Frauen aller Altersklassen, wie verbünden wir uns?

In ihrem Debütroman „Am liebsten sitzen alle in der Küche“ erzählt Julia Karnick genauso lebensecht und unterhaltsam vom Arbeitsalltag der drei Heldinnen wie von deren privaten Problemen: Die alleinerziehende Urologin Tille braucht alle Kraft für die eigene Praxis und den pubertären Sohn. Die frisch getrennte Hausfrau Almut muss ihre Zukunft neu erfinden. Und Yeliz, Werberin in leitender Position mit türkischen Wurzeln und dänischem Freund, will immer gewinnen und verliert dabei das Wichtigste aus dem Blick. Als die ungleichen Freundinnen entdecken, dass ihnen derselbe Mann das Leben schwermacht, schmieden sie einen raffinierten Racheplan – am Küchentisch.

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Thema

Führung & Kommunikattion | Gesellschaft

Angaben zur Referent:in

Als Kolumnistin bei Brigitte und FÜR SIE und als Autorin des Spiegel-Bestsellers „Ich glaube, der Fliesenleger ist tot“, in dem sie ihren eigenen Hausbau alltagsnah und humoristisch verarbeitet hat, hat Julia Karnick schon Millionen von Fans. Im Gespräch mit der Fachbuch-Autorin und New Work Expertin Christiane Brandes-Visbeck erzählt sie heute von ihrer Arbeit am ersten Roman und vom Schreiben verschiedener Frauenfiguren. Dabei geht es auch darum, wie wir uns untereinander soldarisieren können und wie wenig ein paar Jahre Altersunterschied da ausmachen, wenn wir uns nur ineinander einfühlen.

Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER-Expo 2022 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.

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00:00:40-5 Katharina Alexander: Frauen aller Altersklassen, wie verbünden wir uns? In ihrem Debütroman „Am liebsten sitzen alle in der Küche“ erzählt Julia Kranik genauso lebensecht und unterhaltsam vom Arbeitsalltag der drei Heldinnen wie von deren privaten Problemen. Die alleinerziehende Urologin Tille braucht alle Kraft für ihre eigene Praxis und den pubertären Sohn. Die frischgetrennte Hausfrau Almuth muss ihre Zukunft neu erfinden und Yeliz, Werberin in leitender Position mit türkischen Wurzeln und dänischem Freund, will immer gewinnen und verliert dabei das wichtigste aus dem Blick. Als die ungleichen Freundinnen entdecken, dass ihnen derselbe Mann das Leben schwer macht, schmieden sie einen raffinierten Racheplan am Küchentisch. Als Kolumnistin für Brigitte und Für sie und als Autorin des Spiegelbestsellers „Ich glaube, der Fliesenleger ist tot“, in dem sie ihren eigenen Hausbau alltagsnah und humoristisch verarbeitet hat, hat Julia Kranik schon Millionen von Fans. Im Gespräch mit der Fachbuchautorin und New Work Expertin Christiane Brandes-Visbeck erzählt sie heute von ihrer Arbeit am ersten Roman und vom Schreiben verschiedener Frauenfiguren. Dabei geht es auch darum, wie wir uns untereinander solidarisieren können und wie wenig ein paar Jahre Altersunterschied ausmachen, wenn wir uns nur ineinander einfühlen.

00:02:07-4 Christiane Brandes-Visbeck: Genau, also um es mal vorweg zu sagen, dieser Roman handelt von Frauen, ich sage jetzt mal ganz nett, 47+, die alle in verschiedenen Lebensphasen sind, auch verschiedene Lebenskonstellationen haben, sich durch Zufall treffen, sich anfreunden und Julia wird mehr dazu sagen. Aber das allerschönste ist, dass junge Frauen Julia schreiben, man merkt ja gar nicht, dass dieser Roman von Frauen handelt, die etwas älter sind, der ist ja so jung geschrieben und das ist ja so spannend, dass ich auch dieses Buch weggesuchtet habe. Das heißt, also auch dieses Thema Frauen jenseits 47 muss kein altes Thema sein. Und das ist, glaube ich, eines der größten Talente, dass Julia einfach so schreiben kann und sich so in Menschen reinversetzen kann, dass alle LeserInnen dieses Buch ganz wunderbar finden.

00:02:55-2 Julia Kranik: Ja hallo.

00:02:55-1 Christiane Brandes-Visbeck: /lacht/ Julia kann nicht so gut mit Komplimenten umgehen, deswegen moderiere ich so gerne mit dir.

00:03:01-2 Julia Kranik: Es ist wahnsinnig laut hier. Tut mir leid, ich verstehe mich selber kaum, aber ich hoffe, euch geht es anders. Ja, ich habe ein Buch geschrieben, meinen ersten Roman, und mir war immer klar, dass ich ein Buch schreiben möchte, in dem es um Frauen in meinem Alter, ich bin 52, geht, also Ende 40/Anfang 50. Weil ich, ohne jetzt da wissenschaftliche Studien betrieben zu haben, das diffuse Gefühl hatte, dass wir nicht richtig repräsentiert werden in unserer Altersklasse in der Literatur, also irgendwie so in fiktiven… also ich komme mir immer zu alt vor, so ein bisschen wie, ich denke mal, so spießig und humorlos und müde sind wir doch gar nicht. Ich habe irgendwie einen Heidenspaß, wenn ich abends mit meinen Freundinnen zusammensitze und über das Leben rede über Job, Kinder, Männer, alles mögliche. Ehrlich gesagt habe ich selten so viel gelacht wie jetzt, weil man dazu ja auch eine gewisse Reife braucht, um humorvoll irgendwie auf Dinge gucken zu können. Und ich möchte, ja, einen Unterhaltungsroman schreiben, der das widerspiegelt, den meine Freundinnen auch gerne lesen wollen. Das war so der Antrieb. In dem wir nicht so altbacken rüberkommen, wie ich das Gefühl habe, dass wir oft präsentiert werden. Wir sind nicht auf dem absteigenden Ast, überhaupt nicht.

00:04:19-7 Christiane Brandes-Visbeck: Überhaupt nicht. Also je älter man wird, desto lustiger kann das Leben sein, das liegt natürlich ein bisschen an einem selbst. Wenn man dann einfach sagt so shit happens, wir können es nicht vermeiden, aber das ist immer die Frage, wie man damit umgeht. Wir leben ja jetzt auch in schwierigen Zeiten, und wenn wir nicht ein bisschen humorvoll damit umgehen, ist es vielleicht Gel nicht so gut durchs Leben zu kommen. Und deshalb haben wir auch darüber gesprochen, dass Julia diese These vertritt, Humor ist eigentlich so ein verstecktes, wenig bekanntes Managementtool, um mal die Kurve zur herCareer zu schaffen. Warum glaubst du oder wo hat dir, Julia, Humor geholfen, in den einen unterschiedlichen Lebenssituationen als Autorin, Redakteurin, Kolumnistin, im Umgang vielleicht mit Situationen, die nicht so ganz einfach waren?

00:05:01-6 Julia Kranik: Ja, ich glaube, Humor ist eine Haltung, so. Woher ich die habe, kann ich jetzt nicht richtig sagen. Ob das irgendwie genetisch bedingt ist. Meine These ist so ein bisschen, also in meiner Familie war Humor nicht sehr angesagt. Und ich habe das Gefühl gehabt, dass war immer so ein bisschen Notwehr, dass ich so eine humorvolle Ader entwickelt habe. Und irgendwann habe ich entdeckt, dass es ein Mittel ist, auf die Welt zu gucken. Nicht das einzige, also ich finde es auch doof, es wird ja schnell zynisch, wenn man sich über alles lustig macht. Aber es ist natürlich ein Mittel, um Distanz zu gewinnen zu bestimmten Sachen, auch im Job. Und dann habe ich es natürlich geschult sozusagen über meinen Kolumnistinnenblick. Und ich glaube, Humor und Frauen ist ja noch mal ein ganz eigenes Thema, weil uns das ja nicht zugestanden wird, uns lustig zu machen, wir müssen immer alles ganz ernst nehmen. Das mit den Kindern müssen wir ganz ernst nehmen, das im Beruf müssen wir ganz ernst nehmen, den Haushalt müssen wir ernst nehmen. Und ja, da versuche ich eben auch als Frau meiner Generation irgendwie zu sagen, nein müssen wir überhaupt nicht, weil es ist eine Überlebensstrategie. Also jetzt im beruflichen Kontext ist es mir tatsächlich mal passiert, dass ich mich irgendwie wegen irgendwas beschwert habe bei meinem männlichen Vorgesetzten, sehr deutlich, was er offensichtlich unmöglich fand. Ich wurde dann irgendwie zum Gespräch gerufen und dann hat er mich wie in so einer schlechten Vorabendserie zusammengeschrien. Also so, dass ich dachte, so was gibt es doch gar nicht mehr. Ich stand am Türrahmen und er hat mich angebrüllt. Und ich glaube, mit 25 wäre ich irgendwie in Tränen ausgebrochen. Aber ich war ein bisschen älter und dann hat sich so ein Hebel in mir losgelassen, da habe ich gesagt, das ist ja total interessant, der steht da wie so ein Gorillamännchen und trommelt auf der Brust, das ist irre komisch, wie der sich hier benimmt. Und dann hat mir das irgendwie einen anderen Blick ermöglicht, dann konnte ich da so mit verschränkten Armen stehen und denken, Wahnsinn, wie der sich hier irgendwie im wahrsten Sinne des Wortes zum Affen macht und das so mehr oder weniger an mir abperlen lassen, um ihn dann irgendwann zu fragen, ob er jetzt fertig ist und wir irgendwie vernünftig miteinander reden könnten und habe am Ende ihm eine Entschuldigung abgerungen. Und ja, also bin lässig geblieben so, da war ich sehr stolz auf mich.

00:07:21-4 Christiane Brandes-Visbeck: Das ist aber schon der Königsweg.

00:07:24-2 Julia Kranik: Ja, da hatte ich auch irgendwie Glück. Ich bin auch nicht immer so cool, aber das ist so ein Mittel, finde ich, also insofern glaube ich, dass Frauen sich trauen sollten, Dinge weniger ernst zu nehmen, ja, und das auch zu äußern.

00:07:38-7 Christiane Brandes-Visbeck: Bei wem räsoniert dieser Gedanke, Dinge weniger ernst zu nehmen, bisschen mehr mit Humor? Also ich finde, Julia ist da ein mega Vorbild, vor allen Dingen, dass sich der Typ bei ihr entschuldigt hat, ein Vorgesetzter. Also wir lernen ja im Management immer, ja wenn jemand dich anschreit oder schlecht behandelt, geh aus der Situation raus, hole Luft, beende das Gespräch, das lesen wir ja auch auf LinkedIn jeden Tag. Und dass Julia es aber schafft, einfach durch eine Imagination, dass sie sich selber die Situation anders vorstellt, eine andere Haltung bekommt und dann aber so stark dadurch wird, ohne diesem Menschen einen Gesichtsverlust zuzumuten, finde ich schon ziemlich genial. Und genau mit dieser Kompetenz hat sie eben auch dieses Buch geschrieben. Julia hat einen ganz guten Blick auf Menschen, auf Situationen. Sie seziert Situationen, sie sieht alles, sie sieht Dinge, die andere Leute nicht sehen und beschreibt sie aber auf eine so großartige Weise. Also wenn es junge Leute sind…

00:08:27-0 Julia Kranik: Ich werde jetzt ein bisschen rot.

00:08:29-5 Christiane Brandes-Visbeck: …dann ist es eher so eine GenZ-Sprache mit what the fuck und so weiter. Ältere Leute, meine Generation, aus Hamburg, also eine ihrer Hauptdarstellerinnen hat ihren zukünftigen Ehemann im Café „Schöne Aussichten“ kennengelernt in den 80ern. Alle, die in den 80ern studiert haben in Hamburg, the place to be, da lernte man seinen Freund, den zukünftigen, kennen. Tom Waits wurde erwähnt. Also so aus jeder Zeit diese coolen Elemente hat sie mit reingebracht. Sie kennt sich mit allen Szenen aus. Und du kennst dich auch, was ich bewundernswert finde, auch mit diesen ganzen Diversitätsthemen aus. Du hast ja auch Menschen mit Migrationshintergrund in das Buch eingebaut, hochintelligent und wie ich finde sehr zeitgemäß. Erzähl mal, wie du das gemacht hast.

00:09:07-9 Julia Kranik: Naja, wie gesagt, mein Vorsatz war, Unterhaltungsliteratur zu schreiben. Also für mich ist Unterhaltungsliteratur eine hohe Kunst und nicht was seichtes. Gute Unterhaltung, das ist mein Anspruch, ob es geklappt hat, müssen andere beurteilen, ist Literatur, die es schafft, finde ich, auf heitere, leicht zu konsumierende, gute Laune machende Weise durchaus ernste Themen zu behandeln. Und natürlich Frauenleben sind ja nicht lustig. Wir erleben irgendwie viele Dinge, die gar nicht zum Lachen sind. Sexismus privat und im Job, in unserer Generation fängt es mit der Altersdiskriminierung an, andere erleben Rassismus. Also das sind alles Elemente, die ich eingebaut habe, weil ich finde, dass sie dazugehören, wenn man irgendwie einen Frauenroman schreiben will. Ja, ich habe mit ganz vielen Leuten gesprochen natürlich, die davon betroffen sind. Ich habe ja eine türkische Hauptfigur oder ein türkischstämmige. Ich sage immer ganz artig türkischstämmig, aber meine türkischstämmige Freundin sagt immer, ich bin Türkin und dann zucke ich immer zusammen. Ich habe ganz viel gelesen, ich habe das gegenlesen lassen tatsächlich und jetzt gar nicht so sehr unter diesem für mich sehr neumodischen Begriff des, wie heißt das da, dieses sensitive, ich kann es nicht aussprechen, also dieses Gegenlesen sozusagen, ob man den Blickwinkel getroffen hat, sondern als Recherche. Ich bin ja auch Journalistin und will keine falschen Sachen schreiben, das heißt, da sollen Dinge, die realistisch sind, drin sein.

00:10:43-3 Christiane Brandes-Visbeck: Also es geht dir nicht um politische Correctness, sondern darum, dass es eine realistische Beschreibung ist, die dem Menschen entsprecht, die dem Protagonisten ähnlich sind?

00:10:53-1 Julia Kranik: Naja, in unserer Generation gibt es halt viele Frauen mit Migrationshintergrund, die schon erfolgreich sind, die ganz normal dazugehören, dann müssen die ja auch irgendwie in Vorabendserien und Büchern auftauchen, finde ich. Also das war so mein Ansatz. Also die Welt ist bunter als irgendwie in unserer Kindheit und das sollte sich widerspiegeln sozusagen in dem Roman.

00:11:13-5 Christiane Brandes-Visbeck: Und für viele von euch ist das vielleicht normal, aber wir kommen aus einer Generation, ich war früher auch Journalistin und ich habe vier Jahre in New York gelebt und habe da sehr viel auch über Entertainment, über Musik, Sport und so weiter berichtet, und viele der Künstler so in der Zeit waren halt schwarz. Und dann hieß es immer, biete uns doch nicht immer so viele Schwarze an, das ist 90er Jahre. Das heißt also, dieses Thema Migrationshintergrund, PoC und so weiter ist nicht selbstverständlich Teil der deutschen Nachrichtenjournalismusszene oder eben auch der Romanszene. Und dass du jetzt eben in diesem Roman auch Menschen mit unterschiedlichen Kulturen, Hautfarben eingebunden hast selbstverständlich, ohne das aber so nach vorne zu stellen, finde ich eben auch sehr zeitgemäß.

00:11:49-2 Julia Kranik: Na, da musste ich auch dazu lernen. Ich komme, das ist glaube ich für die jüngeren unvorstellbar, ich bin irgendwie 1980, glaube ich, auf das Gymnasium gekommen, ich hatte wirklich nicht einen einzigen Mitschüler und nicht eine einzige Mitschülerin mit Migrationshintergrund. Die existierten auf dem Gymnasium, wo ich hingegangen bin, einfach nicht. Und das ist natürlich furchtbar. Das habe ich aber auch erst sozusagen im Laufe meines Lebens, als ich mich damit beschäftigt habe, überhaupt angefangen mir darüber Gedanken zu machen, warum das so ist und dass das natürlich nichts mit der Intelligenz, dass die es alle nicht geschafft haben, sondern dass das strukturelle Probleme waren. Insofern ist es vielleicht auch so ein bisschen so eine Wiedergutmachung eine späte, weil mir das unangenehm ist sozusagen, dass ich das so lange hingenommen habe, ohne das zu hinterfragen, und deswegen wollte ich es jetzt bewusst anders machen.

00:12:40-6 Christiane Brandes-Visbeck: Ich habe jetzt auch gerade so ein bisschen Gänsehaut wegen dem Thema Wiedergutmachung. Also zum Inhalt, wer das Buch noch nicht kennt, es gibt drei Frauen, die sich durch Zufall kennengelernt haben. Tille, alleinerziehende Urologin, Urologen sind dafür bekannt, dass sie sehr lustig sind. Also die mit dem großen Humor, sagt man im Ärzteumfeld, wären Urologen oder Urologinnen.

00:12:59-0 Julia Kranik: Also die Urologin war sozusagen der Ursprung dieses Romans, weil ich eine Freundin habe, die alleinerziehende niedergelassene Urologin ist. Die ist von der Persönlichkeit ganz anders als meine Tille, aber auch mit der habe ich viel am Küchentisch und die hat immer so wahnsinnig lustige Geschichte aus ihrer Praxis erzählt, so dass ich schon vor zehn Jahren gedacht habe, wenn ich mal einen Roman schreibe, also dann soll darin irgendwie eine Urologin drin vorkommen, damit ich diese lustigen Anekdoten unterkriege. Und das war auch mein Arbeitstitel zuerst irgendwie, „Die Urologin“, ich habe dann aber eingesehen, also ich verstehe nicht viel vom Buchmarkt, aber dass sich Romane mit dem Titel „Die Urologin“ schwer irgendwie an den Verlag bringen lassen, da musste meine Agentin mich nicht lange von überzeugen. Aber ich habe mir diesen Traum erfüllt, das finde ich total super. Das ist auch wirklich lustig, weil es natürlich so ein bisschen pikantes Fachgebiet ist und die hat da viel mit Männern in seltsamen Situationen zu tun. Also es ist einfach guter Stoff.

00:13:55-2 Christiane Brandes-Visbeck: Kann man auch viel im Buch zu lesen, also es gibt auch lustige Männerszenen, Sexszenen, Reflexionen über potenzielle Sexszenen.

00:14:01-9 Julia Kranik: Also ist ein bisschen schlüpfrig, es gab Verlage, die das abgelehnt haben mit der Begründung, das sei irgendwie zu igitt tatsächlich, das wollen die Frauen nicht lesen. Ich finde es totkomisch.

00:14:11-8 Christiane Brandes-Visbeck: Nein, es ist total komisch. Genau diese Urologin, diese taffe Frau, hat einen Sohn, Jan, der ist ungefähr 15, die hat dieses Kind alleine großgezogen. Als Nils erfuhr, dass sie schwanger war, war er nicht so wirklich interessiert an der neuen Familie. Jan ist so ein bisschen awkward, er kann sich nicht so gut bewegen, hat auch nicht so eine tolle Körperhaltung.

00:14:29-6 Julia Kranik: Er spielt vor allen Dingen zu viel Computer, wie mein Sohn, da habe ich mein eigenes Trauma verarbeitet.

00:14:33-9 Christiane Brandes-Visbeck: Genau, also eigentlich die meiste Zeit online mit Computerspielen. Er fühlt sich unter Menschen nicht so wirklich wohl. Und Yeliz, die Werberin, mega erfolgreich, die einzige in der Werbeagentur Frau, die fast so auf einem Partnerlevel unterwegs ist, mit Blick Corneroffice auf die Elbe, also schon super Status. Die eigentlich auch gerne Kinder haben wollte, es aber nicht geschafft hat. Also auch nach zwei künstlichen Befruchtungen aufgegeben hat. Die sagte dann so, als sie Jan kennenlernte, so hatte ich mir Kinder gar nicht vorgestellt, eigentlich sind die doch klein und niedlich und jetzt ist das hier so ein 15-Jähriger mit hängenden Schultern, der gerne Computer spielt und das ist halt auch ein Kind. Diese Situation ist lustig, aber die freunden sich später an, Jan entwickelt sich super, also das ist der Anfang.

00:15:16-4 Julia Kranik: Ja, also ich habe alles mögliche verarbeitet sozusagen, was mir selber im Laufe meines Lebens wichtig geworden ist, zum Beispiel das offene Reden darüber, was auch nicht so schön ist am Kinderhaben. Also ich bin nicht der Typ Mutter, also ich habe zwei Kinder, die inzwischen erwachsen sind, und ich kann wirklich sagen, die armen wissen das auch, ich habe nicht immer mit verklärtem Blick auf diese Kinder geguckt, sondern auch manchmal so oh man.

00:15:42-6 Christiane Brandes-Visbeck: Was mache ich mit denen?

00:15:44-3 Julia Kranik: Also ich finde auch, seine eigenen Kinder findet man nicht immer nur super, da redet nur keiner drüber. Es gibt auch Augenblicke, in denen findet man die richtig blöd oder fragt sich, was man da verzapft hat oder irgendwie so was, was habe ich falsch gemacht, dass das dabei rausgekommen ist. Und das sind Wahrheiten, die tabu sind gerade für Frauen und natürlich kann man da ein Sachbuch drüber schreiben. Das hätte ich meinen armen Kindern, die ich im übrigen sehr liebe, nicht angetan. Aber Belletristik, also fiktive Geschichten, bieten ja die Möglichkeit, solche Themen elegant unterzubringen und auch mit Wahrhaftigkeit, ohne sich selber und die Menschen, die man liebt, bloßzustellen, indem man eben dieses fiktive zwischen sich schiebt oder eben auch Berufsalltag ist ja in meinem Buch auch sehr relevant, weil ich finde, also ist ja in vielen Frauenromanen ist ja Beruf so eine Kulisse. Also die Frauen müssen halt heutzutage irgendsoeinen Beruf haben, wenn es kein historischer Roman ist, wo sie irgendwie nur Schlossherrin sind oder irgendwie so was, was ja auch ein Beruf ist. Und dann ist es so ein bisschen anrecherchierte Kulisse. Das war mir auch wichtig, ich glaube, deswegen bin ich ja in Wahrheit auch hier gelandet, dass das sorgfältig recherchiert ist. Also wenn ich irgendwas schlimm finde ist es die Vorstellung, dass Leute, die was von der Sache verstehen, das Buch lesen und irgendwie bei jedem dritten Satz denken, oh Gott ja das denkt die sich so, dass das so ist, aber in Wahrheit ist es ganz anders. Das gibt es ja gerne mal im deutschen Fernsehen, finde ich, dass man so Serien guckt und so Arztserien oder Anwaltsserien und jede Anwältin und jede Ärztin würde sich irgendwie unter dem Schreibtisch umdrehen wahrscheinlich, wenn sie das guckt, weil das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Und auch das finde ich, Unterhaltung ist ja immer potenziell Mainstream und ich finde, wenn Frauen in Berufen, wenn Frauen mit Karriere selbstverständlich sein sollen, dann muss das auch ein zentrales Element in der Mainstreamunterhaltungsbranche und Literatur, eben in meinem Fall Literatur, in Filmen, nicht wahr Mareile, hallo, werden. Also das darf nicht nur schmückendes Beiwerk, weil das jetzt so ein bisschen zeitgemäß sein soll, sein, das muss relevant sein sozusagen.

00:17:56-6 Christiane Brandes-Visbeck: Thema schmückendes Beiwerk. Es gibt noch eine dritte Hauptperson, Almuth, Almuth hat Germanistik studiert, hat dann einen sehr sympathischen jungen Mann kennengelernt, wie gesagt im Café „Schöne Aussichten“, hat ihn dann geheiratet, wurde während es Studiums schwanger, hat vier Kinder bekommen, ich glaube, sie zog dann nach Blankenese mit ihrem dann sehr erfolgreichen Mann, war Hausfrau und Mutter, natürlich perfekte Hausfrau, alles super. Dann so mit Anfang 50 gab es dann die Scheidung, das ist auch das erste Kapitel, perfekt beschrieben, wie sie beim Notar sitzen, der Notar da seine sachlichen Dinge runterbetet und sie so im Stream of Consciousness ihr Leben noch mal so Revue passieren lässt, ihren Mann anguckt, jede kleinste Gesichtsregung wiedererkannte, ah jetzt denkt er dies, jetzt denkt er das, aber sie leben eben gerade jetzt in Scheidung. Und sie hat es geschafft, dem Mann seine Wohnung in Eimsbüttel abzuschnacken und noch ein bisschen Geld und dann zieht sie in Eimsbüttel ein und wird Nachbarin von Tille und Jan. So das ist die erste Begebenheit. Und Yeliz, die Werberin, treffen sie beim Salsatreffen, wo es dann einen kleinen Unfall gab. Erzähl du mal gerne, ist ja dein Buch.

00:18:54-8 Julia Kranik: Ja, ich will jetzt gar nichts über den Inhalt sagen. So ein bisschen ist es auch eine Ehrenrettung der Hausfrau mein Buch.

00:19:01-8 Christiane Brandes-Visbeck: Ja total.

00:19:03-2 Julia Kranik: Also ich habe ja beschlossen, über drei sehr unterschiedliche Frauen zu schreiben. Und das Hausfrauendasein ist ja aus vielerlei berechtigten Gründen aus der Mode gekommen. Wobei auch in meiner Generation, also ich glaube, bei den jüngeren ist das anders, ich bin Jahrgang 70, es gab noch relativ viele Frauen um mich rum, die tatsächlich einfach irgendwie aufgehört haben zu arbeiten mit dem ersten Kind und dann auch so schnell jedenfalls nicht mehr damit angefangen haben. Also das ist ein durchaus üblicher Lebensweg noch gewesen, zum Glück heute glaube ich nicht mehr so viel. Und trotzdem habe ich als immer berufstätige Mutter oft gedacht, ich möchte überhaupt nicht so leben. Also ich habe da keine Lust drauf, ich würde mich langweilen den ganzen Tag mit den Kindern. Ich möchte Geld verdienen, ich will finanziell unabhängig sein. Aber trotzdem verkörpern diese Frauen natürlich, es könnten genauso gut Männer sein, sind es aber nicht traditionell, uns geht ja auch ein bisschen was verloren über diesen Spagat und immer alles schaffen müssen. Also manchmal habe ich meine nicht so viel oder gar nicht arbeitenden Freundinnen auch so ein bisschen beneidet, weil die so Zeit für die guten Dinge im Leben hatten, die unsereins immer so in Quality Time zwischen 18 und 18:30 Uhr abgearbeitet haben. Und ich meine, machen wir uns nichts vor, dieses ganze Carearbeitthema, also Essen spielt in meinem Roman eine große Rolle, so ein bisschen aus Versehen. Irgendwann ist mir klar geworden warum, weil kochen und gemeinsam essen für mich der Inbegriff für Geborgenheit und Liebe und gutes Leben ist. Und wie oft habe ich oder mein Mann abends total abgehetzt noch in den Supermarkt gerannt. Also das war immer so ein Fixpunkt in unserem Familienleben, abends, weil wir uns schon den ganzen Tag nicht gesehen haben, wird noch zusammen zu Abend gegessen so halbwegs in Ruhe und halbwegs lecker mit den Kindern, die immer bekocht werden wollten, weil irgendwie ihr Kita- oder Hortessen immer angeblich kotz, reiher, eklig war. Das haben sie irgendwie geschafft uns zu vermitteln, dass das jetzt das Mindetsmaß an elterlicher Zuwendung ist, dass wir abends noch mal irgendwie ihnen was leckeres auf den Tisch stellen. Und es war super Stress. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das gemacht haben. Also irgendwie, wie oft bin ich um 18:30 Uhr aus dem Büro gerannt und noch schnell irgendwie da auf dem Heimweg irgendwo rein und dann wurde irgendwie zu Hause um 20:30 Uhr gegessen und um 22 Uhr war die Küche und dann bin ich irgendwie in Ohnmacht gefallen. Das heißt, wir zahlen alle einen wahnsinnig hohen Preis für diese Vereinbarkeitssache. Und manchmal denke ich, nee das geht doch irgendwie gar nicht. Also auf Dauer kannst du das nicht alles auf dem Niveau halten. Ich habe da jetzt auch keine Lösung so, keine Patentlösung, aber es gibt ja Debatten um Teilzeitarbeit mit Kindern. Also tun wir mal nicht so, als wäre es leicht und lustig, das alles so unter einen Hut zu kriegen. Und insofern verkörpern,… ich wäre nie gerne Hausfrau gewesen. Und aus tausend Gründen ist es finanziell unverantwortlich sich selbst gegenüber, das als Frau zu machen. Und trotzdem steckt da so was drin, wo ich denke, uns ist auch was verloren gegangen und wir müssen unseren Weg korrigieren. Also zwei Doppelverdiener, wie uns suggeriert wird, zwei Doppelverdienerelternteile, die irgendwie Spitzenjob machen und irgendwie noch zu Hause immer alles schön, das ist im Grunde genommen nicht zu schaffen, jedenfalls nicht über viele Jahre hinweg.

00:22:36-4 Christiane Brandes-Visbeck: Deshalb finde ich auch den Roman so zeitgemäß, weil ich als Managerin, also ich bin Partnerin bei einer Digitalberatung und habe gleichzeitig noch meine eigene Firma nebenher, ich mache also zwei Jobs, wenn man so will, in Teilzeit und war auch lange Zeit alleinerziehende Mutter. Und deshalb dieses Thema von Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Pflege und Familie oder Hobbys und Arbeit, das ist eben nicht so ganz einfach. Und ich glaube, wir müssen da Modelle entwickeln in der Wirtschaft, die eben Männern und Frauen, die eben verschiedene unter einen Hut bekommen und hinbekommen können. Und deshalb ist ja immer dieses hybride Arbeiten gerade so interessant, dass man mit asynchron arbeiten vielleicht dann doch in Vollzeit arbeiten kann. Oder Vollzeit vielleicht weniger Stunden sind. Also Teilzeit ist ja auch noch mal Armutsfalle später im Alter. Also es ist schon wichtig, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Und Julia macht das eben auf ihre Art, als Journalistin, als Romanautorin, aufgrund ihrer Reflexion. Ihr merkt ja, wie reflektiert sie ist, dass sie diese ganzen zeitgemäßen Businessthemen in einem super lesbaren Roman zusammenbringt. Und ich, die sehr wenig Zeit hat, ich habe den wirklich durchgelesen und ich lese nicht viele Sachen auf einmal durch, weil ich gar keine Zeit habe und viel zu müde bin. Aber das ist wirklich ein Buch, wo sich das lohnt, weil es einfach einen auf so vielen verschiedenen Ebenen anspricht und man immer denkt, kenne ich, kenne ich, ich kenne jemanden, der das kennt, habe ich auch schon hingekriegt, oh je das war mir viel peinlicher. Und das ist einfach so cool, wenn man sich dann so wiedererkennt. Und dann ist aber auch eine Geschichte dahinter, so bisschen krimimäßig, erzähle ich jetzt nicht. Also alle drei erleben ein ganz schlimmes Schicksal und die Auflösung werde ich jetzt nicht erzählen, da finden sie gemeinsam eine Lösung.

00:24:03-6 Julia Kranik: Es gibt noch ein riesiges Arschloch in dem Buch.

00:24:08-4 Christiane Brandes-Visbeck: Okay, Fred der Widerling.

00:24:10-0 Julia Kranik: Dem die drei zusammen eins auswischen. Ich glaube, im Leben jeder Frau gibt es ein Riesenarschloch und wir alle träumen davon, ihm irgendwie mal den Stinkefinger zu zeigen.

00:24:18-7 Christiane Brandes-Visbeck: Jetzt kommen wir zu Rosemarie Pilcher.

00:24:22-2 Julia Kranik: Und kriegen das wahrscheinlich leider in neun von zehn Fällen nicht hin, weil es keine Möglichkeit gibt. Aber auch da habe ich sozusagen über meine Fantasie ausgelebt, was in der Realität leider nicht so richtig möglich ist.

00:24:37-1 Christiane Brandes-Visbeck: Mein Mann hat auch gesagt, das Ende finde ich unrealistisch. Aber das ist egal. Also wir können auch gerne hinterher noch mal so denken, so wäre es schön. Und das hat Julia für uns getan. Sie hat einfach ein Ende formuliert, wo wir alle denken.

00:24:49-0 Julia Kranik: Also ich erröte jetzt ein bisschen, Christiane ist wirklich sehr begeistert von meinem Buch, das finde ich toll.

00:24:51-8 Christiane Brandes-Visbeck: Und sonst bin ich sehr kritisch.

00:24:55-3 Julia Kranik: Ich habe einfach versucht, ein Buch zu schreiben, was man irgendwie abends nach einem anstrengenden Tag so Weglesen kann und wo man nicht die ganze Zeit irgendwie denkt, das ist mir aber zu blöd sozusagen. Ja.

00:26:21-5 *Musik*