Wenn man sich für ein Lebensmodell entschieden hat, hat man sich gleichzeitig gegen andere entschieden. Dass dann eine leichte Abwertung gegenüber allem anderen geschieht, ist menschlich. Mütter fragen sich: Gehe ich früh in den Job zurück und habe dabei eventuell ein schlechtes Gewissen, oder bleibe ich länger zuhause und frage mich, ob ich nicht längst in Job einsteigen hätte müssen, weil es mit meiner Karriere sonst bergab geht. Egal welchen Weg man wählt, man wird immer von anderen be- und verurteilt – vom eigenen Umfeld, von anderen Eltern. Ich plädiere dafür, dass Eltern damit aufhören, sich gegenseitig ihre Lebensmodelle vorzuwerfen, sondern dass sie erkennen: jedes Lebensmodell hat seine Berechtigung. Der Fehler liegt nicht bei den Eltern, der Fehler liegt im System.
herCAREER: Sie kreiden der deutschen Regierung im Buch „Rabenvater Staat“ an, eine rückwärtsgewandte Familienpolitik zu praktizieren. Inwiefern?
Eine erfolgreiche Familienpolitik, die tatsächlich bei den Menschen ankommt, muss sich an der Lebensrealität junger Eltern orientieren, an deren Wünschen und Vorstellungen, wie ein gelungenes Leben denn aussehen sollte – und nicht am Leben früherer Generationen. Heutzutage wollen Väter stärker ins Familienleben involviert sein und Mütter wollen arbeiten. Daran sollte unser Sozialrecht angepasst werden – und genauso das Steuerrecht.
herCAREER: Was gehört Ihrer Ansicht nach am dringlichsten reformiert?
Es gibt zu viele familienpolitische Maßnahmen, das Angebot ist zu unübersichtlich, die Zuständigkeiten sind komplex. Viele Familien wissen gar nicht, worauf sie Anspruch haben. Für die eine Sache muss man zur Behörde eins, für die andere zu Behörde zwei – die dann wieder dieselben Dokumente benötigt. Hier müssen Familien unnötig viel Zeit investieren. Es wäre sehr sinnvoll, all diese Maßnahmen und Ansprechpartner an einem zentralen Ort zu bündeln – wie in einem Zentrum für Familien, wo Eltern all ihre Anträge stellen können und über alle Leistungen und auch über Kinderbetreuungsplätze informiert werden. Es ist ja kein Einzelfall in Deutschland, dass ein Kind geboren wird.
herCAREER: Sie prangern an, dass die deutsche Familienpolitik das klassische Rollenmodell Vater-Mutter-Kinder honoriert, Frauen und dabei vor allem Alleinerzieherinnen aber auf der Strecke bleiben. Inwiefern ist das so und was würden Sie da ändern?
Egal für welches Lebensmodell sich eine Familie entscheidet, ihr sollte von der Politik Wertschätzung entgegengebracht werden. Ich habe für mein Buch Patchworkfamilien besucht, genauso wie die bayrische Hausfrau, ein lesbisches Doppelverdienerpaar und Alleinerziehende. Diese Familien haben das Gefühl, dass sie viel für die Gesellschaft leisten, indem sie Zeit und Geld in die nächste Generation investieren – aber dass sie im Gegenzug wenig von der Gesellschaft zurückbekommen und teilweise rechtlich gar nicht berücksichtigt werden, wenn sie etwa das Wechselmodell leben. Das momentane Fördersystem konzentriert sich auf das klassische Vater-Mutter-Kind-Modell. Und selbst darin ist es sehr widersprüchlich: Eine verheiratete Mutter wird etwa durch das Ehegattensplitting, die kostenfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und auch durch Minijobs dazu gedrängt, sich vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen. Nach der Scheidung soll sie aber sofort wieder auf den eigenen Beinen stehen – sie erhält in der Regel nur Unterhalt, wenn das Kind jünger als drei ist.
herCAREER: Was wäre hier Ihre Lösung?
Das Ehegattensplitting lässt sich nicht ganz abschaffen, da es auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückgeht. Das Existenzminimum beider Partner muss immer steuerfrei bleiben. Aber ein Teil des Ehegattensplittings, der Progressionsvorteil – der durch die fiktive Halbierung der Gesamteinkünfte des Paares entsteht – , kann abgeschafft werden. Dieses Geld sollten wiresser in die Kinder investieren – unabhängig davon, ob ihre Eltern verheiratet sind und in einem gemeinsamen Haushalt leben oder nicht. Familienpolitik sollte sich viel stärker an den Kindern orientieren und nicht am finanziellen und beziehungsmäßigen Status der Eltern.
herCAREER: Wie erklären Sie sich diese Ineffektivität und Intransparenz bei den Familienförderungen?
Das liegt am System. Es gibt nicht die eine Familienpolitik. Stattdessen ist mal der Bund zuständig, mal die Länder und dann die Kommunen. Auch auf Bundesebene sind verschiedene Ministerien für Familien zuständig, das Arbeitsministerium genauso wie das Innenministerium, in dessen Bereich das Thema Bauen fällt. Das Familienministerium selbst ist eines der kleinsten Ministerien mit wenig finanziellem Spielraum. Die innovativste Familienministerin kann nichts bewegen, wenn sie nicht das Finanzministerium auf ihrer Seite hat. Wir bräuchten einen Finanzminister oder eine -ministerin, die familienpolitisch denkt und handelt.
herCAREER: Was würden Sie als ersten Schritt im Fördersystem ändern? Was wäre Ihre konkreten Lösungsvorschläge?
Das aus meiner Sicht drängendste Problem ist die Kinderbetreuung. Für sie gibt es zwar einen Rechtsanspruch, der den Eltern aber nichts nützt, wenn der Betreuungsschlüssel in der Kita schlecht ist und die Erzieherinnen und Erzieher unzureichend ausgebildet sind. Das Betreuungsproblem geht außerdem auch in der Schule weiter: Ich kann schlecht meinem Grundschulkind den Wohnungsschlüssel in die Hand drücken. Ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Schulen existiert aber noch nicht. Überhaupt müssen wir die Interessen von Familien bei politischen Entscheidungen viel stärker berücksichtigen – etwa, wenn wir über die Reform des Rentensystems diskutieren.
herCAREER: Ihre Systemkritik klingt eher nach einer grünen Politikerin. Warum engagieren Sie sich für die CDU, die ja doch am traditionellen Familienbild festhält und in den vergangenen 37 Jahren immerhin 22 Jahre lang das Familienministerium bekleidet hat?
Für mich ist Familie ein konservatives Thema. Wenn uns wichtig ist, dass es Zusammenhalt in den Familien gibt, dass Menschen bereit sind, füreinander Verantwortung zu übernehmen, – so wie es auch die CDU sieht – dann müssen wir entsprechende Rahmenbedingungen schaffen und diese Familien unterstützen. Der Grundgedanke ist konservativ, aber er muss dem Jahr 2019 entsprechen. Das Elterngeld und die Partnermonate, die fälschlicherweise als Vätermonate bezeichnet werden, sollten Vätern einen Anreiz bieten, sich stärker in ihre Familien einzubinden: das sind nicht ganz so konservative Gedanken und sie kamen dennoch aus der CDU. Aber wir dürfen auch Sichtweisen an die Realität anpassen, den Familienbegriff zu erweitern und nicht das klassische verheiratete Paar zu sehen, sondern auch mitbedenken, dass 20 Prozent der Kinder bei Alleinerziehenden aufwachsen. Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, diese Familien nicht als Familien wahrzunehmen.
herCAREER: Sie haben auch eine Sexismus-Debatte ausgelöst, als Sie in Ihrem Kommentar bei der Edition F über sexuelle Übergriffe in der CDU berichtet haben. Wie sehen Sie Ihre Erfahrungen im Nachhinein: haben Sie damit was bewirkt?
Mein Kommentar ist ein Jahr vor der „Me-too“-Debatte erschienen. Er hat damals auch innerhalb der CDU viel Irritation ausgelöst – vielen war damals die Größe des Themas gar nicht bewusst. Die Einordnung des Themas ist heute eine andere, es wird von der Bundeskanzlerin, der Parteivorsitzenden immer wieder aufgegriffen. Darüber bin ich sehr froh. Heute muss man sich erklären, wenn man nicht auf die Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Kabinettszusammensetzung achtet.
herCAREER: Was wünschen Sie sich für Familien in Deutschland? Und was für Ihre eigene Familie?
Für Familien in Deutschland wünsche ich mir, dass sie wieder mehr in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit rücken, ähnlich, wie es beim glücklicherweise Klimawandel geschieht. Es wird Zeit für eine Debatte um die besten Ideen in der Familienpolitik. Und meiner Familie wünsche ich erstmal erholsamere Nächte nach den ersten Wochen mit unserem Baby.
Auf der herCAREER in München stellt Jenna Behrends beim Authors-MeetUp am Donnerstag, 10. Oktober, um 14.50 Uhr ihr Buch „Rabenvater Staat: Warum unsere Familienpolitik einen Neustart braucht“ vor und ist als Table Captain auf der herCAREER@Night zu Gast.
Über die Person
Jenna Behrends, geboren 1990, absolvierte eine journalistische Ausbildung und studierte Jura. Mit 23 Jahren bekam sie ein Kind. Als getrennt erziehende Mutter war sie nun persönlich mit den Schwächen der Familienpolitik konfrontiert. Sie beschloss, politisch aktiv zu werden, trat der CDU bei und wurde in die Bezirksverordnetenversammlung Berlin Mitte gewählt. Bekannt wurde sie durch einen offenen Brief an ihre Partei, der eine bundesweite Diskussion über Sexismus in der Politik auslöste.
Hier finden Sie die aktuelle Pressemitteilung von Jenna Behrends.