Karin Schleines hat bei einer Skandinavien-Reise die Erfahrung gemacht, wie höflich, gelassen und ohne Hetze man sich dort begegnet. Sie glaubt, dass Menschen mit mehr „Hygge“ (Gelassenheit, Gemütlichkeit) glücklicher leben. Wer anderen etwas Gutes tut, schenkt ihnen einen glücklichen Moment. Hilfsbereitschaft, Respekt und Toleranz bilden den Kern von „Knigge“: gute Umgangsformen als Grundvoraussetzung für Erfolg im Beruf. Unter veränderten Kommunikationsbedingungen in Pandemiezeiten sind sie nicht weniger wichtig.
Im herExperience-Interview gibt die Beraterin einen aktuellen „Knigge“-Überblick: vom Grüßen über Smalltalk, verbale und nonverbale Kommunikation analog und digital bis hin zum äußeren Erscheinungsbild.
„Die Wirkung fängt schon beim ersten Zusammentreffen an, sogar in den ersten 3 bis 30 Sekunden“
herCAREER: Was bedeutet Glück für Sie? Ist ein glücklicher und zufriedener Mensch auch ein erfolgreicher – und was haben Umgangsformen damit zu tun?
Karin Schleines: Jede:r empfindet „Glück“ anders. Den einen bedeutet ein glücklicher Moment Umsatzwachstum im Geschäft, für das sie hart gearbeitet haben. Für andere beschert eine bestandene Prüfung, das Zusammensein mit der Familie oder mit Freund:innen, das Durchhalten einer langen Fahrradtour oder einfach nur Entspannung im Garten einen Moment des Glücks. Da ich vor einiger Zeit in Nordeuropa Urlaub gemacht habe, fällt mir der Begriff „Hygge“ / “å hygge seg“ (es sich gemütlich machen) ein. Dabei stelle ich mir vor: es sich nach einer Hundeschlittenfahrt am Kamin in der Lodge gemütlich machen oder in der Sauna entspannen. Solche Momente können glücklich machen.
Ob ein glücklicher und zufriedener Mensch auch ein erfolgreicher ist – ich meine ja, wobei wiederum jede:r „Erfolg“ anders definiert. Und natürlich haben Umgangsformen ganz viel damit zu tun. Wenn mir jemand hilft, dann bin ich nicht nur dankbar, sondern auch glücklich. Selbst die Wissenschaft beschäftigt sich mit diesem Aspekt und hat nachgewiesen, dass das Vollbringen einer guten Tat glücklich macht. Die Professorin Soyoung Park bezeichnet dieses Gefühl als „warm glow“ (Park, Kahnt, Dogan, Strang, Fehr, Tobler: A neural link between generosity and happiness). Ich denke, dass Umgangsformen in jeder Situation – sei es im Beruf, im privaten oder im gesellschaftlichen Bereich – von sehr großer Bedeutung sind. Das gilt auch online, nach dem alten Sprichwort: Wie du kommst gegangen, so wirst du empfangen. Und mit Umgangsformen meine ich vor allem Respekt, Toleranz, Hilfsbereitschaft. Das ist Knigge heute.
herCAREER: Weshalb sind Umgangsformen und Stil so wichtig in der Businesswelt und eine Grundvoraussetzung für Erfolg? Welche Rolle spielen dabei die pandemiebedingten Veränderungen der Kommunikation?
Karin Schleines: Umgangsformen und Knowhow sind die Grundbausteine für Erfolg in der Businesswelt. Wenn ich meine Kund:innen kompetent, höflich und serviceorientiert behandele, mache ich eher ein Geschäft als wenn ich mich unfreundlich verhalte – das liegt auf der Hand. Die Wirkung fängt schon beim ersten Zusammentreffen an, sogar in den ersten 3 bis 30 Sekunden: Das Äußere, der Duft und (jedenfalls vor Corona) die Haptik, nämlich unser Handshake – haben eine Wirkung darauf, wie man bei anderen ankommt. Wir sprechen vom „primacy effect“ beim ersten Zusammentreffen und vom „recency effect“ beim Verabschieden. Auch die Art und Weise, wie ich eine:n Geschäftspartner:in oder Kund:in empfange, ist von Bedeutung. In Präsenz: Nach dem Motto „links schützt rechts“ (das kommt von den alten Rittern, die ihre holde Dame zur Rechten führten) geleitet man den/die Besucher:in ins Besprechungszimmer. Dort angekommen ist es obligatorisch, Getränke anzubieten. Nach der „Bedürfnispyramide“ des Psychologen Abraham Maslow decken wir damit bereits die beiden unteren Stufen ab (physiologische Bedürfnisse und Sicherheitsbedürfnisse): Wir geleiten und geben Sicherheit im Besprechungsraum, wir sorgen für etwas zu trinken.
Aber auch bei Online-Meetings ist ein gelungener „Check in“ der Teilnehmenden und das Erklären der Spielregeln seitens des/der Moderator:in eine gute Basis für erfolgreiche Zusammenarbeit.
Eine gute Kommunikation bei Vertragsverhandlungen, diplomatisches Geschick, Servicebewusstsein, das Hineindenken in die anderen Verhandlungspartner:innen, aber auch das Achten auf Äußerlichkeiten (vom Dresscode bis hin zum aufgeräumten Büro) sind wichtige Bestandteile eines erfolgreichen Wirkens. Das strahlt neben unserem Knowhow Kompetenz aus.
Nicht zu vergessen das Innerbetriebliche: Eine gesunde Firmenkultur – mit Werten, die nicht nur schriftlich manifestiert sind, sondern auch gelebt werden, mit einem respektvollen Verhalten von Führungskräften gegenüber ihren Mitarbeitenden – hat einen positiven Einfluss auf die Produktivität. Natürlich sind Unternehmen und ihre Teams keine „Kuschelgruppen“, aber eine wertschätzende, kooperative Zusammenarbeit kann einem guten, produktiven Arbeiten nicht abträglich sein, im Gegenteil. Das spüren auch Kund:innen und Geschäftspartner:innen.
Während der Pandemie haben sich schon durch die Hygienevorschriften Verhaltensweisen verändert, so der Wegfall des Begrüßens mit Körperberührung, sprich Händeschütteln. Der kontaktlose Gruß kann sich auf ein Lächeln beschränken, das sich in den Augen widerspiegelt, oder ergänzt werden durch ein „Namasté“ (die Hände zusammengefaltet vor der Brust).
Die Verschiebung von Meetings in Präsenz zu Online-Meetings und die Verschiebung des Arbeitsplatzes vor Ort im Unternehmen ins eigene Homeoffice hat viele erst einmal vor große Herausforderungen gestellt: Platz fürs Arbeiten schaffen, Organisation der Arbeit zu Hause, auch im Kontext Familie, Homeschooling etc.
Im digitalen Bereich sind die Umgangsformen nicht ausgehebelt, vielmehr gilt auch online die Etikette. Wenn ich manchmal im Internet Hasskommentare lese, dann schaudert es mich sehr. Offenbar haben viele Menschen in den sozialen Medien keine Hemmungen, auf Statements anderer in übler Manier zu reagieren. Ich frage mich dann immer, wie würde ein solcher Mensch sich verhalten, wenn die Person, der er digital antwortet, ihm gegenüberstehen würde.
Auch offline scheint mir, dass manche Leute durch die Pandemie ungeduldiger und unhöflicher geworden sind, was sich u.a. durch Gehetze, Drängeln in einer Warteschlange oder im Straßenverkehr durch Hupen ohne Grund bemerkbar macht. Da fehlt mir hier bei uns teilweise das „Hyggelige“ der Nordeuropäer:innen. Ein Verhalten wie Drängeln und Hetzen kann eine Wirkung auf andere haben. Wenn ich in einer langen Warteschlange stehe, dann wende ich diese Situation ins Positive und sage mir: Es ist eine Pause. Ich habe die Hoffnung, dass sich solche negativen Verhaltensweisen einiger nach der Pandemie wieder ändern.
herCAREER: Welche aktuellen „Knigge-Standards“ gelten aus Ihrer Sicht? Der richtige Stil: Was liegt Ihnen besonders am Herzen, welche Empfehlungen möchten Sie der herCAREER-Community geben?
Karin Schleines: Wie schon erwähnt, hat Knigge heute viel mit Respekt, Hilfsbereitschaft, Achtung und Aufmerksamkeit zu tun. Selbstverständlich sollte man wissen, wie man sich sowohl im Office oder im Meeting als auch im Restaurant verhält. Es kommt auf den Charakter des Menschen an, auf seine Social Skills, und insbesondere auf all das, womit wir wirken: das äußere Erscheinungsbild inklusive der gewählten Garderobe und der Accessoires. Umgangsformen sind keine Gesetze, sondern haben sich entwickelt. Es sind Usancen unseres Zusammenlebens.
Zum gewandten Auftreten gehört die Fähigkeit, guten Smalltalk zu machen und dabei Interesse am Gegenüber zu zeigen. Lighttalk ist nicht nur reines Geschwafel, sondern dient als Entrée für gute Gespräche und damit auch für potenziellen Erfolg. Insbesondere im Rahmen des Netzwerkens ist das ein wichtiger Skill. Sich gut unterhalten, das kann eine „Tür für mehr“ sein. Viele sagen, sie könnten keinen guten Smalltalk machen. Ich sage, jede:r kann es, man muss nur die eigenen Stärken kennen: Introvertierte haben die Stärke, gut zuhören zu können. Ein Tipp für den Smalltalk: Fragen stellen. Extrovertierte lieben es zu reden, sie haben keine Hemmungen vor Smalltalk. Ihre Stärke ist es, auf Fragen anderer einzugehen.
In diesem Zusammenhang ist es nützlich, unsere vier Distanzzonen zu kennen („Tritt mir nicht zu nahe“): die intime (näher als 0,5 m), die persönliche (0,5 bis 1,0 m), die gesellschaftliche (1,0 bis 2,0 m) und die öffentliche (über 2,0 m) Distanzzone. Pandemiebedingt sollten wir nur innerhalb der beiden letztgenannten Distanzzonen kommunizieren, während zu anderen Zeiten durchaus auch im Business die persönliche Distanzzone eine Rolle spielt, insbesondere beim Händeschütteln.
Für mich sind Höflichkeit und Freundlichkeit ganz wichtig. Ich würde sogar sagen, dass unhöfliches Verhalten schon eine Beleidigung ist. Respekt zeigen bedeutet nicht zuletzt, sich auch auf interkulturellem Parkett richtig benehmen zu können. Kulturen zu verstehen ist notwendig, denn jede Kultur hat ihre Eigenheiten, die auch im Business, in Verhandlungen zum Tragen kommen.
Schließlich sollte man die aktuellen Dresscodes kennen, angefangen bei Smart Casual bis hin zu Business. Sehr ungut ist es, sich den Bekleidungswünschen des/der Gastgeber:in zu widersetzen. Vieles hat sich gelockert, was die Kleidung betrifft. Es kommt m. E. immer darauf an, in welcher Situation man sich befindet. Je formeller eine Situation ist, desto formeller sollte die Kleidung sein. Das heißt: Geht es um etwas ganz Wichtiges, dann kann eine Krawatte beim Herrn, ein schicker Hosenanzug in gedeckten Farben oder ein Etuikleid bei der Dame Wunder bewirken. Ansonsten geht es auch mal „oben ohne“ beim Herrn – die Krawatte ist nicht mehr in jeder Situation ein „Muss“. Auch die Devise „No brown in town“ ist heute nicht mehr so ganz aktuell. Es kommt auf die Situation, die Position und das Outfit im Ganzen an.
Übrigens gelten Dresscodes auch digital: Auch bei Videokonferenzen wirkt man mit seinem Äußeren. Das betrifft nicht nur die Kleidung, sondern auch den Hintergrund im Bild, den Lichteinfall, die Ruhe im Büro oder Arbeitszimmer.
Selbstverständlich sind die Dresscodes keine Gesetze, jede:r kann anziehen, was er/sie will. Nur muss man mit entsprechendem Verhalten anderer rechnen, wenn man die Kleiderempfehlungen ignoriert.
Mein Fazit: Empathie, Respekt, Toleranz, Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft, das sind die Hauptthemen von Knigge heute. Wer sie im Herzen trägt, wird gewiss gut durch den Alltag kommen. Wer achtsam ist, ist auch pünktlich, lässt niemanden warten oder ruft an, wenn er/sie sich verspätet. Wer achtsam ist, bereitet sich auf Besprechungen inhaltlich und persönlich gut vor.
Höflichkeit heißt aber nicht, dass man immer Ja sagen muss. Auch Nein-Sagen gehört dazu – aber in einer Form, die das Gegenüber nicht kränkt; vielleicht lässt sich ein Grund nennen, warum es gerade heute nicht passt, und eine Alternative anbieten.
Wir sollten auch mehr darauf achten, wie wir etwas verbal kommunizieren. Statt im Passiv zu sprechen („Der Umsatz konnte um x % gesteigert werden“) lieber die aktive Form verwenden, denn sie klingt einfach besser: „Ich konnte / Wir konnten den Umsatz um x % steigern“.
Hinzu kommt noch eine kongruente Körpersprache: offene Haltung, gerader Blick, Hände im positiven Bereich, eine klare Stimme – in Präsenz wie auch im Videocall.
Ich wünsche mir mehr Entspanntheit und Gelassenheit, auch mal über den Dingen stehen zu können, idealerweise gepaart mit etwas Humor.
Meine Tipps für die Community:
- Machen Sie sich selbst bewusst, wie Sie wirken (wollen).
- Achten Sie auf die verbale und nonverbale Kommunikation.
- Scheuen Sie sich nicht, über das, was Sie gut gemeistert haben, zu sprechen. Haben Sie den Mut, über Gutes zu reden. Bereiten Sie sich auf Meetings gründlich vor und punkten Sie mit Ihrem Knowhow. Man muss wissen, dass Sie im Meeting präsent sind. Kommunizieren Sie im Aktiv, nicht im Passiv.
- Ums Netzwerken kommen Sie nicht herum. Vernetzen Sie sich im Unternehmen, lernen Sie, wenn Sie neu in der Firma sind, beispielsweise in den ersten 100 Tagen die internen Netze des Unternehmens kennen, insbesondere die Schlüsselfunktionsträger:innen. „Im Betriebscasino isst es sich gut“ – das heißt, sich auszutauschen und innerbetriebliche Kontakte zu pflegen, auf ganz lockere Art und Weise.
- Smalltalken Sie. Am besten üben Sie das jeden Tag: ein Lighttalk mit mindestens einer Person. Das heißt nicht, dass Sie jede:n auf der Straße ansprechen sollen, aber vielleicht einmal im Aufzug mit jemandem ins Gespräch kommen.
- Lernen: Man lernt ein Leben lang. Bilden Sie sich fort.
- Entwickeln Sie Ihren eigenen Stil und betreiben Sie Marketing für sich selbst.
herCAREER: Bei herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartnerinnen aufsetzt. Zu welchen Themen können Sie als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?
- Business-Etikette
- Stil
- Erklärung betriebswirtschaftlicher / finanzwirtschaftlicher Begriffe, Vorbereitung auf die Kommunikation mit Banken
herCAREER: Würden Sie auch als Mentor:in in der herCAREER-Community fungieren?
Karin Schleines: Gerne stehe ich zur Verfügung.
herCAREER: Welche Frau würden Sie sich als Mentee wünschen?
Karin Schleines: Sie soll aufgeschlossen und ernsthaft daran interessiert sein.
Nutzen Sie eine der Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme, die die Interviewpartner:in angegebenen hat, und beziehen Sie sich auf das Interview der herCAREER-Community.
Über die Person
Nach langjähriger Tätigkeit in Fach- und Führungspositionen im Bankensektor hat sich Karin Schleines 2004 mit ihrer Beratungsfirma selbstständig gemacht. Neben betriebswirtschaftlicher Beratung bietet sie auch Beratung und Seminare im Bereich der Softskills an – u.a. Business-Etikette und Kommunikation über alle Hierarchieebenen hinweg. Frau Schleines konzipiert und führt Seminare/Trainings auch für große Unternehmen und Institutionen durch, wozu etwa auch die Begleitung von Klausurtagungen mit Business-Knigge-Dinners zählt. Ferner ist sie Dozentin an diversen Hochschulen und schreibt in einem eigenen Blog auf lockere Art und Weise über aktuelle Umgangsformen. Auch in diversen Medien ist sie zu Gast. Sie ist Mitglied im Bundesprüfungsausschuss der Zertifikatskurse Xpert Business Finanzwirtschaft und Kosten- und Leistungsrechnung des VHS-Verbands und wirkt als Autorin und Fachlektorin von Lernmaterialien zu diesen Themen. Darüber hinaus organisiert sie After-Work-Treffen, insbesondere für Business-Etikette-Trainer:innen und Business Ladies.
Ihr Motto lautet: „Wenn man sich keine Ziele setzt, kann man diese auch nicht erreichen“. Gefragt, warum sie in ihrer täglichen Arbeit sowohl mit Zahlen, Daten, Fakten als auch mit Softskills zu tun hat, sagt sie: „Die Beratung in betriebswirtschaftlicher Hinsicht und auch in Sachen Softfacts gibt mir eine sehr gute Balance. Ich möchte diese Tätigkeiten nicht missen. Außerdem sind mir Klarheit, Stringenz, aber auch Empathie, Achtsamkeit und höfliches Handeln ganz wichtig.“