Viele Unternehmen bekennen sich zu Vielfalt, veranstalten Diversity-Tage oder schicken ihre Mitarbeiter zu Unconsious-Bias-Trainings. Dabei verändern sie jedoch zu selten die Systeme, die noch immer viele Menschen benachteiligen, findet Robert Franken. Im Interview mit der herCAREER fordert der Feminist und Transformationsberater einen neuen Diskurs über Privilegien und Geschlechterrollen. Denn eine bunte Belegschaft macht nicht nur Spaß.
„Vielfalt ist schon längst da und Unternehmen müssen dafür sorgen, dass sie in Wirkung kommt“
herCAREER: Herr Franken, viele Unternehmen haben sich Diversity auf die Fahnen geschrieben – Vielfalt gehört zum guten Ton. Wie beurteilen sie den Status quo von Diversity Management in Unternehmen?
Franken: Der Wirbel um Diversity ist häufig viel Show. Ich wage die Behauptung, dass gerade die Unternehmen, von denen man nichts dazu hört, bei dem Thema schon weiter sind. Diversity wird generell als Begrifflichkeit unter- und überschätzt: Viele Arbeitgeber*innen glauben, dass ein paar bunte Veranstaltungen an Diversity-Tagen, isolierte Unconsious-Bias-Trainings oder irgendwelche Verpflichtungserklärungen ausreichen, damit sich Vielfalt manifestiert. Entsprechend mager sind oft die Budgets. Doch es ist genau umgekehrt: Vielfalt ist schon längst da und Unternehmen müssen dafür sorgen, dass sie in Wirkung kommt. Es geht darum, Rahmenbedingungen, also: Inklusion, zu schaffen, für all diejenigen, die nicht unbedingt der Norm entsprechen. Das ist anstrengend und macht erstmal keinen Spaß. Deshalb spreche ich auch vom „Kater der Vielfalt“. Die bunten Bilder vermitteln aber halt zum Teil eine etwas andere Message. Eine Regenbogenfahne in die Hand zu nehmen und schöne Fotos zu machen ist nur ein oberflächliches Bekenntnis.
herCAREER: Sie würden also die ganze Geschichte von Diversity neu schreiben wollen?
Franken: Ich würde das Thema zumindest pragmatischer angehen. Unternehmen sollten sich ehrlich die Frage stellen, warum bestimmte Gruppen von Menschen in bestimmten Kontexten nicht zum Zuge kommen. Wer wirklich nach Antworten sucht, wird auch Hebel identifizieren, das zu ändern. Das ist richtig schwer, weil man an Systeme ranmuss, die bestimmte Monokulturen bevorzugen. Da ist mit Widerständen zu rechnen. Und selbst wenn man die Rahmenbedingungen für Diversity perfekt schafft, dann heißt das noch lange nicht, dass alles Friede Freude Eierkuchen ist. Das kann man ja zum Beispiel auch bei Google beobachten: Die haben sich von Anfang an der Vielfalt verschrieben und sind jetzt dabei, an bestimmten Stellen zu scheitern. Wenn man mit hehren Zielen antritt, sie aber nicht einlöst, werden die Diskurse zum Teil sehr vehement. Menschen gehen auf Distanz, wenn sie merken, hier werden Personen gefördert, obwohl sie eklatant gegen die eigentlichen Werte des Unternehmens verstoßen. Sexismus, sexuelle Übergriffe und Schlimmeres ist für die meisten größeren Organisationen ein Thema. Und da gibt es dann eben Arbeitnehmer*innen-Kohorten, die dagegen opponieren. Auch das ist Vielfalt und dem muss man sich annehmen. Das ist nicht leicht.
herCAREER: Dabei könnten doch Unconsious-Bias-Trainings insbesondere für Führungskräfte doch durchaus helfen. Was haben Sie gegen solche Angebote?
Franken: Ich kritisiere derartige Trainings, wenn sie isolierte Maßnahmen sind, und man aber damit suggeriert, dass sich in irgendeiner Form systemisch etwas ändert. Es gibt inzwischen auch viele Untersuchungen, die belegen, dass solche Trainings nicht funktionieren.
herCAREER: Warum nicht?
Franken: Erstens lässt sich menschliches Verhalten nicht durch eine einzelne Intervention verändern, dafür ist es zu komplex. Grundsätzlich lassen sich Menschen nicht gerne sagen, wie oder was sie zu denken haben. Und wir brauchen x Wiederholungen, bis sich neue Verhaltensweisen manifestieren. Eine Gefahr ist auch, dass man denkt, jetzt habe ich das Training ja durchlaufen und bin einer von den Guten – und dann das Thema schleifen lässt. Deshalb sollte man solche Trainings auf jeden Fall einbetten in Gesamtstrategien. Blaupausen gibt es dafür nicht. Deshalb lehne ich es in der Regel auch ab, einen Ein-Tages-Workshop dazu anzubieten. Man muss sich nämlich die Mühe machen, den unmittelbaren organisationalen Kontext zu verstehen und: welche Menschen mit welcher Historie und welche Motivationen dort am Wirken sind.
Das ist ein sehr langwieriger und ergebnisoffener Prozess. Die Schwierigkeit für Unternehmen besteht darin, dass sie einerseits Orientierung bieten und bestimmte Regeln brauchen und gleichzeitig Grenzen und Handlungsspielräume immer mehr erweitern sollten, ohne dass ihnen alles um die Ohren fliegt. Das ist ein tagtäglicher Kampf und dazu gehört sehr viel Frustrationstoleranz, Führungsstärke, Innovationsfähigkeit und Demut.
herCAREER: Wenn Diversity so anstrengend ist und sogar Unternehmen wie Google nun angesichts ihrer hehren Ziele zurückrudern müssen, könnten manche Arbeitgeber daraus schließen, dass es besser ist, das Thema nicht zu forcieren…
Franken: Für mich ist Diversity eine der entscheidenden Strategien auf dem Weg in eine digitale Zukunft und in eine große Transformation. Um die Komplexität halbwegs bewältigen zu können, werden wir verschiedene Blickwinkel brauchen. Insofern ist es eine Frage der Alternative: Wenn man sich nicht mit Diversity beschäftigt, weil das so anstrengend ist, dann passiert vermutlich das, was in allen Monokulturen passiert, auch in der Natur: Solche Systeme sind langfristig gefährdet, weil wichtige Perspektiven fehlen. Außerdem sind viele Individuen dann mit Anpassungsleistungen beschäftigt und können nicht für die Organisation produktiv werden oder zumindest nicht ihre maximale Leistung abrufen.
herCAREER: Wie lassen sich diese Anpassungsanstrengungen reduzieren?
Franken: Das Bewusstsein von Privilegien ist ein entscheidender Schlüssel zur Veränderung. Menschen, die wenig Anpassungsleistung zu verbringen haben, nehmen die Anpassungsleistung der anderen meist gar nicht wahr. Ein Beispiel: Ich als Mann muss viele Dinge, die Frauen tun müssen, um in unserer Kultur überhaupt irgendwie zu funktionieren, nicht bringen. Und selbst wenn ich für mich versuche, nicht Teil dieses Problems zu sein, so profitiere ich doch trotzdem davon, dass es so ist. Diesen Mechanismus anzuerkennen, das ist offensichtlich ein relativ großer Schritt für viele Menschen, die eher bestimmten Normen entsprechen. Dazu gehört eine Menge Empathiefähigkeit. Das ist vermutlich aber auch der große Hebel, diese Erkenntnis flächendeckender durchzusetzen.
herCAREER: Menschen lassen sich aber, wie Sie schon sagten, nicht gerne vorschreiben, was sie zu denken haben. Wie gewinnt man diejenigen für ein Umdenken, die aufgrund ihrer Merkmale zu den Privilegierten in unserer heutigen Kultur gehören?
Franken: Viele Menschen und auch überwiegend Männer reagieren manchmal sehr gereizt auf die Privilegiertheitsdiskussion. Sie verstehen überhaupt nicht, wovon man spricht oder kommen schnell zu dem Punkt, dass sie ja auch benachteiligt werden. Ihnen wird ja auch nicht alles in den Schoß gelegt. Deshalb ist es wichtig, dass man, wenn man Menschen ihre Privilegien vor Augen hält, ihnen ihre Leistung nicht abspricht. Dass jemand aufgrund ihres*seines „Diversity Footprints“ schwer in eine Führungsposition kommt, das ist die eine Seite der Debatte. Auf der anderen Seite: Auch Privilegierte müssen sich Systemen anpassen und das sollte man zur gegebenen Zeit sichtbar machen. Wenn wir ein gewisses Leid zeigen, das für alle mit Anpassung zusammenhängt, erweitern wir mit der Abschaffung dieser Normativität auch das Repertoire für die Privilegierten, wie etwa für die Männer.
herCAREER: Könnten Sie dafür ein Beispiel nennen?
Franken: Einer der erhellendsten Momente war für mich in dem Zusammenhang ein Event bei einem großen Schweizer Versicherer. Auf der Bühne stand ein Manager, der erzählte, er habe sich mal Gedanken über männliche Sozialisation gemacht. Jeder glaube, Männer hätten nur eine einzige Option im Leben: Karriere zu machen, sich über diese Karriere einen Status zu erarbeiten und damit attraktiv für eine Partnerin zu werden, um jetzt mal im heteronormativen Kontext zu bleiben. Erst die Karriere ermöglicht es also für Männer, eine Familie gründen. Das muss man erstmal sacken lassen. Das heißt ja, immer mit dem Kopf voran. Überlegen Sie nur mal, was passiert, wenn auf dem Lebensweg eines solchen Mannes etwas schief geht. Wir sehen ja reihenweise gescheiterte Gesundheit, gescheiterte Beziehung, gescheiterte Existenzen – einfach aus Mangel an Freiheiten, auch anders sein zu dürfen. Wir sind alle in dieser Normativitätsfalle und sollten uns diese dunkle Seite der Privilegiertheit bewusst machen. Das könnte den Weg ebnen, dass Männer Teil der Lösung werden wollen, anstatt in eine Verteidigungshaltung zu fallen.
herCAREER: Es geht also darum, Diversity mehr zu einem Männerthema zu machen?
Franken: Unbedingt. Wenn wir so tun, als ob wir irgendetwas lösen, indem wir mehr Frauen in Führungspositionen bringen, dann sind wir im besten Fall naiv. Wir haben dann Frauen anstelle von Männern, die in den Systemen nicht so agieren, wie sie sollten. Das finde ich ein großes Drama, dass wir in solchen Einzelmaßnahmen hängen bleiben, die wir dann gerne unter dem Begriff der Frauenförderung subsumieren. Was dann auch gleichzeitig noch suggeriert, dass Frauen irgendein Defizit hätten, das man ausmerzen müsste. Was für ein Schwachsinn.
herCAREER: Wenn vor allem Unternehmen, die nicht so viel über Diversity sprechen, oft bei dem Thema am weitesten sind, wie können Bewerber*innen dann herausfinden, ob es einem Arbeitgeber damit wirklich ernst ist?
Franken: Das ist nicht einfach, weil das je nach Branchen und Unternehmen sehr unterschiedlich ist und auf das persönliche Setup ankommt. Jede*r sollte sich selbst fragen, sie*er für ein Umfeld braucht. Also Fragen wie: In welchem Arbeitssetting geht es mir gut? Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen und frei agieren zu können? Wenn man sich damit ehrlich auseinandersetzt, dann findet man schon heraus, auf was man achten sollte und wonach man fragen sollte. Dabei darf man keinesfalls vergessen, dass viele Menschen einen finanziellen Druck haben und somit nicht immer die freie Wahl. Auch Wahlfreiheit ist heute noch ein Privileg.
herCAREER: Auch Frauen haben nicht immer die Wahl. Häufig können sie nicht Vollzeit arbeiten, weil sie sich mehrheitlich um die Familie, Kinder oder pflegebedürftige Eltern kümmern…
Franken: Das stimmt und deshalb neige ich immer mehr zu der Ansicht, dass wir es hier primär mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun haben, das sich natürlich in Unternehmen zuspitzt. Arbeitgeber*innen können Angebote für die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben machen, aber man kann das private Umfeld einfach nicht ausklammern. Ich kann gerade jüngeren Menschen nur raten: Unterhaltet Euch mit Euren Partnerinnen und Partnern, wie ihr Euch das vorstellt, wenn Ihr Kinder bekommen möchtet! Wer übernimmt welche Aufgaben und was passiert, wenn? Wir sollten darüber ganz offene Debatten führen. Das sind vielleicht nicht die romantischsten aller Gespräche, aber sie verhindern, dass man in die naive Vorstellung hineinfällt, dass wenn das Kind da ist, sich schon alles irgendwie zurechtrütteln wird. Das ist nicht der Fall. Der Gender Care Gap spricht da eine ganz andere Sprache. 100 Prozent in allen Bereichen geht halt auch einfach nicht. Elternsein, Karriere, Privatleben – man muss das austarieren. Da sind Arbeitgeber*innen ein entscheidender Faktor, aber eben bei weitem nicht der einzige.
herCAREER: Was kann eine Veranstaltung wie die herCAREER zu dieser ganzen Debatte beitragen?
Franken: Ich bin ein Fan der herCAREER und deswegen voreingenommen. Mit der Vielfalt der Akteur*innen, die aus verschiedenen Hierarchieebenen kommen und in verschiedenen Karriere- und Lebensphasen stecken, ist es hier wie auf sonst keiner Veranstaltung möglich, wirklich in den Austausch zu kommen. Die Menschen begegnen sich bei der herCAREER auf Augenhöhe und versuchen gute Lösungen auszuhandeln. Mir ist es wichtig, dass wir es uns dabei nicht zu einfach machen.
In seinem Vortrag „Der Kater der Vielfalt – über Privilegien und Anpassung“ vertieft Robert Franken seinen systemischen Diversity-Ansatz am Freitag, 11. Oktober, um 10.30 Uhr direkt vor Ort auf der herCAREER in München. Außerdem können Besucher*innen ihn beim MeetUp zum Thema „Diversity & Inclusion – zwischen Buzzword und Strategie“ am Freitag, 11. Oktober, um 12.15 Uhr auf der Messe erleben. Bereits am ersten Messetag, Donnerstag, 10. Oktober, um 16.45 Uhr moderiert er die Podiumsdiskussion „Frauen kümmern sich, Männer machen Karriere – über Rahmenbedingungen für Engagement“, unter anderem mit PD Dr. Elke Holst vom DIW Berlin, und Eva Lettenbauer, Stv. Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag und ist außerdem am Abend als Table Captain auf der herCAREER@Night zu Gast.
Über die Person
Robert Franken ist Digital & Diversity Consultant, Equality Consulting, Digitaler Potenzialentfalter und Gründer der Initiative Male Feminists Europe. Er unterstützt Unternehmen bei Positionierung, Strategie und digitalem Wandel. Einer seiner Beratungsschwerpunkte sind Organisationskulturen. Er setzt sich für Diversity und Gender Equality ein und hat u. a. die Plattform „Male Feminists Europe“ mitgegründet. Auf seinem Blog „Digitale Tanzformation“ schreibt der ehemalige CEO von Chefkoch.de und urbia.de über wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektiven der digitalen Transformation und über die Frage, welche systemischen Rahmenbedingungen den (nicht nur) digitalen Wandel hemmen oder beschleunigen können. Robert Franken ist Beirat von PANDA, der Competition für weibliche Führungskräfte. Und seit dem 8. März 2018 ist er einer der vier ehrenamtlichen Botschafter für #HeForShe Deutschland.
Hier finden Sie die aktuelle Pressemitteilung von Robert Franken.