Theresa Hannig schreibt eigentlich Science-Fiction-Romane. Für den Sachbuch-Sammelband namens „Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abzuschaffen“, herausgegeben von Bettina Schulte, hat sie ein persönliches Kapitel geschrieben, es heißt: „Feminismus heute“. Im herCAREER Podcast sprach sie mit Julia Hägele, herCAREER-Chefredakteurin, darüber, wie sie von einem leistungsorientierten Feminismus zu einem wertschätzenden, kooperativen Feminismus gekommen ist.

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Thema

Wirtschaft, Arbeit & New Work | Gesellschaft

Angaben zur Referent:in

Theresa Hannig studierte Politikwissenschaft und arbeitete als Softwareentwicklerin, bevor sie sich hauptberuflich dem Schreiben zuwandte. In ihren Texten beschäftigt sie sich mit der Zukunft unserer Gesellschaft in Hinblick auf Kapitalismus, KI und Klimawandel. Hannigs Romane wurden mehrfach ausgezeichnet, zuletzt erhielt sie auf der Leipziger Buchmesse für ihren Roman Pantopia den Phantastik Literaturpreis Seraph für das Beste Buch 2023. Für ihr Engagement, schreibende Frauen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, wurde sie 2023 mit dem Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet.

[00:00:00] Theresa Hannig: Ich bin nicht wie andere Frauen. Ich bin nicht wie andere Mädels. Ja, Bullshit. Wir sind alle wie die Frauen. Nur dieses etwas, von dem wir uns abheben wollen, ist so ein Negativbild, was uns aufgedrückt wird. Wir sollten solidarisch miteinander sein, weil wir einfach alle die gleichen Probleme haben.

[00:00:22] Julia Hägele: Herzlich willkommen beim HerCareer Podcast. Hier kommen Menschen zu Wort, die sich für eine vielfältige und gerechte Arbeitswelt einsetzen. Von der HerCareer Expo Live und aus der HerCareer Community. Theresa Hannig schreibt eigentlich Science-Fiction-Romane. Für den Sachbuchsammelband namens „Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abzuschaffen“, herausgegeben von Bettina Schulte, hat sie ein persönliches Kapitel geschrieben. Es heißt „Feminismus heute“. Mein Name ist Julia Hägele und ich habe mit Theresa darüber gesprochen, wie sie von einem, wie sie sagt, leistungsorientierten Feminismus hin zu einem wertschätzenden, kooperativen Feminismus gekommen ist. Wir haben außerdem darüber gesprochen, wie jede und jeder von uns zu mehr ehrlicher Wertschätzung gelangen kann, und darüber, wie sich das Frauenbild von ihrer Großmutter über ihre Mutter zu ihr und ihrer Tochter gewandelt hat. Theresa. Schön, dass du da bist.

[00:01:34] Theresa Hannig: Ja. Servus.

[00:01:35] Julia Hägele: Lass uns kurz über den Titel des Bandes sprechen, in dem auch weitere Autorinnen wie Mareike Fallwickl oder Barbara Streidl verfasst haben. Von was sprechen wir eigentlich, wenn wir vom Patriarchat sprechen?

[00:01:46] Theresa Hannig: Oh, das ist eine sehr gute Frage, die einerseits einfach, andererseits super schwierig zu beantworten ist. Also das Patriarchat einfach von der Wortbedeutung her ist halt die Herrschaft der Männer bzw. Die Herrschaft der Väter. Aber eigentlich geht es da um das gesamtgesellschaftliche System, in dem wir leben, in dem systemischer Sexismus, Misogynie, Unterdrückung von Frauen und systemische Besserbehandlung von Männern stattfindet. Also eigentlich alles, was wir in unserer westlichen, abrahamitischen, religiösen geprägten Gesellschaft seit einigen 1000 Jahren erdulden müssen.

[00:02:17] Julia Hägele: Obwohl die Gleichberechtigung ja im Gesetz drinsteht.

[00:02:20] Theresa Hannig: Ja, das mag schon sein, aber das eine ist ja das Gesetz und das andere ist die gesellschaftliche Realität. Wenn man da drüber spricht mit Leuten, die sich noch nicht damit befasst haben, dann ist da oft so eine Verteidigungshaltung drin. Es ist ja nicht so, dass irgendjemand böswillig oder aktiv im Patriarchat oft die Frauen benachteiligt. Also es ist ja so, wenn du mit den Leuten sprichst, sind alle für Gleichberechtigung oder die meisten und das ist alles selbstverständlich und man sagt, das sei alles normal und das ist im Gesetz drin. Aber was das Patriarchat kennzeichnet, ist ebenso ein alle Gesellschaftsbereiche durchwirkendes gesellschaftlich kulturelles Handeln, was so eine Schieflage erzeugt, derer wir uns meistens nicht bewusst sind. Das ist das große Problem. Es ist nicht so, dass wir in einer, wie ich’s jetzt sagen würde, in Saudi-Arabien, wo die Frauen geköpft werden oder gesteinigt werden, wenn sie mit jemand anderes schlafen als mit ihren Männern. Das meine ich damit gar nicht. Ist natürlich noch viel schlimmer. Sondern es geht um so eine Normalisierung von schlechter Behandlung und Geringschätzung von Frauen, die sich durch alle Gesellschaftsbereiche zieht.

[00:03:19] Julia Hägele: In deinem Aufsatz geht es darum, wie sich dein persönliches feministisches Bewusstsein über die Jahre gebildet hat. Das war nicht immer einfach und es war auch nicht immer eindeutig. Es gibt eine Entwicklung vom leistungsorientierten Feminismus hin zu einem kooperativen, wertschätzenden Feminismus. Kannst du uns mitnehmen in die Zeit des leistungsorientierten Feminismus? Also wie ist die junge Theresa aufgewachsen?

[00:03:42] Theresa Hannig: Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, in Oberbayern. Aus einem bildungsbürgerlichen akademischen Haushalt komme ich. Meine Mutter ist Lehrerin gewesen, Gymnasiallehrerin, mein Vater war Tierarzt. Und es war ganz klar von Anfang an, dass Bildung eine hohe Rolle spielt, eine große Rolle spielt. Gesellschaftliches Ansehen im Sinne von sich selber was erarbeiten, selber was schaffen, Leistung bringen, das ist selbstverständlich. Und das führte dann dazu, dass auch hohe Ansprüche gestellt wurden an uns Kinder und selbstverständlich erwartet wurde, dass wir Leistung bringen. Also das war quasi normal, Leistung zu bringen, in allem gut zu sein bzw. Sein Bestes zu geben. Und meine Mutter hat es sehr gefördert, in dem sie quasi auch immer das Beste gefordert hat. Also nicht der Beste zu sein war quasi schon eine Enttäuschung eigentlich.

[00:04:31] Julia Hägele: Das heißt, welche Werte wurden dir dann als junges Mädchen vermittelt?

[00:04:35] Theresa Hannig: Na ja, meine Mutter war auch ein großer Fan von Kant. So gesehen war auch schon immer der kategorische Imperativ so ein Grundpfeiler meiner Erziehung. Aber so ein humanistisches Menschenbild. Aber grundsätzlich ging es schon darum, wir als als Mädels – also ich habe noch eine Schwester – wir mussten uns anstrengen und immer die Besten sein. Was anderes gab es eigentlich gar nicht. Also Faulheit oder so was. Das gab es überhaupt nicht. Das ist völlig klar: Du musst besser sein als alle anderen.

[00:05:02] Julia Hägele: Ich finde dein Kapitel sehr offen und ehrlich geschrieben und ich bin an ein paar Sätzen hängengeblieben. Also einer davon war beispielsweise: „Wenn mich jemand mobbt, tat er das nur ein einziges Mal.“ Deine Erziehung hat dich zumindest stark gemacht, oder?

[00:05:17] Theresa Hannig: Ja, ja, auf jeden Fall. Und es ist so ein bisschen erstaunlich, wie man so mit dem Alter, also ich bin jetzt 40, aber so man hatte so verschiedene Lebensphasen, wie man so auf sein Leben zurückblickt und sich so überlegt, ob so dass die Eigen- und Selbstwahrnehmung und die Fremdwahrnehmung, ob die so im Laufe der Biografie, wie sich das ändert, und ob das wirklich so richtig war, wie man das alles wahrgenommen hat. Also ich fand mich eigentlich immer immer nett und hätte gesagt, ich hätte niemanden gemobbt. Aber im Nachhinein muss ich schon sagen, wahrscheinlich war ich auch nicht immer so nett zu allen, weil ich mir halt nichts habe gefallen lassen und das von den anderen auch irgendwie erwartet habe. Also am Anfang, wenn man man in die Schule kommt, in die Grundschule, ist natürlich so ein Austarieren wer mit wem, wer gegen wen, so ein bisschen die Stärken und Schwächen ausgucken. Und da war relativ schnell klar, dass ich da zu den Starken gehöre. Aber manchmal hab ich es natürlich auch abgekriegt von den anderen. Aber das habe ich mir nicht gefallen lassen. Und dann erinnere ich mich total an so eine Szene und es tut mir echt leid im Nachhinein, weil der war glaub ich echt nicht einer von den Oberbullys. Es gab so ein so einen Jungen, der mir mal die Hausschuhe geklaut hat. Das war klar für mich: das ist eine Regelübertretung, das darf man nicht sowas. Und dann habe ich ihn zur Rede gestellt. Das war mir wichtig, jemanden zur Rede stellen, mal um rauszufinden, ob jemand was falsch gemacht oder nicht. und dann hat er auch zugegeben, er hat meine Hausschuhe geklaut und dann hab ich gesagt: Ja gut, dafür muss ich dir jetzt eine Ohrfeige geben, denn das gehört sich ja nicht. Und dann wollte er abhauen. Dann hab ich gesagt, du das Abhauen bringts nichts, wir sehen uns morgen wieder. Und entweder du holst dir die Ohrfeige jetzt ab oder ich hau dir morgen eine runter. Und dann ist er heulend zu mir gekommen und ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben und das war’s dann, dann war’s für mich erledigt das Thema. Aber ich denk mir im Nachhinein: Ach du Scheiße, der arme Junge. Wie alt waren wir da? Erste Klasse, zweite Klasse. Dann denk ich mir, es war natürlich nicht richtig. Also der tut mir richtig leid im Nachhinein.

[00:07:02] Julia Hägele: Ich meine, du standest natürlich auch unter dem Druck, die Fallhöhe war relativ hoch, alles im Griff zu haben und die Beste zu sein und unter Kontrolle zu sein. Und dann gibt man es vielleicht weiter. Der Arme. Ein anderes Zitat: „Das Leben war ein Kampf um Freunde, Noten und Anerkennung. Qua natürlicher Ordnung waren also diejenigen, die es nach oben geschafft hatten, die besseren Menschen.“ Es klingt jetzt mal nicht so empathisch. Muss man es lernen, Empathie für die Schwächen anderer empfinden zu können?

[00:07:30] Theresa Hannig: Also eigentlich muss man das nicht lernen, es kommt halt immer drauf. Also ich glaube, es hängt einfach ganz viel davon ab, in welchem Elternhaus du aufwächst und mit welchen Werten du generell groß wirst. Also es war ja erstaunlicherweise kein Widerspruch darin, irgendwie hier nach einem Ideal zu leben, aber trotzdem immer zu meinen, besser zu sein als alle anderen. Wo du eigentlich ja meinst, wenn wir alle gleichberechtigt sind, ist gar keine Notwendigkeit dafür, besser zu sein und sich über andere zu erheben. Denn das Aufgehen in der Gruppe sollte ja eigentlich Erfüllung bieten. Tat es aber nicht, weil gleichzeitig halt klar war: Du musst schon besser sein. Das ist so ein Paradox. Ich glaube, ich muss das mal mit meiner Mutter besprechen, was die Erziehung betrifft. Es war tatsächlich so ein bisschen so, wie gesagt, ich bin da auf dem Land großgeworden und mein Vater als Tierarzt hatte sehr viel Großtierpraxis, Das heißt, er musste viel zu den Landwirten rausfahren, Geburten machen, Besamungen, da die ganzen Tiere versorgen. Und es war eben so, dass mein Vater als studierter Tierarzt schon meinte, etwas Besseres zu sein als die Bauern. Auf die hat er, muss man leider im Nachhinein sagen, ziemlich herabgeschaut und es war klar, wir sind quasi die Arztfamilie und wir müssen aber Dienst tun oder mein Vater musste Dienst tun an dieser bäuerlichen Schicht, die weder seine Kompetenz noch sein Wissen irgendwie schätzen konnte und sehr bäuerlich und in seiner Beurteilung sehr, sehr stumpf war. Und so gab es quasi ein ganz großes Klassendenken bei mir zu Hause und das habe ich natürlich mitgekriegt. Und dementsprechend war es dann wieder normal, dass das Mädchen Theresa Jung, damals noch, deren Pfad vorgezeichnet ist, irgendwann aufs Gymnasium zu gehen und zu studieren, dass die sich dann auch darüber erheben würde. Und so gesehen war es total schwierig, dann diese Empathie oder diese Freundschaften zu finden innerhalb des Dorfes, weil da ja auch Kinder waren, die von Bauern waren, weil ich ja von zu Hause aus wusste, die sind ja dumm oder aus den wird nix, sie werden ja nur Bauern. Und das konnte ich damals nicht so richtig verbalisieren. Das fällt mir erst im Nachhinein so richtig auf. Aber im Nachhinein, wenn man das so analysiert, macht das dann alles plötzlich Sinn, warum es mir tatsächlich schwergefallen ist, als Kind da Freundschaften zu knüpfen. Es war sogar so, dass für uns als Kinder damals Familien rausgesucht wurden und Kinder rausgesucht wurden, die vom Stande her in Ordnung und gut für uns waren. Da wurde dann mit dem Bankdirektor und mit dem Radiologen, da wurden dann Treffen vereinbart, weil deren Kinder waren, ja, das war in Ordnung, dass wir da Freundschaften pflegten. Wir haben uns als Kinder gar nicht gut verstanden, aber das war wurscht. Genau. Und das war alles ein bisschen schwierig. Und ich glaube, eben diese Interaktion hat mir dann auch gefehlt. Oder ich war da gehemmt und deshalb fällt es mir tatsächlich schwer, auch heute noch im Nachhinein, nicht so gut in so Gruppen einzufühlen. Also das ist schon ein Thema, was mich länger beschäftigt.

[00:10:04] Julia Hägele: Wie wirkt sich das eigentlich auf Personen im Erwachsenenalter aus, wenn sie von klein auf lernen, dass die Mitmenschen primär Konkurrent:innen sind? Glaubst du, das hat Auswirkungen?

[00:10:14] Theresa Hannig: Ich bin ja auch erst seit – kann ich ziemlich genau festlegen – seit 2019 Feministin, weil ich da einen sehr krassen Umwandlungsprozess hatte. Bis dahin, also bis 34, fand ich mich ja ganz normal und richtig in meinem Sein und meinem Handeln und hatte aber noch diese ganzen alten Wertvorstellungen drin. Also man kann durchaus ein ganz normales Leben führen, ohne über diese frühkindliche oder gesellschaftliche Prägung reflektiert zu haben. Und ich hatte auch Freunde und Familie und es war alles in Ordnung. Aber es ist schon krass. Man kann sowohl als als Feministin als auch als Nicht-Feministin ganz normal das Leben führen und meinen, die eigenen Wertvorstellungen seien die richtigen. Ohne jetzt ständig mit anderen in Konflikt zu geraten.

[00:10:57] Julia Hägele: Was ist 2019 passiert?

[00:11:00] Theresa Hannig: 2018 auf der Frankfurter Buchmesse war ich für ein Panel eingeladen zum Thema. Das hieß „Think Ursula“. Das war zu Ehren von Ursula K. Le Guin, die ich bis dahin noch gar nicht gekannt hatte, und habe im Zuge der Vorbereitung auf dieses Panel ganz viel von ihr gelesen und ist eine großartige Autorin, die ich hier mal ganz doll empfehlen möchte.

[00:11:17] Julia Hägele: Magst du kurz erklären, um wen es sich handelt?

[00:11:19] Theresa Hannig: Ursula K. Le Guin ist eine amerikanische Science-Fiction-Autorin, die 2018 erst gestorben ist tatsächlich. Die hat gerade so in den Siebzigern und Achtzigern bahnbrechende und eigentlich für das Genre wegweisende Dinge geschrieben. Manche kennen vielleicht ihre „Erdsee“-Saga, die im Fantasybereich, im Science-Fiction-Bereich so ganz herausragend zu nennen ist. „The Dispossessed“, ein utopischer Roman und viele andere noch. Wirklich jedes Buch von ihr ist der absolute Wahnsinn. Ich hatte jetzt die eben gelesen für dieses Panel und wurde da zum ersten Mal eben mit so feministisch-utopischer Literatur konfrontiert. Das war schon mal für mich so persönlich in der Vorbereitung interessant. Dann waren auf diesem Panel, wo es ja eigentlich um weibliche Utopien ging, zwei Frauen, eine nicht-binäre Person und vier Männer. Dann wurde für die Ankündigung irgendwie nur mein Name erwähnt. Die Namen der anderen wurden ignoriert. Als ich dann die Buchmesse darauf hinwies, dass es doch sinnvoll wäre, die Frauen fürs Panel zu erwähnen, wurden die dann auch nicht erwähnt, sondern auch noch mein Name falsch geschrieben. Auf dem Panel selber, das wieder von einem Mann moderiert wurde, hatten die Männer wesentlich mehr Anteil. Wir kamen zwar auch, aber nur sehr selten irgendwie zur Sprache. Und irgendwie hab ich gemerkt, irgendwas ist hier total schief. Da ging es dann schon so los, dass ich mir dachte, irgendwas ist da nicht richtig. Und dann, weil ich selber gemerkt habe, dass ich da gerade frisch in dem Genre als Autorin unterwegs bin, hab ich dann auf Twitter einen Aufruf gestartet. Ich würde gerne mehr von Science-Fiction-Autorinnen lesen, um mich so ein bisschen mehr in meiner Hood irgendwie auszukennen und hatte dann gedacht: Okay, dann, da kamen dann gleich ein paar Antworten, und um sie zu sammeln, habe ich gesagt, ich mache jetzt eine Liste in der Wikipedia. Da können nämlich alle unkompliziert mitarbeiten und habe eine Liste deutschsprachiger Science-Fiction-Autorinnen erstellt. Und diese Liste wurde gut angenommen. Es kamen sofort irgendwie 15 20 Einträge und am Abend hatten wir dann einen Löschantrag. Das heißt, jemand von den alteingesessenen Leuten in der Wikipedia hat gesagt: Nee, diese Liste brauchen wir nicht, die ist nämlich irrelevant. Und da dachte ich mir: Hä, wie, die ist relevant! Wieso das denn? Und dann wurde da ein Riesenthema draus. Wir haben monatelang diskutiert, wir haben eine Petition gestartet, wir hatten auch richtig schön viel Aufmerksamkeit. Wir haben mit den Medien gesprochen. Es war eine ganz tolle Geschichte, aber da ist mir einfach erst mal bewusst geworden durch diesen ganzen Widerstand dagegen: wir wollen nichts von Frauen hören. Wir wollen nicht, dass Frauen irgendwie erwähnt werden. Da dachte ich mir: Okay, da ist wohl echt was dran. Und jetzt? Ich habe mir diesen Krampf gar nicht ausgesucht, der wurde mir so quasi auf dem Silbertablett präsentiert. Dann habe ich aber gesagt so wie früher: Das lass ich mir nicht gefallen. Jetzt erst recht. Und seitdem bin ich in diesem Game drin und bin auch als feministische Aktivistin unterwegs.

[00:13:48] Julia Hägele: Ja, ich glaube, da haben viele Frauen so ihr eigenes persönliches Erweckungserlebnis. Du bist ja von diesem sehr kompetitiven Feminismus, das immer stark sein Müssens und alles unter Kontrolle Haben, hast dich gewandelt hin zu einem kooperativen Feminismus, geprägt von gegenseitiger Nachsicht und Unterstützung. Jetzt haben wir gerade ein Erweckungserlebnis schon erfahren dürfen. Gab es noch was anderes, was diesen Wendepunkt ausgemacht hat?

[00:14:14] Theresa Hannig: Ja, eigentlich zeitgleich war das muss auch 2019 gewesen sein. Da habe ich sehr krasse Unterstützung durch eine andere Frau erfahren, die mich aus dem Nichts heraus, also die war, sagen wir mal, gesellschaftlich sehr viel weiter als ich, karrieremäßig sehr viel weiter als ich. Ich möchtet ihr Namen nicht nennen, weil es sonst irgendwie ein bisschen komisch ist. Und die hatte mich eben unterstützt, hatte mich für verschiedene Veranstaltungen engagiert und mich immer wieder empfohlen, mir auch bei Honorarverhandlungen Tipps gegeben und so. Und die kam so aus dem Nichts einfach. Und dann habe ich sie gefragt: Warum? Ich finde es ja voll geil und danke ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Aber warum machst du das eigentlich? Und dann sagte sie einfach so: Ja ne, ich find dich gut. Das war schon mal das Erste, dass einfach jemand einfach sagt: Ich finde dich gut. Ich wär so froh gewesen, wenn vor zehn Jahren jemand das mit mir gemacht hätte, mich so unterstützt hätte. Und wenn du dich bedanken willst, dann mach einfach das Gleiche. Wenn du so weit bist wie ich, dann mach das Gleiche wie ich und unterstütze jemanden. Und das fand ich so toll und so, also ich war richtig richtiggehend schockiert, weil ich bin ja nicht immer schon immer Autorin. Ich war ja erst Softwareentwicklerin und habe auch in so einem chinesisch-deutschen Unternehmen gearbeitet. Das war schon sehr businessmäßig. Kapitalismus. Ich hatte da nie Probleme, weil ich war ja stark und erfolgreich und so, aber ich wusste schon, also im Business, da zählen andere Regeln als im normalen Leben, im normalen Leben. Ja, haste Freunde, Bekannte, die unterstützen dich. Aber sobald es ums Geld geht, da musst du eine harte, harte Linie fahren und das hatte diese Frau halt total gebrochen und gesagt: So ein Bullshit. Natürlich muss man das nicht und erst recht wir Frauen müssen uns unterstützen, weil es macht ja sonst keiner. Und das fand ich so krass, dass ich gesagt habe, das, was ich gedacht hatte, zu wissen, wie das System funktioniert, das stimmt einfach überhaupt nicht, sondern wir perpetuieren da nur irgendwelche Machtstrukturen und versuchen immer uns hervorzuheben. So dieses typische „Ich bin nicht wie andere Frauen, ich bin nicht wie andere Mädels“. Ja, Bullshit. Wir sind alle wie die Frauen. Nur dieses, von dem wir uns abheben wollen, ist so ein Negativbild, was uns aufgedrückt wird. Niemand will so sein wie die Frauen, wie sie in Film und Fernsehen und weiß ich nicht wo dargestellt werden (Klammer auf: von Männern immer geschrieben), sondern wir sollten solidarisch miteinander sein, weil wir einfach alle die gleichen Probleme haben. Und genau das war mein zweites Erweckungserlebnis, wo ich mir gesagt habe: Also, so möchte ich auch mal sein. Und dann mache ich es einfach. Dann bin ich ab jetzt so, oder ich arbeite zumindest daran, so zu sein und das macht mich richtig glücklich, muss ich sagen.

[00:16:37] Julia Hägele: Denkst du, dass Solidarität oder Sisterhood, wie es auch oft genannt wird, wirklich möglich ist in einem System, das so viel über Wettbewerb funktioniert? Also unsere Arbeitswelt?

[00:16:48] Theresa Hannig: Wir sind alle in dieses kapitalistische System hineingeboren worden. Und wie vorhin bei bei meiner Kindheit: wir denken, das sei richtig, und hinterfragen das gar nicht. Aber wenn du da einmal rauskommst und mit den Leuten offen sprichst, dann merkst du eigentlich, dass da niemand so richtig Bock hat. Keiner hat Bock auf diesen Kampf und dieses Ellbogen Ausfahren. Abgesehen davon, dass – jetzt wieder Kapitalismustheorie – auf die Synergieeffekte, die auch nur dann entstehen, wenn wir zusammenarbeiten. Also im Kapitalismus liegt ja auch schon so ein gewisser Kooperationsgedanke drin. Und es tut einfach so gut. Wir sind ja nicht nur Nutzenmaximiererinnen, sondern wir sind ja auch ganz normale Leute, die jeden Tag an die Arbeit gehen und einen Großteil ihrer Lebenszeit da verbringen. Also wie schlimm wäre das, wenn wir uns da irgendwie nur mit Ellbogen und Zähnen und Klauen behacken? Irgendwann, wenn man viel Zeit mit den Kolleginnen verbracht hat, dann kennt man die ja auch persönlich und weiß ja, was das für Leute sind. Natürlich versteht man sich nicht mit allen perfekt und ist auch nicht mit ihnen befreundet. Ist ja auch in Ordnung. Aber so eine gemeinsame Basis irgendwie für gemeinsames Miteinander und wir arbeiten zusammen, das braucht auch ein gewisses Vertrauen. Und gerade wenn du so immer am Hackeln bist und immer am Kämpfen bist, ist es immer schwierig, sich seines eigenen Status zu vergewissern. Du vergewissert dich deines eigenen Status, indem du dich über andere erhebst und sagst: Ich bin besser als der. Ich habe die bessere Note, ich habe den besseren Abschluss gemacht. Also ich hab ein besseres Geschäft gemacht oder mehr Projekte gemacht oder – you name ist. Ist egal. Was selten kommt, ist so was wie von dieser einen Frau, die gesagt hat: Theresa, ich find dich gut. Ohne einen Profitgedanken dahinter oder Kooperation oder irgendwas. Und ich hab eben jetzt: Seit Jahren schon arbeite ich mit einer Freundin zusammen, einer Kollegin von mir. Ich nenne sie meine kreative Partnerin, mit der ich zusammen meine Lesungen mache und Theaterstücke gemacht habe, und sehr viel zusammenarbeite. Und wir sind beide selbstständig und es ist echt schwierig, als Frau da in dem künstlerischen Bereich Fuß zu fassen und sich nicht davon einschüchtern zu lassen, dass die Männer mehr Honorar kriegen. Bessere Arbeitsbedingungen haben. Wir immer die sind, die noch die Kinder irgendwie organisieren müssen, dann blöd angeguckt werden, weil wir früher weg müssen. Also das drückt schon eher so aufs Selbstbewusstsein. Und wenn du dann aber jemanden hast, mit dem du all diese Sorgen teilst und dann sagst du, ey, ich finde es echt super, wie du mit der Situation umgehst. Ich schätze dich. Ich bewundere dich, weil du dieses und jenes geschafft hast. Und das machen wir in so einem, und nicht nur irgendwie, um dem anderen zu gefallen oder um ihn zu schmeicheln, sondern als echtes, konstruktives, positives Feedback. Und das machen wir seit Jahren miteinander und stützen uns so gegenseitig und wachsen aneinander. Also das merkt man richtig, wie wir beide in unserer Selbstbewusstsein und auch unserem Selbstverständnis und im Erfolg gewachsen sind. Weil wir einfach wissen, das Feedback, vom wir von anderen kriegen, ist ernst gemeint und das ist echt. Und so weiß ich jetzt, dass mein Status eben nicht nur von dem Ellbogenerfolg abhängt, sondern ich weiß, ich hab was geschafft, jetzt kriege ich Feedback: war das wirklich so? Irre ich mich jetzt auch nicht? Ist das richtig gut gewesen? Wir analysieren das gemeinsam und sagen Ah ja, ich hab richtig gute Arbeit gemacht und das ist super. Und das nehme ich mir mit in die nächste Verhandlung, ins nächste Gespräch.

[00:19:46] Julia Hägele: Glaubst du, dass ein feministisches Bewusstsein generell immer was mit Erfahrung zu tun hat? Jetzt wie deiner beispielsweise aus der Familie, aus der Familiengeschichte, aus dem Job. Oder kann man auch Feministin sein ohne Unrechts- oder Leidenserfahrung?

[00:20:04] Theresa Hannig: Hm.: Es kommt einfach drauf an, wie man großgeworden ist. Also meine Tochter ist jetzt schon eine glühende Feministin, weil sie halt das, womit ich mich beschäftige, als normal erfährt. Die braucht quasi die eigene Leidensgeschichte nicht, denn sie kriegt ja von mir mit, worüber ich mich mit meinem Mann unterhalte, worüber ich schreibe, was ich arbeite. Und wenn wir einen Film angucken und da werden die Frauen wieder nur blöd dargestellt, dann fängt sie schon an zu zittern und je nachdem. Und die eigene Lebenserfahrung verändert natürlich auch die Gewichtung von Dingen. Solange ich selber keine Kinder hatte, dachte ich mir: Ach ja, die Frau, die Familie mit Kindern, die sollen sich mal nicht so anstellen, warum wollen die Teilzeit machen? Also so ganz, ganz blöd. Und dann kommst du irgendwann selber in die Situation, denkst: Ach Gott, war ich doof, weil du es einfach nicht checkst.Ooder Ich erinnere mich noch, da  waren wir bei Freunden früher zu Besuch, die hatten wesentlich früher Kinder als wir und da sah es dann aus bei den zu Hause. Und dann dachte ich: Jetzt kommen wir endlich mal zu Besuch, dann haben sie nicht mal aufgeräumt. Und im Nachhinein denke ich: Ach Gott. Der Gedanke ist jetzt so unangenehm. Weil ich mir jetzt denke, was war ich für eine arrogante, blöde Person.

[00:21:09] Julia Hägele: Man kann es halt vorher auch einfach nicht wissen. Oft, weil du grad von deiner Tochter gesprochen hast. Jetzt muss ich doch noch mal in deine Familienhistorie gucken, weil das Frauenbild hat sich ja von deiner Großmutter über deine Mutter zu dir stark gewandelt. Und jetzt ist anscheinend ein feministisches Bewusstsein bei deiner Tochter total selbstverständlich. Kannst du diese Entwicklung vielleicht kurz nachzeichnen?

[00:21:31] Theresa Hannig: Meine Großmutter kam aus sogenanntem gutem Hause. Die war zwar selbst auch bildungsbürgerlich, hat selber auch studiert, musste dann aber wegen diverser Erkrankungen, Tuberkulose, und Krieg, hat dann nie fertig studiert. Dann hat sie ihren Mann geheiratet, der selber auch Arzt war und von da an war sie die Frau Doktor und hatte sehr hohes gesellschaftliches Ansehen und das war ihr sehr wichtig. Und sie war dann halt immer schick, immer schönes Haus, immer Topform. Und das war so der Punkt, aus dem sie ihr Selbstwertgefühl gezogen hat, die Familie und das Ansehen. Und meine Mutter selber ist ja Lehrerin gewesen auf dem Land. Schwierig, mit Kuhscheiße um einen rum ist es schwierig, immer schön und schick zu sein. Aber sie hatte halt dieses sich selbst Erarbeitete, diesen Status selbst erarbeitet. Die wollte halt dann auch Unabhängigkeit von meinem Vater, weil die Beziehung ging auch irgendwann in die Brüche und diese Selbstständigkeit kam eben nur durch die eigene Leistung und durch das eigene Arbeiten und sich eben aus dieser Beziehungssituation Herausarbeiten. Ja und jetzt? Bei mir ist es so, ich bin ja auch verheiratet. Ich habe auch studiert und habe erst dann im Unternehmen gearbeitet, Unternehmensberatung und Softwareentwicklung und habe dann eben zwei Kinder bekommen, als hätte es das Schicksal gewollt. Da ging es dann darum, ob ich in mein Job zurückgehe oder nicht. Dann hab ich einen Preis gewonnen für mein Manuskript und bin seitdem selbstständige Autorin. Aber auch ganz klar muss ich da sagen: Das hat nur funktioniert in der Gesamtkonstellation, weil mein Mann auch arbeitet und wir als Familie hier relativ abgesichert sind und jetzt nicht prekär leben. Hätten wir jetzt irgendwie, hätte mein Mann jetzt einen schlechteren Arbeitsplatz oder ich jetzt nicht irgendwie auch mal ganz gut gespart, hätte ich mich das vielleicht nicht getraut, selbstständig zu werden und so ein sicheres Einkommen für die Familie zu haben. Und dass ich komplett sage, ich bin komplett frei in meinen Entscheidungen, stimmt auch nur insofern, dass ich sage, ich habe ein Netz, was mich aufhält, wo ich keine Angst haben muss, zu tief zu fallen. Deshalb kann ich das tun. Wäre ich jetzt zum Beispiel alleinerziehende Mutter und hätte kein finanzielles Polster mir angespart oder erarbeitet oder was auch immer, würde ich eventuell nicht als Autorin arbeiten, weil mir das insgesamt zu gefährlich wäre.

[00:23:30] Julia Hägele: Aber du arbeitest als Autorin und dein Debütroman hieß bzw. heißt „Die Optimierer“. Wir haben sehr viel über Leistung gesprochen und „Die Optimierer“, da klingt, da schwingt schon sowas mit. Magst du kurz sagen, um was es in dem Roman geht?

[00:23:43] Theresa Hannig: Also in „Die Optimierer“ geht es um einen Lebensberater, der in der Bundesrepublik Deutschland der Zukunft, ich glaube, der Roman spielt 2048, wenn ich mich nicht irre. Da haben wir eine Optimalwohlökonomie, das heißt, wir haben den Kapitalismus überwunden. Ein KI-gesteuertes System sorgt dafür, dass alles in der Gesellschaft tipptopp läuft, weil jeder Mensch das macht, was er am besten kann und was für die Gesellschaft oder wofür er in der Gesellschaft am besten geeignet ist. Das heißt, jeder wird überwacht und analysiert, dann wird geguckt, okay, derjenige wird Schreiner, derjenige wird Tourismusberater, derjenige wird Köchin. So, diese Zuweisung, was die Leute machen, macht dieser Lebensberater, Samson Freitag, ein Mann natürlich. Und dann im Laufe des Romans erlebt dieser Lebensberater eben, dass eventuell diese Optimierung der Gesellschaft doch keine so gute Idee ist und kommt so in die Mühlen dieses Systems und wird darin zerrieben. Ein Punkt, Ich habe das jetzt betont: Samson Freitag ist ein Mann, denn in meinem Schreiben war es für mich qua Erfahrung selbstverständlich, dass ein Protagonist in einem Roman natürlich ein Mann ist. Ist nicht so, dass ich mir überlegt hätte Mann oder Frau, sondern ich hab da gar keinen zweiten Gedanken daran verschwendet. Das ist so, wie wenn du Kindern sagst, die sollen ein Auto malen. Dann hat es vier Räder. Ganz normaler Prozess. Romanfigur –  männlich.

[00:25:04] Julia Hägele: Das heißt, damals hattest du das noch nicht so reflektiert wie jetzt?

[00:25:08] Theresa Hannig: Nein, genau, das kam erst quasi nach dem ersten Buch. Da war, 2019 kam das zweite Buch, das war quasi gerade in dem Prozess. Da ist auch die Protagonistin quasi eine andere. Und es gab auch noch eine zweite Geschichte bei den „Optimierern“. Da gab es nämlich im ersten Kapitel eine sehr unangenehme Szene, wo Samson eine junge Frau berät, und die ist dann verzweifelt und macht sich an ihn ran. Und er hat da keine Lust drauf, er ist ein sehr korrekter Mann und will das nicht. Und dann bedroht sie ihn und sagt ihm: Ja, nee, wenn Sie mich jetzt hier sitzen lassen, dann werde ich mich bei der Agentur über Sie beschweren und werde – hier Zitat – werde sagen, dass Sie sich den Schwanz von mir haben lutschen lassen, und wir werden ja sehen, ob ich noch zu meinem Recht komme. Und das habe ich geschrieben, weil das weiß man ja, Frauen machen sowas ja. Also echt, im Nachhinein muss man sich echt schämen für manche Sachen. Und dann hatte ich eine Rezension auf dem Portal LizzyNet. Das Portal hat sich an mich gewandt, hat gesagt, es gibt eine Person, die möchte mit dir sprechen über diese Szene. Okay, und dann hat sie mich darüber aufgeklärt, wie sexistisch, wie frauenfeindlich diese Szene ist. Und dann habe ich das erst gecheckt. Und das sagt ja schon wieder ganz schön viel darüber. Wie sehr muss man einem wirklich irgendwie mit dem Zaunpfahl auf den Kopf hauen, bis man endlich checkt, was Sache ist? Und dann meinte sie,  das perpetuiert ja wieder solche Stereotype, dass Frauen Männern sexuell Missbrauch vorwerfen würden, um ihre eigenen Interessen… also das schadet so viel. Das hat sie mir halt gesagt. Ich dachte okay, krass. Ich hatte auch noch immer diese Szene gelesen bei Lesungen, weil sie ja so dramatisch ist. Und, hab ich gesagt, es ist mir so unangenehm. Ich möchte das gerne ändern. Und es war nur dieser eine Satz, weil es ging da gerade darum, es sollte eine Übersetzung gemacht werden. Die zweite Auflage stand an, das E-Book sollte überarbeitet werden, da hab ich gesagt: okay, lieber Verlag, ich möchte, dass in allen zukünftigen Versionen dieser eine Satz raus ist, weil er tut auch zur Story überhaupt nichts. Der wird nie wieder erwähnt. Das ist völlig wurscht. Und dann waren die da Gott sei Dank damit einverstanden. Und jetzt heißt es einfach, sie sagt halt: Ich werde mich über sie beschweren, ich werde sagen, dass sie mich belogen haben. Passt genauso. Also es ist auch nicht, dass irgendjemand mich dazu gezwungen oder gecancelt hätte, sondern es war nur ein Gespräch und ich habe dann von mir aus entschieden, ich möchte das anders machen. Und wie gesagt, es war gedankenlos. Und das ändert sich und das ist mit jedem Buch oder mit jeder Lebenserfahrung wird man da irgendwie auch mehr aware und denkt mehr über die Dinge nach, die man tut. Gerade als Autor, als Autorin hast du immer eine Verantwortung deinen Leser:innen gegenüber. Aber du hast ja ein Publikum, du bist Multiplikator. Es ist nicht nur wie ein Gespräch mit einer Person, sondern im Zweifel lesen das viele Personen. Und im Zweifel setzt du den Leuten Gedanken in den Kopf, die da arbeiten werden. Und das hat, wenn ich jetzt von einer heteronormativen Beziehung spreche, wo Mann und Frau irgendwas machen, und ich sage, das ist nicht politisch, das ist ja nur ganz „normal“ in Anführungszeichen, dann perpetuiere ich trotzdem einen Zustand, der als normal begriffen wird. Und das ist auch genauso politisch, wie wenn ich sage, ich mache jetzt irgendwie eine lesbische oder nicht-binäre Beziehung mit irgendwie einem adoptierten Kind. Nur: Das Eine wird als politisch begriffen und das Andere wird als normal begriffen. Aber normal ist genauso politisch wie das Neue.

[00:28:19] Julia Hägele: Dein Genre ist ja Science-Fiction. Wahre Gleichstellung ist im Moment ja auch noch ein bisschen Science-Fiction. Wenn du unseren Zuhörer:innen nur einen Tipp mitgeben könntest, wie sie ihr Leben in dieser Hinsicht besser machen könnten, welcher wäre das?

[00:28:32] Theresa Hannig: Eine Frage, die ich letztens gehört habe und die mich seitdem immer wieder verfolgt. Egal in welcher Runde man sich befindet, ob in der Arbeit, im Verein, im Elternbeirat, wenn mehrere Leute zusammen sind, dann kann man sich die Frage stellen: Wer fehlt? Dann merkt man nämlich ganz schnell, wer ist eigentlich gar nicht da und wessen Meinung wird gar nicht gehört? Und wen ignorieren wir, ohne böswillig ignorieren zu wollen, sondern von wem wissen wir gar nicht, ist uns gar nicht bewusst, dass er gar nicht da ist? Und wenn man sich diese Frage stellt, kommt man plötzlich darauf: Oh, hier ist noch eine ganze Menge zu tun, bevor wir wirkliche Gleichstellung haben.

[00:29:04] Julia Hägele: Theresa, vielen Dank, dass du da warst.

[00:29:07] Theresa Hannig: Sehr, sehr gerne.