Nahezu die Hälfte der Gebärenden macht belastende Erfahrungen im Kreißsaal. Eine davon ist Lena Högemann. Sie hat ein Buch über ihre traumatische Geburtserfahrung geschrieben, es heißt “So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen.”
Im herCAREER Podcats sprach Julia Hägele, Chefredakteurin von herCAREER, mit Lena über ihre traumatische Erfahrung und darüber, wie sie aus ihrem Trauma herausfand sowie darüber, was sich ändern muss, damit Frauen besser und selbstbestimmter gebären können.
Thema
Gesellschaft | Gesundheit, Female Body & Soul
Angaben zur Referent:in
Lena Högemann, Jahrgang 1982, hat sich als Journalistin einen Namen als Expertin zur selbstbestimmten Geburt und zur Situation in der Geburtshilfe gemacht. Ihre Artikel dazu erscheinen u. a. in ZEIT online, im STERN, in der Eltern und in verschiedenen Tageszeitungen. Sie spricht außerdem als Expertin auf Fachveranstaltungen und ist Podcasterin. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Töchter und lebt in Berlin.
00: 00:00 Lena Högemann: Diesen Vorwurf an Frauen, sie hätten zu hohe Erwartungen, finde ich ganz furchtbar. Ich hatte überhaupt keine Erwartungen. Ich hatte auch nicht gedacht, das wird besonders schön oder sanft. Aber ich habe halt nicht erwartet, dass jemand anderes über meinen Körper verfügt und mir Gewalt antut. Wir dürfen durchaus erwarten, dass wir gut begleitet werden, dass wir über unseren Körper bestimmen dürfen, und wenn es Notlagen gibt, uns diese erklärt werden. So, das ist, finde ich, nicht zu hohe Erwartungen.
00: 00:30 Julia Hägele: Herzlich willkommen beim herCareer Podcast. Hier kommen Menschen zu Wort, die sich für eine vielfältige und gerechte Arbeitswelt einsetzen. Von der herCareer Expo Live und aus der herCareer Community. Die Geburtshilfe steckt in einer Krise. Nahezu die Hälfte der Gebärenden macht belastende Erfahrungen im Kreißsaal. Eine davon ist Lena Högemann. Sie hat ein Buch über ihre traumatische Geburtsserfahrung geschrieben. Es heißt “So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen”. Ich bin Julia Hägele, Chefredakteurin von herCareer. Im herCareer Podcast habe ich mit Lena über ihre traumatische Erfahrung gesprochen und wie sie aus ihrem Trauma herausgefunden hat. So wie darüber, was sich ändern muss, damit Frauen besser und selbstbestimmter gebären können.
00: 01:30 Julia Hägele: Lena, schön, dass du da bist. Du hast ein Buch über Geburten geschrieben. Das heißt “So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen”. Du sagst von dem Buch, es sei ehrlich. Wird nicht ehrlich genug über Geburten gesprochen?
00: 01:46 Lena Högemann: Ja, das ist meine Beobachtung. Das wird es leider überhaupt nicht. Das hat verschiedene Gründe. Ich kann das zum Teil auch nachvollziehen. Natürlich, Frauen, die schlimme Geburtserfahrung haben, die wissen oft gar nicht, dass es ihnen so schlecht geht wegen dieser Geburtserfahrung. Es ist sehr normalisiert, auch in Krankenhäusern zum Beispiel, dass da eben Dinge stattfinden, die den Frauen nicht guttun. Und sie haben gar keinen Ort, wo sie das besprechen können. Und deshalb reden sie auch erst mal nicht ehrlich darüber, weil sie ja gar nicht wissen, dass das vielleicht irgendwie auch falsch war, was sie erlebt haben. Und wir haben natürlich in der Gesellschaft so dieses Ideal nach wie vor von Frauen, dass sie einfach Mütter werden sollten, dass das für sie das Tollste im Leben ist. Und dann sollen sie auch nicht damit ankommen, dass jetzt vielleicht eine Geburt schlimm war. Also da kommt viel zusammen.
00: 02:27 Julia Hägele: Der Ursprung deines Buches und deines Engagements war das Trauma der Geburt deiner ersten Tochter. Kannst du erzählen, was diese Geburt so dramatisch für dich gemacht hat?
00: 02:36 Lena Högemann: Das war eigentlich alles, was mit dieser Geburt zu tun hat. Und alles, was ich da erlebt habe, ich beschreibe das auch in meinem Buch sehr deutlich, dass da einfach nichts schön war. Weder der Ort, noch wurde ich da besonders nett von einer Hebamme betreut oder irgendwie unterstützt. Und im Endeffekt war das eine einzige Erfahrung aus Übergriffen. Ich nenne das auch Gewalt und vor allen Dingen auch Fremdbestimmung. Also da ging es nicht um mich als Menschen, da ging es auch nicht um eine natürliche Geburt, da ging es einfach um medizinische Routinen, die abgearbeitet wurden, damit dieses Baby da möglichst schnell rauskommt. Und das war mir gar nicht so klar, dass wir ein Gesundheitssystem haben, in dem so viele Routinen stattfinden, in dem so selten es um Selbstbestimmung geht. Und das habe ich am eigenen Körper tatsächlich erlebt. Und das hat mich schwer traumatisiert. Das ist jetzt neun Jahre her. Deshalb kann ich jetzt auch so gut darüber reden, weil ich das alles aufgearbeitet hab und eben dieses Buch geschrieben habe.
00: 03:25 Julia Hägele: Darf ich nach ein paar Beispielen fragen? Weil wir wollen ja ehrlich über dieses Thema sprechen. Es ist nicht immer schön. Aber wie muss man sich diese Gewalt vorstellen, die du erlebt hast?
00: 03:36 Lena Högemann: Also in meinem Fall fing das an mit medizinischen Eingriffen, die nicht notwendig waren. Am Anfang ein Wehentropf und eine PDA, einfach damit es schneller geht. Und was ich nicht wusste ist, dass man, wenn man früh eingreift, in eine Geburt später ganz andere Eingriffe folgen. Also das nennt sich Interventionskaskade. Dass das eine zum anderen führt, hat mir keiner erzählt. Dieser Eingriff, für den habe ich nie zugestimmt. Und ich wusste auch nicht, dass ich überhaupt mal nachfragen kann, ob man die überhaupt braucht. Und am Ende wurde das eine Geburt mit Saugglocke, das heißt, das Kind wurde da rausgezogen. Das habe ich als sehr gewaltvoll empfunden, vor allen Dingen in Verbindung mit einem Dammschnitt. Also die intimste Stelle meines Körpers, die aufgeschnitten wird, ohne mich danach zu fragen. Also ich habe dem nicht zugestimmt, Man hat mich nicht einmal informiert und das hat so eine Dimension der körperlichen Gewalt. Das war für mich persönlich das Schlimmste. Ich habe aber für mein Buch mit 30 anderen Müttern und Vätern gesprochen. Also es gibt noch viele, viele andere Dinge, die an körperlicher Gewalt stattfinden.
00: 04:31 Julia Hägele: War dir damals bewusst, dass du Gewalt erfahren hast?
00: 04:34 Lena Högemann: Überhaupt nicht. Also das ist auch dadurch, dass es ja so normal ist, also wenn man sonst Gewaltopfer wird, dann gibt es ja schon, wenn man das Menschen erzählt oder auch aus dem Umfeld irgendwie Unterstützung, dann ist es in anderen Kontexten normaler zu sagen, dass es Gewalt ist. Und bei der Geburt, da kommt man erst mal nicht drauf. Man ist ja im Krankenhaus. Also 98 Prozent aller Frauen gehen ins Krankenhaus zur Geburt und da würde man damit nicht rechnen. Und deshalb ist es auch so schwer zu erkennen, dass das Unrecht war, was mir da passiert ist, und Gewalt. Und dass da eben ein Fehler im System ist. Und ich wusste das monatelang nicht und deshalb wusste ich auch monatelang nicht, dass das, warum es mir so schlecht geht, diese Geburt ist. Also ich habe gedacht, ich spinne. Wieso fühle ich nicht die Liebe für mein Kind, die ich immer gefühlt habe, als es in meinem Bauch war? Wieso ist die weg? Wieso bin ich so überfordert? Wieso geht es mir einfach so schlecht? Wieso fühle ich auch so wenig? Bis ich irgendwann verstanden habe, Ich bin damit nicht alleine. Das erleben sehr, sehr viele Frauen. Die Folgen sind auch sehr ähnlich und das ist einfach was, was man dann auch behandeln kann, wenn man weiß, wo es herkommt.
00: 05:30 Julia Hägele: Der Untertitel deines Buches heißt “Was Frauen für eine selbstbestimmte Geburt wissen müssen”. Können wir über den Begriff Selbstbestimmung etwas genauer sprechen? Denn als Laiin denke ich mir auch bis zu einem gewissen Grad: Na ja, die Ärztinnen und Ärzte werden schon auch irgendwie wissen, was sie tun.
00: 05:47 Lena Högemann: Vielleicht gerade in Stresssituationen ist das nicht so, ne? Natürlich haben Ärztinnen und Ärzte eine Fachausbildung und es gibt sicher Notlagen, wo die am besten wissen, was gemacht wird. Aber auch in Notlagen kann man Frauen erklären, was man tut und sie auf dem Weg begleiten. Also das ist auch ein großer Kritikpunkt, dass auch die Art und Weise, wie zum Beispiel Kaiserschnitte gemacht werden, in vielen Kliniken unmöglich ist. Dass man Frauen nicht vorher erzählt, dass man sie an ihren Armen dabei festschnallt und warum man das tut, dass einfach die Frau da nicht mehr zählt. Also das ist schon Kritikpunkt. Es gibt sehr selten Notfälle, das muss man noch dazu sagen, und dass diese oft nicht gut begleitet sind. Aber die allermeisten Geburten, also gerade die, bei denen kein Risiko vorher festgestellt wird. Wir haben eine sehr detaillierte Krankenvorsorge für Frauen in der Schwangerschaft, das heißt also zum Beispiel Diabetes und solche Sachen. Das hat schon ein Risiko für die Geburt. Es wird aber vorher erkannt. Ich spreche jetzt von den allermeisten Frauen, die gesund sind und einen gesunden Fötus, Frauen und das Baby. Bei diesen Geburten sollte es in aller Regel nicht zu irgendwelchen Dingen kommen. Und diese Geburten sollten auf jeden Fall selbstbestimmt begleitet werden können. Das passiert nur in vielen Kliniken nicht, weil zum einen Ärzten in jeder Geburt eine Riesengefahr sehen. Das sehe ich nicht so, und weil eben diese Eingriffe total routiniert sind, das heißt, die unterscheiden dann nicht mehr, was brauche ich in vielen Kliniken, sondern es ist einfach eine Routine, die abgearbeitet und dann sind wir eben oft überhaupt nicht bei selbstbestimmten Geburten. Und ich muss mal sagen, also wir sind ja im Jahr 2024, das heißt, wir sind an ganz vielen Punkten selbstverständlich bei Selbstbestimmung dabei. Wir reden über Abtreibungsrecht, über Verhütungsgerechtigkeit, alles super wichtig. Aber ich verstehe einfach nicht, warum das bei der Geburt irgendwie nicht zu ziehen scheint, dass es mein Körper ist. Es gibt tatsächlich solche Sachen wie den Supergau, zum Beispiel die Ablösung der Plazenta. Da geht es um Minuten oder auch eine Fruchtwasserembolie, da kommt Fruchtwasser in den Blutkreislauf. Da wird es wirklich ernst. Diese Sachen gibt es, das will ich auch gar nicht negieren, Aber die sind super, super selten und die meisten Sachen, die passieren, sind solche, dass es eigentlich Zeit gäbe zu sagen, wir sind jetzt an dem und dem Punkt, liebe Frau, liebes Paar, ich empfehle jetzt das. Eine Alternative wär aber noch B, und sie haben jetzt fünf Minuten, um das vielleicht miteinander zu besprechen. Dann kann das Paar immer noch sagen: Okay, wir wollen noch warten oder wir sind mit diesem Eingriff einverstanden. Dann ist es trotzdem noch eine Form von Selbstbestimmung. Es gibt eine Leitlinie, da ist das alles festgelegt, also dieses gemeinsame Entscheiden, und das ist eigentlich wissenschaftlich erforscht, ist das Beste, weil wenn man die Frau mitnimmt, wenn man das Paar mitnimmt, auch natürlich die psychische Belastung viel, viel geringer ist. Und das ärgert mich einfach, dass das in vielen Fällen nicht angewendet wird.
00: 08:27 Julia Hägele: Ich muss an ein Gespräch mit einer Gynäkologin denken, die sagte, man dürfe sich nicht täuschen, Geburten seien einfach brutal. Früher sei jede zehnte Frau dabei gestorben. Ich habe jetzt auch da nicht hundertprozentig zugestimmt. Aber könnte es zumindest ein Teil der Wahrheit sein, dass wir uns vielleicht auch ein bisschen viel erwarten? Social Media ist nicht die Realität. Und ich muss zugeben, ich dachte auch vor meiner Geburt, wenn ich jetzt diesen Hypnobirthing-Podcast hier zu Ende höre, dann wirds schon gut gehen. Aber am Ende war das auch nicht so der Fall. Du hast die Gesellschaft eigentlich schon erwähnt, aber kannst du darüber noch was erzählen?
00: 09:07 Lena Högemann: Ja, das ist ein interessanter und auch gleichzeitig ein schwieriger Punkt, weil diesen Vorwurf an Frauen, sie hätten zu hohe Erwartungen, finde ich ganz furchtbar. Ich nenne auch immer gern mein eigenes Beispiel. Ich hatte überhaupt keine Erwartungen. Ich hatte auch nicht gedacht, das wird besonders schön oder sanft. Aber ich habe halt nicht erwartet, dass jemand anders über meinen Körper verfügt und mir Gewalt antut. Also wir dürfen durchaus erwarten, dass wir gut begleitet werden, dass wir über unseren Körper bestimmen dürfen, und wenn es Notlagen gibt, uns diese erklärt werden. So, das ist, finde ich, nicht zu hohe Erwartungen. So und dann diese dieses Argument: Früher sind die Frauen gestorben! Ja klar, aber da gab es ja auch die Vorsorge nicht. Also da ist wieder mein Punkt. Die schwierigen Fälle, die erkennt man vorher und auch dann erwarte ich eine gute Behandlung. Also dieses Argument, da gehe ich nicht mehr mit zu sagen also jetzt, wenn ihr, wenn ihr euch hier alle mit eurer Selbstbestimmung, na dann sterben wieder die Kinder. Das ist Quatsch. Also diesen Zusammenhang, den gibt es wissenschaftlich auch nicht. Ich sage auch immer, wir haben jetzt ja nur über körperliche Gewalt geredet, ich habe ja auch psychische erlebt, also eine Hebamme, die mich fertig gemacht hat, gemeine Dinge. Kein Kind kommt gesünder auf die Welt, weil die Hebamme die Frau fertig macht. Das muss man auch mal ganz deutlich dazu sagen. Meine Hebamme hat zu mir gesagt: Weinen hilft dir jetzt auch nicht, das wird so nicht, das reicht nicht. Und viele, viele Frauen, auch in meinem Buch haben das beschrieben, wie sie das erlebt haben. Und das ist schon ein Stück unvorstellbar, dass da dann ab irgendeinem Punkt Menschen so empathielos sind und Frauen nicht mehr gut begleiten. Aber das muss man halt wissen, damit man dann im Kreißsaal nicht denkt: Ich bin schuld, Weil das war bei mir die erste Reaktion, grad mit der Hebamme, die so unglaublich unfreundlich war. Da habe ich natürlich gedacht, ich hätte die provoziert oder ich hätte was falsch gemacht. Wie kann die denn so gemein zu mir sein? Bis ich verstanden habe: Das erleben wirklich viele Frauen. Das ist erforscht, das Phänomen. Das nennt sich “cool out”, dass aufgrund von Stress und Überbelastung manche Leute im medizinischen System nicht mehr empathisch sein können. Das muss man auch wissen. Auch deshalb nenne ich mein Buch ehrliches Buch über Geburten. Zum einen für Frauen nach belastenden Geburten, um zu verstehen, sie können da nichts dafür. Und sie sind nicht allein. Und auch für die, die vielleicht in eine weitere oder überhaupt in eine Geburt gehen wollen, einfach immer zu wissen, was da um sie rum passieren kann.
00: 11:12 Julia Hägele: Ich habe wieder in den Medien gelesen: Nahezu jede dritte Geburt ist für die Mütter traumatisch. Deine Geschichte ist absolut kein Einzelfall. Wie hast du es geschafft, aus diesem Trauma herauszufinden und was können andere Frauen vielleicht davon lernen?
00: 11:26 Lena Högemann: Ich habe natürlich auch viele andere gefragt. Weil jede Frau ist unterschiedlich und es helfen verschiedene Dinge. Aber das Allerwichtigste ist, erst mal zu erkennen, dass ich Opfer geworden bin. Oder ich nenne es auch: Überlebende. Also ich habe da wirklich etwas überlebt, was nicht gut war, was falsch war, was gewaltvoll war. Und es hat nichts mit mir als Mensch zu tun. Das ist ganz schwierig, wenn man in so einer wohlhabenden Situation solche Gewalt erlebt, dass es eigentlich mit mir als Person gar nichts zu tun hat, sondern eben mit dem System, in dem ich da war. Also diese Erkenntnis war die Allerwichtigste und es hat auch Jahre gedauert, es wirklich zu verstehen. Ganz wichtig war für mich, in eine Gruppe zu gehen mit anderen Frauen, die Ähnliches erlebt haben und zu merken okay, ich bin wirklich nicht alleine, die empfinden das auch ähnlich. Also zum Beispiel gerade diese Bindungsstörung zum Kind ist ganz häufige Folge von traumatischen Geburten. Ich bin nicht irgendwie strange oder verrückt, sondern das ist eine Folge von dem Trauma. Sowieso ist Reden das Allerwichtigste. Also ich habe eine Therapie gemacht. Ich habe auch mit meinem Partner sehr, sehr viel darüber geredet. Viele Frauen in meinem Buch haben mir auch hinterher geschildert, wie auch das hilfreich war, weil ich jetzt einfach mal mir das angehört habe und interessiert daran war, was sie erlebt haben, weil das auch ein großes Problem ist, es Frauen so gesagt wird, wenn sie anfangen zu erzählen, dass es ihnen schlecht geht und zu weinen, dass in ihrem Umfeld oft gesagt wird: Hauptsache das Kind ist gesund, ist ja jetzt vorbei. Und das negiert eben dann nochmal diese Geburtsserfahrung. Deshalb wünsche ich mir viel mehr Räume. Da sind wir wieder beim Thema ehrlich über Geburten sprechen, dass Frauen einfach erzählen dürfen, was ihnen passiert ist und der andere, die andere zuhört und sagt: Es tut mir leid, dass dir das passiert ist. Aber es nicht irgendwie einordnen oder erklären möchte. Und da müssen wir halt hin.
00: 13:03 Julia Hägele: Du sagst, den individuellen Erfahrungen liegen strukturelle Probleme zugrunde. Also wenn wir jetzt an die Hebamme denken, die gesagt hat, du sollst dich nicht so anstellen, war die böse oder war die vielleicht überarbeitet? Welche Hintergründe können da noch eine Rolle spielen? Weil ich glaube, das Klinikpersonal oder die Ärztinnen und Ärzte, die gehen ja nicht morgens zur Arbeit und sagen: Heute will ich jemandem Gewalt antun.
00: 13:29 Lena Högemann: Ja, das ist super, wie du das beschreibst, weil das so das Spannungsfeld aufmacht, in dem wir hier unterwegs sind. Am Anfang habe ich einfach diese Hebamme gehasst. Die war für mich der Inbegriff des Bösen. Bis ich es irgendwann verstanden habe. Ich finde die immer noch nicht toll. Ich weiß auch, dass die noch als Hebamme arbeitet. Ich habe mehrere Frauen getroffen, die immer noch von der traumatisiert sind. So ist es schon eine gewisse Hilflosigkeit zu wissen: Die wütet da weiter jeden Tag und ich kann es nicht ändern. Obwohl ich ihr Briefe geschrieben habe und gesagt habe, was sie mir angetan hat. Okay, aber es ist, wie du sagst, es ist eine strukturelle Ebene dahinter. Also wenn wir bei dieser Hebamme bleiben, dann hat das was mit ihren Arbeitsbedingungen zu tun. Als sie mich betreut hat, war sie Beleghebamme. Es heißt, sie hätte eigentlich nur mich betreuen müssen. Trotzdem war sie auf Grund von was auch immer für Erfahrung so abgestumpft, dass sie diesen Job hätte nicht mehr machen können. In einem System, wo aber eh schon zu wenig Hebammen im Kreißsaal sind. Also es gibt eine Studie von 2019, ist die letzte aktuelle Zahlen. Da war ja klar, dass eine Hebamme drei Frauen gleichzeitig betreut. Sie jetzt nicht, weil sie Beleghebamme war. Aber trotzdem: Wenn ich aber eh schon zu wenig Hebammen habe, dann schmeiß ich keine raus, die ihren Job furchtbar macht. Das, sage ich, ist ein großer Kritikpunkt und deshalb schon mal strukturelle Ebene, weil in anderen Jobs, wenn man sich so daneben benimmt, dann wird man zumindest mal versetzt. Hier nicht. Also viele, viele Stationen haben solche Drachen, die eben nicht mehr empathisch ihren Job machen. Und wenn man sich dann das ganze System anguckt mit den vielen, vielen Eingriffen in die Geburt, also 30 Prozent Kaiserschnitte, 15 Prozent Dammschnitte, 30 Prozent Einleitung. Also es gibt in Krankenhäusern super wenig natürliche Geburten, bei denen nichts gemacht wird. Dann steht dahinter ein ganzes System, in dem das normal ist. Es steht dahinter übrigens auch ein finanzielles System, dass es Fallpauschalen gibt, je nach Komplikationen, also je mehr ich in die Geburt eingreife, desto mehr Geld kriegt die Klinik. Das muss auch in den Hinterkopf. Und natürlich Chefärzte, die das Sagen haben und die sagen, wie hier vorgegangen wird, die, die die Routine bestimmen und das eben nicht der aktuelle Stand der Wissenschaft, der zum Beispiel nämlich auch sagt Dammschnitte nur noch ganz, ganz selten und eigentlich nicht zu empfehlen, hat nichts damit zu tun, was denn vor Ort wirklich passiert. Also das meine ich mit strukturell oder systematisch.
00: 15:32 Julia Hägele: 98 Prozent der Frauen gebären in Kliniken. Was du beschreibst klingt jetzt ein bisschen so, als wär es fast unmöglich, in der Klinik selbstbestimmt zu gebären. Ist das so? Muss man sich tatsächlich entscheiden? Will ich die Neugeborenen-Intensivstation nebenan, falls es tatsächlich irgendeinen Notfall gibt? Oder will ich zu Hause oder im Geburtshaus selbstbestimmt gebären? Sind das die zwei Pole oder gibt es auch selbstbestimmte Geburten in Kliniken oder fremdbestimmte, grob begleitete Geburten im Geburtshaus?
00: 16:04 Lena Högemann: Ich denke, es gibt beides. Aber man muss sich schon sagen, in Kliniken ist natürlich die Chance, dass da eingegriffen wird, viel höher, weil die allermeisten Eingriffe kann man im Geburtshaus gar nicht machen. So eine PDA kann man da nicht geben. Auch sonst natürlich keinen Kaiserschnitt und auch andere Eingriffe. Also man kann schon sagen, dass außerhalb der Klinik erst mal viel, viel weniger eingegriffen wird. Das heißt aber nicht, dass man zur selbstbestimmten Geburt in ein Geburtshaus muss. Oder zu Hause, weil auch da – das ist mir superwichtig. Jede Frau ist anders und jede Frau hat andere Bedürfnisse. Wenn sie sich mit Geburt befasst, hat sie auch andere Vorstellungen von Geburt und das sollte nicht an dem Geburtsort liegen. Ob ich die umsetzen kann oder nicht. Und deshalb sage ich immer: Es ist superwichtig, auch bei Kliniken, sich verschiedene Kliniken anzugucken und sich wirklich – dafür dient eben auch das Buch – sich einen Überblick zu machen, wo wie in Geburten eingegriffen wird und bei einem Infoabend zum Beispiel auch die richtigen Fragen zu stellen und zu gucken, wie das Gegenüber reagiert. Wenn schon klar ist, ich habe mich mit Geburten befasst, ich möchte selbstbestimmt gebären. Und an so einer Reaktion von so einem Chefarzt kann man ganz gut schon mal abschätzen, ob das da Thema ist mit der Selbstbestimmung oder eben nicht. Es gibt riesige Unterschiede zwischen den Kliniken und die schreiben das natürlich nicht auf ihrer Website. So, hier entscheiden wir uns so, aber das ist mein Tipp auf Infoabend den Fragen zu stellen, mit Freundinnen, Freunden darüber zu reden, die Hebamme zu fragen, vor einer Geburt auch Google Bewertungen zu lesen und nach der Geburt zu schreiben. Also es ist nicht ganz leicht, an die Infos zu kommen, aber es gibt große Unterschiede zwischen den Kliniken und vielleicht noch einen Satz: Also ich glaube, dass Fremdbestimmung und Gewalt in Geburtshäusern und Hausgeburten seltener vorkommt. Aber das heißt nicht, dass sie da nicht auch vorkommen kann, weil es kann auch in diesem System eine Hebamme geben, die empathielos ist und die nicht die Frau sieht, sondern ihre eigenen Routinen. Also das muss man auch ganz deutlich sagen. Und das Wichtigste ist immer, das habe ich bei der ersten Geburt überhaupt nicht: auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Wenn man eine Hebamme kennenlernt und ein Gefühl hat, möchte ich von dieser Frau bei der Geburt begleitet werden oder nicht, zum Beispiel, dann ist das richtig. Also das Bauchgefühl, das darf da sein und darauf darf man auch hören.
00: 18:07 Julia Hägele: Man kann ja sich glücklich schätzen, jetzt beispielsweise in einer Stadt wie München, wenn man dann in der siebten Schwangerschaftswoche noch eine Nachsorgehebamme bekommt, und dann geht es los mit diesen ganzen Terminen und man muss wirklich aufpassen, dass man nichts verpasst, um nicht irgendwie dann in die Peripherie fahren zu müssen, um zu gebären. Ich beobachte es, dass die werdenden Mütter es fast als Glück empfinden, wenn sie überhaupt sich in der Klinik anmelden können. Wenn wir jetzt an diese Mütter denken, die quasi vor ihrer ersten Geburt stehen, das ist ja sehr überwältigend alles. Und natürlich will sich jede Frau gut informieren. Aber kannst du auch verstehen, dass man einfach nur total platt ist und einfach nur eigentlich gerne an die Hand genommen werden will und es vielleicht auch ein bisschen viel ist und das irgendwie auch Ängste schürt?
00: 18:56 Lena Högemann: Das kann ich total verstehen. Es gibt Frauen, die lesen nur gute Geburtsgeschichten und die wollen sich darauf einstellen. Das kann ich total verstehen und das finde ich auch wichtig. Ich finde auch das Hypnoseding eine interessante Sache, also eine mentale Geburtsvorbereitung, um mit Schmerzen umgehen zu können. Da ist auch jede Frau anders. Ob das klappt oder nicht, habe ich auch in meinem Buch beschrieben, weil es kann auch einfach nicht klappen. Das muss man sagen. Es ist kein Erfolgsversprechen, dass jetzt diese Schmerzen, die so schlimm sind oder so, aber auch da ist immer wichtig, an welchem Ort ich das mache. Und ich sage immer, wenn Frauen mir sagen: Oh, ich will das Buch nicht lesen, das macht mir zu viel Angst, dann sage ich immer: Dann gib es deiner Begleitperson, weil die hat dann die Information und die kann daraus das Wichtigste ziehen und mit dir besprechen. Die muss dir dann nicht jede Geschichte erzählen, die da drinsteht. Das ist eher was für Frauen nach belastenden Geburten, die verstehen wollen, dass sie nicht alleine sind. Aber dann gib es deinem Partner, deiner Partnerin. Die Person liest das und ihr besprecht das. Du kannst ja trotzdem einen Geburtsplan schreiben. Übrigens auch wenn ich eine Hausgeburt oder eine Hausgeburt plane, ist es ganz wichtig, einen Geburtsplan zu haben, um der Klinik zu sagen: Ich habe mir Gedanken darum gemacht und ich möchte zum Beispiel XY auch nicht. Also ich sage das jeder Frau. Der Kristeller-Griff ist in Deutschland ein Riesenskandal, dass der gemacht wird. Da wird während einer Wehe, wenn es schlecht gemacht wird, mit den Unterarm und Ellbogen auf den Bauch der Frau gedrückt. Ganz viele Frauen finden das enorm schmerzhaft. Das ist nicht sinnvoll. Die WHO lehnt das ab. Es wird aus Routine in Deutschland gemacht. Wenn man das nicht weiß, dann kann das sehr gut sein, dass einem das passiert. Wenn ich aber vorher einen Geburtsplan habe, eine Begleitperson das weiß und wir einfach sagen können: Ich will keinen Kristeller-Handgriff und dann erkenne ich ihn und dann sage ich: Nein, ich will das nicht. Dann kann ich mich schützen, dann kann meine Begleitperson mich schützen. Deshalb, das ist immer so mein Beispiel, um zu sagen: Ja, zieh dir alles rein. Gute Geburtsserfahrung. Es gibt auch ganz tolle Geburtserfahrung, ist richtig, aber im Krankenhaussystem gibt es Dinge, vor dem du dich schützen kannst. Und deshalb ist mir diese ehrliche Information so wichtig.
00: 20:50 Julia Hägele: Deine zweite Geburtserfahrung war anders. Bei deiner zweiten Tochter lief einiges besser. Auf was hast du geachtet oder was ist generell anders gewesen?
00: 21:00 Lena Högemann: Ja, ich war an einem ganz anderen Ort. Das war das Allererstaunlichste für mich. Also das war auch eine Klinik, aber ein hebammengeleiteter Kreißsaal. Das heißt, die Hebammen haben da halt einfach das Sagen. Und Ärzte gibt es und Ärztinnen, aber die kommen nur, wenn es notwendig ist und zur Geburt selber rein. Aber die sind die Nebensache. Hauptsache ist diese Hebamme. Und ich hatte mir diesen Ort genau deshalb auch ausgesucht. Mir hatten Freundinnen erzählt, wie sie da geboren haben. Das ist auch ein sehr beliebter Ort. Ich hatte einfach großes Glück, dass ich da wirklich reingekommen bin. Es war alles anders als bei dieser ersten Geburt. Es waren schöne, große Räume, es gab alle möglichen Hilfsmittel, es gab nur freundliche Hebammen. Es heißt nicht, dass es da nicht auch eine unfreundliche gab, aber die hatte ich nicht. Die haben mich so gesehen, wie ich bin. Ich habe natürlich auch angegeben, dass ich vorher diese Traumatisierung hatte. Die haben oft Frauen mit Traumatisierung, die zur zweiten Geburt dahin kommen, weil sie es anders erleben wollen. Ich hatte eine Hebamme, die nur unterstützend war und das war auch mit Corona und die hatte so eine Maske auf, das heißt, ich konnte nur ihre Augen sehen. Aber was für eine Unterstützung allein in diesem Blick saß, wie sie mit mir geredet hat. Wie auch ich dann sagen konnte: Ist diese Position richtig oder was können wir noch machen und ich sie so angenommen habe und sie mich. Das war wirklich eine krasse Verbindung und eine krass tolle Erfahrung. Die kam dann neulich auch zu meiner Buchpremiere, diese Hebamme. Es war ganz schön. Dann haben wir uns noch mal umarmt und ich hab ihr noch mal Danke gesagt, weil ja der Beruf der Hebamme so wichtig ist. Ja, und so wie sie das macht, so sollten das alle machen. Und das war halt einfach eine ganz, ganz besondere Erfahrung und auch deshalb konnte ich das Buch schreiben und trotzdem war ich vorbereitet. Also ich hatte auf einen Zettel geschrieben, was ich alles nicht will. Heute würde ich das noch ein bisschen anders formulieren. Heute gibt es noch bessere Vorlagen für Geburtspläne im Internet. Aber ich hatte auch geübt, bestimmte Sätze zu sagen. Also hätte ich wieder eine Hebamme gehabt, die irgendwas sagt, was nicht richtig ist und was sich gut anfühlt, dann hätte ich das gesagt. Also ich habe geübt zu sagen: Ich möchte nicht, dass Sie so mit mir reden. Entweder Sie sind jetzt freundlich oder Sie schicken mir eine Kollegin. Das muss man mal üben zu sagen, damit man das unter Wehen und Schmerzen auch sagen kann, oder: Ich möchte diesen Eingriff nicht. Oder warum wollen Sie das jetzt machen? Also sich wirklich darauf vorzubereiten, das hat mir super geholfen, auch wenn ich das dann alles gar nicht brauchte.
00: 23:09 Julia Hägele: Am Ende von deinem Buch dankst du verschiedenen Leuten, unter anderem deiner ersten Tochter, dass sie zugestimmt hat, dass du dieses Buch schreiben kannst. Das heißt, du hast mit ihr darüber gesprochen über diese problematische Geburt. Sollte man mit den eigenen Kindern wirklich über das eigene Geburtstrauma sprechen? Oder besteht nicht vielleicht die Gefahr, dass sie da irgendwie Schuldgefühle mitnehmen?Was war dein Trick, dass du das vermieden hast?
00: 23:35 Lena Högemann: Ja, also ich sag ja nicht, ich sage ihr ja nicht: Pass auf, ich hatte das schlimmste Trauma der Welt. Mir ging es so und so, und ich hab dich nicht geliebt. Das sage ich ihr ja nicht. Das kann sie irgendwann, wenn sie erwachsen ist und mein Buch selber liest, okay, aber das sage ich meinem Kind nicht. Ich sage ihr aber, ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden habe, wie toll ich dich liebe, weil es mir so schlecht ging. Also man kann das immer abstufen. Ja, es ist einfach Teil unserer Geschichte und deshalb war es mir so wichtig. Also durch mein Buch führe ich ja mit zehn Sätzen, die ich über ihre Geburt geschrieben habe. Da hatte ich so ein Therapieprojekt, und dafür sollte ich das aufschreiben und das hat mir total geholfen, das in wirklich Kindersprache zu machen. Ich sag nicht die waren böse, die haben Gewalt ausgeübt. Ich sage, die waren nicht gut zu uns oder die haben Eingriffe gemacht, damit es schneller geht. Also für mich ist das Teil unseres Lebens und ich finde es völlig in Ordnung und das sage ich auch anderen Müttern. Also es gibt so diese Tendenz, dass wenn ich ehrlich über die Geburt rede und sage, dass das schlimm war, da also mitschwingt, so als würde ich mein Kind nicht lieben, weil die Geburt schlimm war. Und das möchte ich gerne trennen. Da hat das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Es hat es nur ein bisschen schwieriger gemacht, diese ganze Liebe zu empfinden und zu entwickeln.
00: 24:41 Julia Hägele: Also im Zweifel lieber kommunizieren als es totzuschweigen?
00: 24:45 Lena Högemann: Ja, weil es beeinflusst uns ja. Es ist ja ein Teil von uns als Müttern, wie wir diese Geburt erlebt haben. Also das mache ich nicht nur bei der Geburt, sondern auch bei anderen Dingen. Dann sage ich, wie es mir geht. Jetzt ist mein Mann gerade wieder auf Dienstreise und ich habe die Kinder drei Tage lang alleine und ich bin einfach erschöpft, dann sage ich: Hey Leute, ich leg mich jetzt mal eine Viertelstunde aufs Sofa, ihr könnt ja alle spielen, ich muss mich mal kurz ausruhen. Damit sage ich Ihnen auch: Ich bin erschöpft, weil ich Mutter bin. Sorry, aber es ist halt so. Da sage ich nicht: Du bist schuld. Aber es war halt anstrengend und auch das ist total normal. Also das ist sowieso mein Umgang mit meinen Kindern, ihnen ehrlich zu sagen, wie es mir geht.
00: 25:18 Julia Hägele: Wir hatten über diese gesellschaftliche Verklärung am Anfang schon gesprochen. Also, dass man als werdende Mutter vielleicht auch falsche Vorstellungen hat durch Social Media oder was auch immer. Wie das alles werden könnte. Wenn wir noch mal diesen gesellschaftlichen Fokus aufziehen, könnte auch ein Teil des Problems darin liegen, dass die Geburten selber und das Mutterwerden gesellschaftlich so verklärt sind, also genauso wie Partnerschaft oder Ehe? Weil keine echte Partnerschaft ist ja wie es in der Werbung kommt, die man sich anschaut. Oder ein Kind zu gebären hat auch auch wenig mit diesem rosa plüschigen Instagramfilter zu tun, der da oft drüber gelegt wird. Siehst du es auch ein bisschen als deine politische Aufgabe, ehrlich zu sprechen?
00: 26:01 Lena Högemann: Ja, das Ehrliche besteht darin zu sagen, dass jede Geburt unterschiedlich ist. Also es gibt das alles. Es gibt die Frauen, die die Wehen als so schmerzhaft empfinden, dass sie schon auch ohne Gewalt erlebt zu haben, zu sagen: Das tue ich mir nie wieder an, das ist Teil der Wahrheit. Genauso gibt es Frauen, auch die habe ich interviewt, die mit bestimmten Atemtechniken sagen, die Wehen tun ihnen nicht weh, und die dann auch nicht pressen, sondern mit Atmung in einer Wanne sanft ihr Kind zur Welt bringen. Auch diese Fälle gibt’s. Ich gucke mir das immer alles ganz fasziniert an, weil es gibt einfach alles. Und Geburten sind so unterschiedlich, wie wir Frauen unterschiedlich sind. Und das ist schon unabhängig von dem System, in dem ich gebäre, so. Also insofern gehört zu dem Ehrlichen, einmal zu sagen, es ist alles möglich, es ist auch nicht kontrollierbar. Du kannst dich möglichst gut vorbereiten, indem du überlegst, wo du hingehst. Welche Eingriffe will ich, welche nicht? Wer soll mich begleiten, auch mit der Begleitperson das alles zu besprechen? Mentale Geburt kannst du alles machen, ist auch super hilfreich, aber trotzdem hast du es nachher nicht in der Hand. Also das hat mir auch meine Hebamme für mein Buch erzählt. Es gibt halt auch Kinder, die wollen offensichtlich nicht vaginal geboren werden. Die drehen sich nicht richtig ins Becken. Das gibt es einfach. Und dann sind diese Kinder Kaiserschnitte. Also all das ist Teil von Geburt. Und ja, es wird total verklärt in dem Sinne, dass ja immer gesagt wird, es ist das Größte. Also ich habe das bei der ersten Schwangerschaft im Beruf erlebt, wie die Leute mich voll gelabert haben. So: Wann beginnt das Glück ihres Lebens? Und ich nur so: Ja, ich bin jetzt gar nicht so unglücklich ohne Kind. Also das ist die Verklärung, dass das Kind zu kriegen die größte Erfüllung der Frau ist. So, da will ich hin, dass das endlich aufhört.
00: 27:35 Julia Hägele: Du widmest dein Buch deinen beiden Töchtern. Wenn sie einmal Kinder bekommen sollten, was sollte sich bis dahin am dringlichsten geändert haben?
00: 27:42 Lena Högemann: Also erst mal kann man, weil ich ja so viel fordere, kann man im Kleinen anfangen, Man kann sagen, auf jeder Geburtsstation muss es traumasensible Fortbildung verpflichtend geben. Also dass das gesamte Personal einmal geschult wird, wie man traumasensibel Frauen begleitet. Und man kann auch sagen, wir haben hier Leitlinien, die müssen wir mal anwenden und dann auch der Politik zu sagen, was brauchen wir dafür? Zum Beispiel andere Finanzierung, mehr Geld, dass wir hier mehr Hebammen einstellen können. Weil wenn die Arbeitsbedingungen bessere sind, werden auch wieder mehr Hebammen in die Klinik gehen, Weil es gibt nicht so wenig Hebammen, es gibt nur zu wenige, die im Krankenhaus arbeiten. Die meisten gehen irgendwann in die Nachbetreuung. Also da muss viel gemacht werden und es ist aber alles auch gar nicht unmöglich, weil es gibt die Forschung, es gibt die Empfehlung. Eines es ist ziemlich klar, was ich ändern muss und ich habe die große Hoffnung, dass das Schritt für Schritt passieren wird, weil ich auch die große Hoffnung hab. Das ist das Ziel meines Buches, dass Frauen ganz anders in Kliniken gehen mit ihrer Vorstellung, ihren Vorstellungen von selbstbestimmten Geburt, mit ihrem Geburtsplan, mit ihren Begleitpersonen, gerne auch mehrere, die sich für sie einsetzen und dass sie so das System zwingen, sich zu ändern. Dass ist so meine Vision, möchte ich sagen.