Sieg und Niederlage – im Spitzensport wie im Leben liegt beides nah beieinander. Michaela Gerg gewann für Deutschland vier Mal den Skiweltcup, sie machte WM-Bronze in Super-G, nahm vier Mal an den Olympischen Spielen teil und stand 61 Mal am Podest. Knapp 200 Mal fuhr sie unter die Top Ten. Sie kämpfte mit Trümmerbrüchen, Kreuzbandrissen und einer vorübergehenden Gesichtslähmung.
Auf der herCAREER macht sie den TeilnehmerInnen Mut, selbstbestimmt neue Wege zu gehen, immer wieder aufzustehen und gelassen allen Herausforderungen ins Auge zu blicken. Wir haben die charismatische Unternehmerin vorab zum Interview getroffen.
Wertvoll ist man unabhängig vom Erfolg
herCAREER: Frau Gerg, Sie haben eine bewegte Karriere hinter sich. Was bedeutet Erfolg heute für Sie?
Gerg: Erfolg ist schon wichtig: er ist die Bestätigung, dass man etwas richtig gemacht hat. Er motiviert, weiterzumachen – das ist dann aber auch schon alles.
herCAREER: Sie ermutigen Menschen in Ihren Vorträgen, ihre Träume zu leben. Wann haben Sie das erste Mal davon geträumt, Skifahrerin zu werden?
Gerg: Das war schon sehr früh so, nach meinem ersten Rennen im Skiclub im Alter von fünf Jahren. Meine Mama war sehr skiaffin und ein großer Fan von Ingemar Stenmark und Rosi Mittermaier. Ich dachte mir, es wäre cool, weiterhin Rennen zu gewinnen. Später steckte ich mir das Ziel, bei einem Weltcuprennen oder den Olympischen Spielen dabei zu sein.
herCAREER: Ihre Ski-Karriere war von herben Rückschlägen und großen Erfolgen geprägt. Wie hat Sie diese Zeit geprägt? Was haben Sie besonders gelernt?
Gerg: Als Kind war ich ohne Anstrengung immer die Schnellste, damals war für mich der zweite Platz schon eine Niederlage. Als ich dann international unterwegs war, gab es plötzlich viele Talente – da hat die gewonnen, die am meisten trainiert hat. Damals, im Alter von 14, fand ich mich als eine der letzten auf der Ergebnisliste wieder. Schlimmer als die Niederlage waren aber die menschlichen Enttäuschungen: Sponsoren, Journalisten hatten plötzlich kein Interesse mehr an mir, haben mich nicht einmal mehr gegrüßt. Das ist schwierig, denn in diesem Alter bist du selbst noch nicht gefestigt und brauchst Anerkennung von außen. Wenn du erfolgreich bist, glaubst du, es lieben dich alle. Erst durch die Niederlage merkst du, dass sie nur deinen Erfolg lieben.
herCAREER: Wie haben Sie gelernt, damit umzugehen?
Gerg: Ich habe zum Glück das Gen gehabt, durch die Niederlage erst recht erfolgreich sein zu wollen und es den anderen zu beweisen. Ich dachte mir, die beste Antwort ist die Leistung. Zu Beginn meiner Karriere wollte ich einfach Anerkennung. Ich dachte, die Menschen mögen mich nur, wenn ich erfolgreich bin. Im Sport ist es ja tatsächlich so: du wirst nur gesehen, wenn du so richtig erfolgreich bist.
herCAREER: Das hat offenbar auch gut funktioniert.
Gerg: Ja – solange, bis man erkennt, dass es im Leben nicht darum geht.
herCAREER: Wann haben Sie das erkannt?
Gerg: Als ich festgestellt habe, dass mein Körper mir durch Verletzungen und Krankheiten zeigt, dass es um was anderes geht als den Erfolg, nämlich: dass du dennoch ein supertoller Mensch und etwas wert bist, auch wenn du nur den 20. Platz belegst. Mit dieser Erkenntnis muss man nicht mehr um jeden Preis erfolgreich sein. Erfolg ist schön, aber auch ohne ihn bin ich noch die gleiche Michi Gerg wie vorher. Ich habe am Ende meiner Karriere auch festgestellt: immer wenn es mir zu viel gewesen war, hatte ich Verletzungen – sei es einen Skidaumen oder einen Kreuzbandriss.
herCAREER: Wie beurteilen Sie das System, in dem Sie sich bewegt haben?
Gerg: Unsere Leistungsgesellschaft ist schwierig – ob im Profisport oder in der Wirtschaft: du wirst dazu gezwungen, zu leisten und zu tun, obwohl du das vielleicht gar nicht bist. Das ist der Grund für meine Vorträge: ich will damit den Menschen die Augen öffnen. Erfolg ist toll, aber du bist auch unabhängig davon ein toller Mensch. Wir sagen uns so oft: ,ich kann das nicht gut‘, dabei machen wir so viele Dinge gut und perfekt.
herCAREER: Was war Ihr bester Moment in Ihrer Ski-Karriere?
Gerg: Den schönsten Moment hatte ich in meiner letzten Saison. Ich hatte mich vom Skiverband getrennt, weil ich erkannt hatte: ich mache nur mehr das, was der Trainer mir sagt. Ich baute mir mein eigenes Team auf und bereitete mich alleine auf die Qualifikation für Cortina vor. Dort musste ich dann gegen meine ehemaligen Kolleginnen fahren. Ihnen war vom Verband verboten worden, mit mir zu sprechen. Vor der Abfahrt in Cortina musste ich meine größten Ängste überwinden: zwei Jahre davor hatte ich mir genau dort das Kreuzband gerissen. Die Abfahrt schließlich zu gewinnen war eine Genugtuung für mich und gab mir auch die Bestätigung: ich kann es alleine schaffen, wenn ich will. Der Kampf gegen den Skiverband hat allerdings viel Energie gekostet – nach 16 Jahren Weltcuprennen hatte ich genug.
herCAREER: 61 Mal auf dem Podest, vier Weltcupsiege: Zehrt man lange von diesen Erfolgen, oder ist es gar nicht so wichtig?
Gerg: Ich sehe die Siege als Stationen in meiner Karriere, wo alles gepasst hat. Das behalte ich zwar eher in Erinnerung als die negativen Momente, aber: es war einmal. Ich habe auch gelernt: Niederlagen sind genauso wichtig wie die Erfolge. Wenn man immer nur oben und himmelhochjauchzend ist, dann fällt man irgendwann tief. Man sollte sich nicht abhängig von Erfolgen machen, sondern auch die Niederlagen akzeptieren.
herCAREER: Wie sind Sie da wieder in die Motivation gekommen?
Gerg: Am Boden liegen zu bleiben, war für mich nie eine Alternative. Für mich war wichtig: da will ich wieder raus. Ich habe mir immer auch ein persönliches Ziel für mich gesetzt – eines, das nicht von außen bestimmt wurde. So oft rennen wir Zielen hinterher, nur weil der Partner, der Chef, die Gesellschaft es erwartet. Dann wird es schwierig, sich zu motivieren. Ich habe immer alles vorgegeben bekommen, zuerst als Kind von meiner recht dominanten Mama, dann vom Skiclubtrainer, dann vom Nationaltrainer: im Grunde bist du im Profisport sehr fremdbestimmt. Die Meinung des Athleten ist nicht gewünscht und wird auch nicht akzeptiert. Wenn ich mir aber selbst ein Ziel setze, für das ich brenne, wenn ich Spaß an meiner Arbeit habe, dann kann ich Tag und Nacht arbeiten. Also: Anregungen von außen einzuholen ist wichtig, denn oft sieht man selber den Weg nicht, aber man muss immer für sich selbst bewerten: ist das der richtige Weg für mich oder nicht?
herCAREER: Wie sind Sie mit Druck umgegangen? Hat Ihnen Mentaltraining geholfen?
Gerg: Damals hätte ich mir einen Mentaltrainer gewünscht, habe allerdings keinen passenden gefunden. Ich habe mir immer wieder gesagt: ich bin der gleiche Mensch – ob ich gewinne oder verliere. Ich habe auch festgestellt: wenn ich alle Möglichkeiten für den Erfolg ausschöpfe, spüre ich nicht so viel Druck. Dann hatte ich das Gefühl, ich habe alles getan, was ich konnte. Dann konnte ich auch mal mit einem 10. Platz zufrieden sein.
herCAREER: Sie haben nach ihrer Skikarriere eine Ausbildung zur Feng-Shui-Beraterin gemacht. Was raten Sie Frauen, die sich beruflich stark verändern wollen?
Gerg: Meine Mama hat immer mit der Wünschelrute gearbeitet. Ich war als Kind immer bei einem Heilpraktiker, der später mein Fan wurde. Für die Olympischen Spiele gab er mir eine Wünschelrute mit, um den Schlafplatz auszutesten. Ich wurde natürlich von den anderen ausgelacht. Nach der Skikarriere dachte ich mir, das will ich richtig lernen. Ich machte eine Ausbildung zur geprüften Rutengängerin und Feng-Shui-Beraterin, nutze heute beides aber nur privat. Ursprünglich wollte ich das auch beruflich anwenden, ich habe aber schnell gemerkt, dass ich lieber mit Menschen arbeite, die nicht mit ihren Problemen zu mir kommen.
herCAREER: Inwiefern haben Sie sich nach der Zeit im Spitzensport verändert?
Gerg: Nach meiner Ski-Karriere dachte ich immer noch, ich muss Vollgas geben. Die Veränderung kam erst mit meiner Krebserkrankung und ich begann, die Dinge anders zu sehen. Plötzlich ist es nicht mehr wichtig, erfolgreich zu sein, sondern gesund zu werden. Man selbst ist wichtig. Man spürt viel intensiver, was einem guttut und was nicht. Es wäre gut gewesen, wenn ich früher auf meinen Körper gehört hätte: was macht mir Spaß, was kann ich gut, wo kann ich viel arbeiten, ohne auszubrennen. Das gebe ich auch in meinen Vorträgen weiter.
herCAREER: Haben Sie das mit der Gründung Ihrer Skischule gefunden?
Gerg: Ja, doch. Hier habe ich mit Menschen zu tun, die im Urlaub und gut drauf sind, die ich motivieren kann. Ich versuche auch, den SkilehrerInnen in der Ausbildung meine Einstellung mitzugeben und ihre Persönlichkeit zu schulen. Diese oft noch sehr jungen Menschen müssen ja neben ihrem fachlichen Wissen auch mit Menschen umgehen können und eine Gruppe führen. Es ist schön, zu sehen, wie sie sich weiterentwickeln.
herCAREER: Was mussten Sie als Unternehmerin neu lernen?
Gerg: Eben dieses Führen der Menschen, Angestellte zu haben und mit ihnen gut umzugehen. Irgendwann hatte ich 60 Skilehrer, Mitarbeiter im Büro und im Skiverleih. Ich versuche, sie zu behandeln, wie ich gern behandelt werde. Aber ich muss auch lernen, hin und wieder ein ernstes Wort zu sprechen und Nein zu sagen. Da bin ich oft zu gutmütig. Aber wir lernen ja nie aus (lacht).
herCAREER: 2012 haben Sie die Stiftung Schneekristalle gegründet, für benachteiligte Kinder und Kinder mit Behinderung. Was ist Ihre Vision?
Gerg: Wir wollen die Kinder über verschiedene Sportarten fit und stark fürs Leben machen. Sie sollen die Motivation kriegen, ihr Leben anzupacken. Angefangen haben wir mit Wintersport, jetzt bieten wir zum Beispiel Rafting für den Teamgeist an, Klettern für den Mut und Taekwondo, um mit der eigenen Kraft richtig umzugehen. Über den Sport kann man viele wichtige Werte super transportieren: den Umgang mit Erfolg und Niederlagen, Toleranz und Fairness, alles zu geben, aber auch Geduld und Ausdauer. All diese Dinge sind Goldes wert.
Auf der herCAREER 2019 wird Michaela Gerg am Freitag, den 11. Oktober 2019 einen Vortrag zum Thema „Aufstehen oder Liegenbleiben – der Erfolg liegt in Deiner Hand“ halten und als Table Captain an der herCAREER@Night am Donnerstag, 10. Oktober 2019 teilnehmen.
Über die Person
Michaela Gerg ist eine der erfolgreichsten deutschen Skirennläuferinnen. Mit zwei Jahren stand sie das erste Mal auf Skiern, mit vier Jahren fuhr sie ihr erstes Skirennen. Mit 15 Jahren folgte die Aufnahme in die Skinationalmannschaft. Vier Weltcupsiege, WM-Bronze im Super-G und vier Olympiateilnahmen stehen auf ihrer Erfolgsliste. Nach ihrer Karriere war sie als Fernsehkommentatorin bei ZDF und Eurosport tätig und eröffnete ihre Skischule in Lenggries. Gerg ist Staatl. Gepr. Skilehrerin – Skischulleiterin, Dipl. Feng Shui Beraterin sowie Geobiologische Beraterin. Die „Skischule Michi Gerg“ beschäftigt inzwischen über 60 Skilehrer. 2012 gründete Gerg die „Stiftung Schneekristalle“, die sozial benachteiligte und behinderte Kinder mit unterschiedlichen Sportaktivitäten unterstützt. Hier gilt es, den Kindern die Werte des Sports, wie Fairness, Teamgeist und Motivation zu vermitteln und dadurch den Weg in ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu erleichtern. Wie Michaela Gerg nach mehreren Bruchlandungen sich immer wieder an die Spitze kämpfte, ist bemerkenswert. Ihr Umgang mit Erfolg und Niederlagen sowie ihr Entschluss zu einer komplett neuen beruflichen Laufbahn zeigen, dass es sich lohnt, eigene Entscheidungen zu treffen und neue Wege zu gehen.
Hier finden Sie die aktuelle Pressemitteilung von Michaela Gerg.