Ihr Abgang von der politischen Bühne kam für viele überraschend: Katja Suding, ehemals stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, gab 2020 bekannt, dass sie zur Bundestagswahl nicht mehr kandidieren wird. In ihrem Buch „Reißleine“ erzählt sie die Geschichte ihrer Politik-Karriere und warum sie diese beendet hat. Bevor sie im Oktober zur Messe herCAREER nach München kommt, haben wir mit ihr über Höhen und Tiefen politischer Arbeit und den richtigen Zeitpunkt für einen Neuanfang gesprochen.
Nebenwirkungen einer Politikkarriere: Warum Katja Suding die Reißleine zog
herCAREER: Frau Suding, Ihr Einstieg in die Politik kam Knall auf Fall. Als 2011 in der Hamburger Bürgerschaft Neuwahlen anstanden, übernahmen Sie die Spitzenkandidatur. Warum sind Sie in die Politik?
Katja Suding: Ich wollte liberale Politik sichtbar machen. Die Bildungsgerechtigkeit war mir dabei ein besonderes Anliegen: Wir müssen den Bildungserfolg von Kindern unabhängiger von Elternhaus und Herkunft machen. 2010 war ich noch hauptberuflich als freie Kommunikationsberaterin tätig. Bei der Wahlkreiskandidatur 2008 in Hamburg-Altona für den Bundestag hatte ich meine Sache gut gemacht. Der Gedanke an eine Kandidatur für die Hamburgische Bürgerschaft war mir zwar schon gekommen. Aber das war dann doch alles ganz überraschend, als die schwarz-grüne Koalition plötzlich platzte.
herCAREER: Sie hatten sich also keine Karrierestrategie zurechtgelegt?
Katja Suding: Nein, gar nicht. Das geschah alles in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Unsere Chancen standen schlecht, überhaupt die 5-Prozent-Hürde zu überspringen. Aber gerade solche Situationen haben mich immer total angespornt. Ich habe eine Chance genutzt, die wir eigentlich gar nicht hatten.
herCAREER: Sie waren Mitglied des Deutschen Bundestages und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP – und machten eine steile Karriere in der Politik, trotz dieser widrigen Umstände. War das nicht eine große Genugtuung für Sie?
Katja Suding: Das war natürlich großartig. Zunächst, dass wir es geschafft haben, wieder eine liberale Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft zu haben – in einem Landesparlament! Das hätte mir kaum jemand zugetraut. Und das dann 2015 aus einer noch schlechteren Ausgangsbasis zu wiederholen erst recht nicht. Wir waren ja 2013 aus dem Bundestag geflogen. Das macht sich im Landesparlament negativ bemerkbar. Dann konnte ich 2017 sogar den Wiedereinzug in den Bundestag mitgestalten. Das war wie ein Rausch.
herCAREER: Dennoch beschreiben Sie in Ihrem Buch, dass Sie den Erfolg nicht so recht genießen konnten. Sie sagen, der Politikbetrieb habe Sie zu einer „Maschine“ gemacht…
Katja Suding: In die Politik zu gehen, hatte Nebenwirkungen für mich – und das habe ich schnell gemerkt. Der politische Erfolg lebt von der Kommunikation mit den Wählerinnen und Wählern. Man muss sichtbar sein. Für mich als Mensch war das schwierig. Und das hat sich im Lauf der Zeit nicht wirklich verbessert. Ich habe lange mit einem Widerspruch gelebt: auf der einen Seite unbedingt gestalten zu wollen und andererseits als Privatperson einen hohen Preis dafür zu zahlen. Meine Emotionen habe ich einfach niedergeknüppelt. Das ging so lange gut, wie ich eine politische Mission hatte, die ich unbedingt erfüllen wollte. Als wir 2017 zurück im Bundestag waren, war damit ein großes Kapitel abgeschlossen. Auch wenn ich natürlich noch politische Ziele hatte und habe. Aber das hat mit dazu beigetragen, dass es mir die persönlichen Opfer nicht mehr wert war.
herCAREER: Bevor Sie Vollzeit in die Politik gingen, waren Sie freie Kommunikationsberaterin. Hat Sie das nicht ein Stückweit auf die Arbeit im Politikbetrieb vorbereitet?
Katja Suding: Natürlich wusste ich, wie die Medien funktionieren. Aber auf so eine Situation kann man sich nicht wirklich vorbereiten. Ich bin ja ins kalte Wasser gesprungen – als ich den Fraktionsvorsitz übernahm, hatte ich vorher noch nie in einem Parlament gesessen. Und kam dann gleich in eine Führungsrolle.
herCAREER: Die Medien sind nicht zimperlich mit Ihnen umgegangen. Zu Beginn Ihrer Karriere machten Sie Schlagzeilen als „Westerwelles Next Topmodel“. 2015 zeigte die ARD einen Bericht mit einem langen Schwenk über Ihre Beine. Haben Ihnen diese sexistischen Bilder geschadet oder genützt?
Katja Suding: Beides. Es ist nichts, was man gerne als Politikerin über sich liest oder sieht. Aber dennoch konnte ich darüber nicht klagen, denn auch hier war ich in einem Zwiespalt. Natürlich wusste ich, dass das für mich als Politikerin und für meine Partei ein Geschenk war. Die Aufmerksamkeit, die ich dadurch gewonnen habe, war sensationell. Und ohne eine solche Aufmerksamkeit hätten wir die Wahlen in den schwierigen Situationen 2011 und 2015 nicht gewinnen können. Wenn wir in der Politik die Menschen nicht erreichen, wählen sie uns auch nicht. Das Medienspiel gehört mit dazu, wenn man Politik machen will. Persönliche Befindlichkeiten habe ich dafür zurückgestellt.
herCAREER: Sind Sie dafür nicht auch angegriffen worden? Wie haben denn andere Frauen darauf reagiert, dass Sie das Spiel der Medien mitgespielt haben?
Katja Suding: Viele Frauen, aber auch Männer, haben sich zu Recht über manche Darstellung meiner Person aufgeregt. So sollte man Frauen in der Politik nicht darstellen. Aber ich habe mich ja nicht nur instrumentalisieren lassen. Ich habe den Spieß umgedreht und auch die Medien für meine Zwecke eingesetzt – ich bin nicht nur die Ausgenutzte gewesen. Nach dem besagten Kameraschwenk über meine Beine hat sich der damalige Chefredakteur der Tagesschau bei mir entschuldigt, zu Recht. Natürlich gab es da viele Stimmen und Ratschläge – auch aus meiner Partei – meine Empörung öffentlich zu machen. Ich habe die Entschuldigung aber angenommen und mit einer gewissen Leichtigkeit einen Satz gesagt, der medial durch die Decke ging, nämlich: „Jetzt weiß aber jeder, dass ich mit meinen sportlichen Beinen jede Fünf-Prozent-Hürde überspringen kann.“ Das lief dann rauf und runter und damit hatte ich das Heft wieder in der Hand.
herCAREER: Häufig hinterfragen die Medien die Integrität von Menschen in der Politik – und gefühlt vor allem, wenn sie Frauen sind. Denken wir zum Beispiel an die Sache mit dem beschönigten Lebenslauf von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Werden Frauen in der Politik medial schneller abgestraft als Männer?
Katja Suding: Das würde ich nicht generell so behaupten – nicht jede Kritik ist frauenfeindlich. Man muss unterscheiden: Wenn wir über gefälschte Abschlüsse oder generell Unwahrheiten sprechen – das darf man auch Frauen natürlich nicht durchgehen lassen. Wenn wir das mit der Gleichberechtigung ernst nehmen, haben Frauen hier keinen Bonus. Nehmen wir die ehemalige Familienministerin Anne Spiegel, die über ihre Urlaubsreise nicht die Wahrheit gesagt hat. Da lässt sich auch nicht damit entschuldigen, Kinder zu haben. Die Wählerinnen und Wähler haben ein Recht darauf, dass die Menschen, die sich für ein hohes Regierungsamt bewerben, mit voller Kraft dabei sind. Es kommt immer darauf an, wie man mit bestimmten Vorwürfen umgeht und wie man kommuniziert.
herCAREER: Aber bei Frauen geht es doch schon häufiger um Äußerlichkeiten, oder? Wenn man Sie zum Beispiel googelt, kommen Suchvorschläge wie Katja Suding plus Ehemann, privat, neuer Freund, Partner, Scheidung…
Katja Suding: Das habe ich schon öfter gehört, aber ist das nicht bei den Männern genauso? Menschen ticken so. Das kennt man auch aus Gesprächen im Bekanntenkreis: Viele interessieren sich einfach immer am meisten für das Persönliche. Also wenn ich mir Robert Habeck oder Christian Lindner so anschaue, da geht es auch oft um Äußerlichkeiten. Was passiert denn, wenn man die beiden googelt?
herCAREER: Probieren wir es aus. Da kommen tatsächlich ähnliche Begriffe. Bei Robert Habeck: Kinder, Ehefrau, Haus, Gehalt, Körpergröße, Söhne, Familie. Bei Christian Lindner: Hochzeit, Porsche, Kinder, Vermögen, Freundin, Alter, Ehefrau. Also guter Punkt. Werden demnach in der Politik gar keine anderen Ansprüche an Frauen gestellt als an Männer?
Katja Suding: Doch schon. Frauen werden in der Tendenz noch stärker als Männer aufgrund von Äußerlichkeiten bewertet. Trotzdem habe ich mich nie vorrangig als Frau in der Politik gesehen, sondern als ein Mensch, der Politik macht. Und dafür sehr hart arbeiten muss.
herCAREER: Belastet hat Sie zu der Zeit auch der Umgang in der Partei. Sie beschreiben die Atmosphäre als toxisch. Häufig haben Sie Lästeranrufe erhalten, die dem Ziel dienten, andere Parteikolleg:innen schlecht zu machen. Sie haben durchaus auch mal ausgeteilt, auch wenn deutlich transparenter. Hat der Politikbetrieb Sie mehr verändert als Sie die Politik verändern konnten?
Katja Suding: Natürlich habe ich es nicht geschafft, das politische System komplett zu ändern. Dafür sind die Strukturen zu eingefahren. Aber ich habe etwas bewegt – vor allem, als ich für mich die Entscheidung getroffen habe, bestimmte Spielchen nicht mehr mitzuspielen. Das hieß dann, harte Kämpfe austragen, die letztlich aber auch fruchteten. In meiner Zeit als Landesvorsitzende habe ich beispielsweise eine völlig andere Sitzungsleitung gepflegt. Dadurch konnte ich mehr Frauen für die Vorstandsarbeit gewinnen.
herCAREER: Wie gelingt das – mehr Frauen für die politische Arbeit zu gewinnen?
Katja Suding: Frauen wollen anders angesprochen werden. Wenn man ihnen etwas vorschlägt, sagen sie nicht gleich „Hurra!“ – im Gegensatz zu den Männern. Tendenziell zweifeln sie mehr – an der Sinnhaftigkeit von Themen, aber auch an sich selbst. Dann ist das auch eine Frage davon, wie gearbeitet wird: Sitzung reiht sich an Sitzung und sie sind unnötig lang. Das nervt auch viele Männer. Aber für Frauen ist es schlimmer – sicher auch, weil sie immer noch mehr als Männer mit Mehrfachbelastungen aus Berufstätigkeit plus Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege von Angehörigen zu kämpfen haben. Als ich die Sitzungen viel stringenter gestaltet habe, konnte ich gute Männer kriegen, aber eben auch viele tolle Frauen.
herCAREER: Eine Frauenquote finden Sie als Liberale vermutlich wenig zielführend, oder?
Katja Suding: Eine Quote für Listenplätze bei Wahlen ist für mich aus demokratietheoretischer Sicht schwierig. Das hieße ja vorzuschreiben, wie man zu wählen hat. Da habe ich ernste verfassungsrechtliche Bedenken. Wir haben ein Wahlrecht. Natürlich hätte das den Effekt, dass mehr Frauen ins Parlament kommen – das ist unbestritten und wäre wünschenswert. Ich setze aber mehr darauf, die Rahmenbedingungen zu verändern. Zwar möchte ich Männern nicht absprechen, dass sie gute Politik für Frauen machen können. So wie ich umgekehrt auch gute Politik für Männer machen kann. Aber wir brauchen eine Vielfalt der Perspektiven und deshalb ist ein diverses Parlament gut.
herCAREER: In der Politik herrscht noch ein sehr heroisches Führungsbild vor: Politische Leitfiguren sollen immer die Lösung sofort parat haben. In der heutigen Welt der Vielfachkrise ist das doch vollkommen unrealistisch. Braucht die Politik einen neuen Führungsstil?
Katja Suding: Politische Führungsfiguren müssen sich immer wieder um Mehrheiten in den eigenen Reihen bemühen, das erschwert einen neuen Führungsstil. Aber ich glaube, dass es möglich ist und ich habe vieles anders gemacht. Und doch habe ich es damals nicht geschafft oder es mir nicht getraut, komplett anders zu sein. Vielmehr habe ich versucht, keine Schwäche zu zeigen – weil ich wusste, das würde knallhart ausgeschlachtet werden. Interessanterweise ist es gerade das Markenzeichen eines Mannes geworden, den eigenen Denkprozess öffentlich zu machen und auch mal zuzugeben, noch keine Antwort zu haben – nämlich Robert Habeck. Ich kann mir vorstellen, dass man ihm das als weibliche Schwäche ausgelegt hätte, wäre er eine Frau. Ich denke aber, dass er es nicht übertreiben darf. Denn als Minister muss er am Ende gute und fundierte Entscheidungen treffen, gerade in solch krisenhaften Zeiten wie diesen.
herCAREER: Sie erzählen in Ihrem Buch, dass Sie alles andere als eine „Rampensau“ sind. Öffentliche Reden waren für Sie der Horror, obwohl sie sich dabei eigentlich sehr gut geschlagen haben. Warum war diese Seite der politischen Arbeit für Sie so schrecklich?
Katja Suding: Ich stand nicht gerne als Politikerin auf einer Bühne. Obwohl ich das mit der Zeit gelernt habe. Am Anfang hatte ich ganz schreckliche Auftritte, aber das ist mit der Erfahrung viel besser geworden. Oft habe ich viel Lob für meine Reden bekommen. Kaum jemand hat bemerkt, wie unwohl ich mich meist gefühlt habe. Das war echt anstrengend, nicht nur der Auftritt an sich, sondern auch, meine Unsicherheit zu verbergen. Der schönste Augenblick war für mich eigentlich immer, wenn ich die Bühne verlassen durfte.
herCAREER: Manchmal haben Sie sich gewünscht, eher die Treppe herunterzufallen und nicht mehr in der Lage zu sein, ans Rednerpult zu gehen. Waren solche Momente auch der Anlass, dass Sie sich erstmals gefragt haben: Ist dieser Job der Richtige für mich?
Katja Suding: Diese Gedanken hatte ich nur in meinen Anfangsjahren. Die Gedanken über meinen Ausstieg waren ein schleichender Prozess. So richtig hinterfragt habe ich das erst Anfang 2020 – also kurz vor Beginn der Pandemie. Für den Herbst standen die Listenaufstellungen für die Bundestagswahl 2021 an. Mir wurde bewusst, dass mir nicht so klar war wie bei den Malen zuvor, dass ich weitermachen will. Wegen der Bürgerschaftswahl im Februar 2020 und der direkt danach beginnenden Pandemie habe ich diese Gedanken aber erstmal beiseitegeschoben, sie waren unangenehm für mich.
herCAREER: Was waren das für Überlegungen, die Ihnen da durch den Kopf gingen?
Katja Suding: Ich hatte durchaus Angst vor der Zukunft. Das waren so Fragen wie: Was mache ich denn eigentlich, wenn ich das Mandat nicht mehr habe? Wie geht es beruflich und wirtschaftlich weiter? Wie komme ich mit dem Bedeutungsverlust zurecht? Findet man mich dann noch spannend? Muss ich mir ein ganz neues Netzwerk suchen? Und dann kam nach ein paar Monaten der Punkt, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Ich konnte drei Wochen nicht arbeiten, habe mich in der Zeit aus der parlamentarischen Arbeit zurückgezogen.
herCAREER: Das hört sich so an, als wären Sie kurz vor einem Burnout gewesen…
Katja Suding: Ich weiß nicht, ob es so weit gekommen wäre, wenn ich weiter gemacht hätte. Zum Glück habe ich bemerkt, dass es so nicht weitergehen konnte und etwas passieren musste. Ich habe dann ein Seminar besucht, das mir sehr geholfen hat, mich neu zu orientieren.
herCAREER: Was war das für ein Seminar?
Katja Suding: Es ging darum, Zugang zum inneren Kind zu bekommen – also die eigene frühkindliche Geschichte zu reflektieren und Motive des eigenen Handelns besser zu verstehen. Ich hatte als Kind das Gefühl, meine Talente und Fähigkeiten würden nicht angemessen gesehen. Deshalb habe ich mich noch mehr angestrengt – nach dem Motto, wenn es keiner sieht, dann ist es eben nicht gut genug. Dieses Muster habe ich als Erwachsene beibehalten und hat auch damit zu tun, dass ich mich in der Politik so verausgabt habe. Diese Muster konnte ich im Seminar weitgehend auflösen. Dann habe ich die Dinge einige Wochen laufen lassen, im Vertrauen darauf, dass ich beizeiten wissen würde, wie es für mich weitergehen soll. Als ich mich auf meine Rede als Landesvorsitzende vor unserem Landesparteitag im September 2021vorbereitet habe, wurde mir klar, was dieses Mal meine Botschaft ist: Ich mache nicht mehr weiter. Und das hat sich sehr gut angefühlt.
herCAREER: Gerade ist Deutschland in einer schwierigen Lage – es gilt mehrere Krisen gleichzeitig zu bewältigen. Haben Sie angesichts dieser Herausforderung Ihre Entscheidung nicht bereut?
Katja Suding: Nein, das gute Gefühl ist geblieben. Natürlich verfolge ich immer noch intensiv, was in der Politik gerade los ist. Aber all die Sorgen und Ängste haben sich als unbegründet erwiesen. Ich habe beruflich wieder Fuß gefasst und bekomme viele Angebote. In vielerlei Hinsicht erlebe ich gerade eine Zäsur: Ich habe mich aus der Politik verabschiedet. Meine beiden Kinder sind erwachsen, sie haben die Schule beendet. Ich habe also so viel Freiheit wie nie zuvor und das ist großartig. Ich liebe es, spontan zu sein und dazu habe ich jetzt die Möglichkeit.
herCAREER: Und wie sieht es mit dem vermeintlichen Bedeutungs- und Machtverlust aus? Viele ehemalige Poltiker:innen und Top-Manager:innen fallen erst einmal in ein Loch…
Katja Suding: Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Ich habe festgestellt: Ich brauche und will die ganze Medienaufmerksamkeit nicht. Es macht mit glücklich, wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Mit meinem Buch habe ich mich zwar wieder in die Öffentlichkeit begeben und das hat zwiespältige Gefühle ausgelöst. Aber es ist ganz anders als damals als Politikerin.
herCAREER: Inwiefern sehen andere Frauen Sie als Vorbild?
Katja Suding: Die Reaktionen auf mein Buch zeigen mir, dass es ganz viele Menschen gibt, die an einem Wendepunkt ihres Lebens stehen und nicht genau wissen, welchen Schritt sie gehen sollen. Und auch wenn mein Buch kein klassischer Ratgeber ist, so höre ich immer wieder, dass meine Geschichte Mut macht, auf sich selbst zu hören und sich trotz aller Unsicherheit auf etwas Neues einzulassen, wenn man eine Veränderung braucht. Ich berichte davon, wie es mir gelungen ist, den Panzer aufzubrechen, den ich um mich herum aufgebaut habe und der mich von mir selbst entfernt hat. Klingt banal, ist aber in diesen stressigen Zeiten alles andere. Letztlich ging es darum, mich selbst wiederzufinden. Das habe ich nicht geschafft, solange ich die Antworten auf meine Fragen im Außen gesucht habe. Denn die konnte ich nur bei mir selbst finden und dafür musste ich erstmal wieder zu mir durchdringen. Zum Glück ist es mir gelungen.
Am 6. Oktober 2022 um 16.40 Uhr ist die Autorin Katja Suding live zu erleben: beim Authors-MeetUp der herCAREER-Expo in München. Zum Public Interview bringt die ehemalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP ihr Buch „Reißleine – Wie ich mich selbst verlor – und wiederfand“ mit. Außerdem wird sie als Table Captain auf der Abendveranstaltung herCAREER@Night mit dabei sein.
Über die Person
Katja Suding, geboren 1975 in Vechta, arbeitete nach einem Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaft lange Jahre als selbständige Kommunikationsberaterin, bevor sie von einem Tag auf den anderen als Quereinsteigerin in die Politik ging: Ende 2010 platzte das Regierungsbündnis in Hamburg und sie bewarb sich als Spitzenkandidatin der FDP für die vorgezogenen Neuwahlen. In dieser Position hatte sie maßgeblichen Anteil am Wahlerfolg ihrer Partei bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen im Februar 2011. Nach sieben Jahren außerparlamentarischer Opposition holte sie ihre Partei aus dem Umfragetief. Das ist der Startschuss ihrer politischen Karriere: Von 2011 bis 2017 war Katja Suding Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und Vorsitzende der FDP-Fraktion. Außerdem hatte sie von 2014 bis 2021 die Position als Landesvorsitzende der FDP Hamburg inne und war von 2015 bis 2021 auch stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei. 2017 erreichte sie einen besonderen Karriere-Höhepunkt: Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP zog sie in den Deutschen Bundestag ein. Scheinbar am Ziel angekommen, beendete Katja Suding jedoch für viele überraschend ihre politische Laufbahn – aus freien Stücken, ohne dass ihr Ansehen vorher von Skandalen beschädigt worden wäre. Was die Politik mit ihr gemacht hat und warum sie ausgestiegen ist, erzählt sie in ihrem Buch „Reißleine – Wie ich mich selbst verlor – und wiederfand“, das im März 2022 beim Herder-Verlag erschienen ist. Katja Suding hat zwei erwachsene Söhne und lebt in Hamburg.
Das Interview führte Stefanie Hornung.