Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit gehören für sie zwingend zusammen. Die Journalistin Janine Steeger und die Psychologin Ines Imdahl haben gemeinsam ein Buch geschrieben, das genau daran keinen Zweifel lässt. Ihr Credo: Damit die Welt eine Zukunft hat, müssen wir die Stärken aller Geschlechter miteinander vereinbaren.

Ihr Buch „Warum Frauen die Welt retten werden – und warum Männer dabei unerlässlich sind“, das im Frühjahr 2022 im Komplett-Media-Verlag erschienen ist, soll Frauen und Männer dazu animieren, sich nicht mehr als Konkurrenz zu sehen, sondern sich gegenseitig sichtbar zu machen und endlich an einem Strang zu ziehen.

Weil es bislang aber immer „nur ein Gefühl war, dass Frauen einen echten Mehrwert für die Nachhaltigkeit  liefern“, haben die beiden Autorinnen ein besonderes Konzept erarbeitet: Das Buch basiert auf einer Studie, für die Ines Imdahl zunächst tiefenpsychologische Interviews mit Führungspersönlichkeiten wie Frank Dopheide geführt hat, um die Ergebnisse dann in Gesprächen mit prominenten Expert:innen aus den Bereichen Nachhaltigkeit, Diversität und Empowerment, darunter Verena Pausder, Robert Franken, Louisa Dellert und Fränzi Kühne, zur Diskussion zu stellen. Dieser Ansatz geht offenbar auf, das Buch verkauft sich gut.

Die Autorinnen verzichten dabei ganz bewusst auf den Begriff Feminismus, um nicht „ausschließlich für diese Botschaft“ abgespeichert zu werden und Männer nicht mit einer vermeintlichen Kampfansage vor den Kopf zu stoßen. Wenngleich sie sich selbst durchaus als Feministinnen bezeichnen, „für alle, die wissen, was dieser Begriff wirklich bedeutet.“ Anders als andere Publikationen im feministischen Bereich, möchten sie Männer aber unbedingt ganz gezielt mit ansprechen.

„Warum Frauen die Welt retten … und warum Männer dabei unerlässlich sind“

herCAREER: Liebe Ines, liebe Janine, wie kam es dazu, dass ihr zusammen ein Buch schreibt?

Janine Steeger: Ines und ich sind uns schon vor ein paar Jahren vorgestellt worden durch eine gemeinsame Physiotherapeutin. Wir sind beide aus Köln und da läuft man sich schon zwangsläufig über den Weg irgendwann. 2018 habe ich dann die Initiative Futurewoman ins Leben gerufen, und wollte mit meinen beiden Mitgründerinnen unbedingt ein Studie zum Thema „Mehrwert von Frauen in der Nachhaltigkeit“ aufsetzen. Denn bis dahin war es eher ein Gefühl, dass sich Frauen mehr für das Thema Nachhaltigkeit engagieren und interessieren, aber eben ohne Belege. Daraufhin habe ich Ines, die zu dem Zeitpunkt auch schon selbst Futurewoman war und bis heute ist, angesprochen und ins Boot geholt.

Ines Imdahl: Janine hat aber nicht nur angerufen, um mit mir gemeinsam diese Studie aufzusetzen, die mich im Übrigen auch sehr interessiert hat, sondern auch gesagt: Ines, wir machen die Studie, schreiben ein Buch, und das wird ein Beststeller! Und da habe ich geantwortet: Na, gut. Wenn du das sagst, machen wir das. Wir sind beides keine Frauen, die ein Problem haben mit zu bescheidenem Auftreten. Und stehen beide gern auch mal im Mittelpunkt.

herCAREER: Seid ihr euch beim Arbeiten am Buch denn deshalb auch mal in die Quere gekommen?

Janine: Wir haben ja ganz klare Rollen in dem ganzen Spiel, das ist sicherlich ein großer Vorteil. Und wir haben uns die Bälle wirklich immer gut zugespielt, während des Laufens, via Sprachnachricht, via WhatsApp, sind wir immer in Kontakt gewesen. Ines hat die tiefenpsychologischen Interviews geführt und ich habe die Ergebnisse dann in Gesprächen mit prominenten Experten und Expertinnen in der Praxis sozusagen überprüft.

Ines: Die Struktur des Buches hat sich im Prozess mehrfach verändert. Denn obwohl ich mich schon so viele Jahre forscherisch mit dem Thema Frauen und Gleichberechtigung beschäftige, bin ich im Zuge der Recherche immer wieder auf Felder gestoßen, in denen mir die strukturelle Benachteilung so noch gar nicht bewusst war und mich sehr aufgewühlt hat. Aber wir hatten ja entschieden: Wir wollen nicht anklagen und jammern. Wir wollen mit den Führungspersönlichkeiten gemeinsam konstruktive Ansätze entwickeln, die Frauen und Männer gleichermaßen nach vorne bringen. Wir wollen Männern ganz konkret den Mehrwert von Gleichberechtigung, die wir lieber Gleichwertigkeit nennen, aufzeigen. Das war uns sehr, sehr wichtig.

herCAREER: Euer Ansatz lautet ja auch: Lieber umbegeistern, als immer nur zu kämpfen. Ist es nicht dennoch so, dass es den ein oder anderen gibt, der den Titel eures Buches als Kampfansage wertet?

Janine: Absolut, das kann ich bestätigen. In all unseren Interviews, die wir für das Buch geführt haben, war es den Befragten außerordentlich wichtig, klar zu stellen, dass sie nicht bei Geschlechterkämpfen oder „Männerbashing“ mitmachen wollen. Wir mussten immer wieder erklären, dass das Gegenteil der Fall ist, und dass wir bewusst einen provokanten Titel gewählt haben, um möglichst viele auf das Thema aufmerksam zu machen. Und ja, der Untertitel, der die Männer ja explizit inkludiert, ist sehr kleingehalten. Aber es ist dennoch eine ganz wichtige Botschaft, die wir unbedingt vermitteln wollten.

Ines: Der Verlag wollte die Männer ursprünglich gar nicht im Titel haben, da hatten wir beide aber das Gefühl, es ist relevant, um das Gemeinsame auch herzustellen. Ich empfinde das als eine Art Qualitätssiegel. Wir grenzen uns damit deutlich ab von anderen Publikationen.

herCAREER: Erreicht ihr denn mit eurer Botschaft genauso viele Männer wie Frauen?

Janine: Das ist nach wie vor schwer. Wir erleben immer wieder, dass auf Veranstaltungen, die Gleichberechtigung in irgendeiner Form thematisieren, kaum Männer auftauchen. Erstens empfinden viele Männer unseren Titel nach wie vor als provokant, und es gilt zweitens noch häufig als unmännlich, sich dafür zu interessieren und zu engagieren.

Dabei bekommen wir von den Männern, die das Buch bereits gelesen haben, ganz deutlich gespiegelt, dass sie unseren Ansatz als sehr positiv wahrnehmen und sich entlastet fühlen. Gerade beim Thema High Performance: So viele Männer haben das Gefühl, immer voran gehen zu müssen, immer Höchstleistung erbringen und möglichst viel Geld verdienen zu müssen. Und es gibt eben ganz viele Männer, die das überhaupt nicht so geil finden.

Ines: Wir haben in unseren Köpfen einfach diese Klischees, also Eigenschaften, die wir entweder klar dem Männlichen oder dem Weiblichen zuschreiben. Dabei haben wir es in unseren Gesprächen so oft erlebt, dass die befragten Männer gesagt haben: Aber ich bin doch auch fürsorglich, ich kümmere mich genauso um unsere Kinder und im Unternehmen bin ich auch der Kümmerer. Dafür werde ich einfach nicht wertgeschätzt, sondern eher schräg angeschaut. Weibliche Qualitäten müssen also unabhängig von dem Geschlecht, das sie innehat, genauso viel Wert sein, wie die männlichen.

herCAREER: Spielt das Alter eine Rolle?

Ines: Gerade die älteren Männer haben diesen Druck oft geäußert, während die Jüngeren stärker den Wunsch äußerten, sich auch um Kinder kümmern zu können. Altersunabhängig haben alle die gleichen Vorurteile im Kopf. Und jedes Interview hat eigentlich mit der Frage begonnen: Ehrlich jetzt, müssen wir das schon wieder thematisieren? Sind wir nicht alle längst gleich. Nein, sind wir nicht. Nur weil eine Frau ihren Mann steht, haben wir noch lange keine Diversity, sagte uns Frank Dopheide im Interview. Und solange das männliche Maß Ideal für Führung und Macht ist, werden wir nicht weiterkommen in puncto Diversity Darunter leiden Frauen genauso wie die Männer. Die männlichen Qualitäten sind ja nicht per se schlecht: Durchsetzungsstärke, alles auszublenden und sich zu fokussieren, mit Kraft vorangehen oder zu riskieren, das können auch Frauen. Aber sie wollen nicht immer so führen wie die Männer, sondern eben oft auf andere, weibliche, kümmerndere Art. Oftmals entscheiden sie sich dann gegen das Führen – das eben auch vom männlichen Maß her gedacht wird. Am besten kommen wir weiter, wenn männliche und weibliche Qualitäten ineinandergreifen.

herCAREER: Wie nehmen Frauen eure Botschaft wahr?

Ines: Bei den jungen Frauen mache ich mir schon fast Sorgen. Viele denken, es würde alles von allein funktionieren, ohne Quote, einfach nur durch Ausbildung. Aber das wird nicht passieren, das ist sehr, sehr klar. Wir brauchen, wie Janine immer sagt, zumindest vorübergehend eine 50-50-Quote als Brücke.

herCAREER: Unsere patriarchal geprägte Gesellschaft hat uns bislang in tiefe wirtschaftliche und humanitäre Krisen geführt. Die Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein schrecklicher Beleg dafür und offenbart schonungslos, dass eine Ressourcenabhängigkeit nicht nur keine Lösung ist, sondern brandgefährliche Machtspiele auslöst, die oft von Männern betrieben werden. Eure These: Mehr Frauen in Führungspositionen machen die Welt besser. Ihr sprecht außerdem davon, dass das weibliche Prinzip dem männlichen gleichgestellt werden muss – vor allem in den Köpfen und Herzen der Menschen. Was genau impliziert denn das männliche Prinzip in Abgrenzung zum weiblichen Prinzip?

Janine: Unsere erste These lautet ja: Frauen sind nicht kompliziert, sondern denken in komplexeren Zusammenhängen und mit mehr Weitsicht. Das minimiert natürlich gewisse Risiken. Wenn du von Anfang an solche Abhängigkeiten als Gedankenspiel mit einbeziehst, hättest du vielleicht schon bei Vertragsschluss, als diese Abhängigkeiten entstanden sind, andere Lösungen entwickelt. Zudem wird das ganze Thema Empathie, das Kümmernde, in Zukunft eine wichtige Führungsstärke, wie Verena Pausder, Robert Franken und Fränzi Kühne im Buch sehr deutlich sagen. Denn das männliche Prinzip, das Patriarchat, führt in Kombination mit Kapitalismus, Diskriminierung und Rassismus eindeutig zu Unterdrückung. Damit einher geht das Bestreben, sich die Natur untertan zu machen. Und das ist ein riesiges Problem, wie wir an der Klimakrise sehen.

herCAREER: Werden wir denn wirklich eine friedlichere Welt haben, wenn mehr Frauen an der Macht sind, wenn wir dem weiblichen Prinzip mehr Raum geben?

Janine: Davon sind wir fest überzeugt. Mit mehr Frauen in entscheidenden Machtpositionen wird es ganz klar weniger Kriege geben, weniger Kampf um Ressourcen. Das Kümmernde, der Blick auf das Wohlbefinden der Menschen um einen herum, ist eine große und wichtige Stärke, die zur Weltrettung beitragen wird. Es geht darum, das eigene Ego auch mal hinten anzustellen und zu überlegen: Was steht jetzt für die Gemeinschaft im Vordergrund? Wie können wir alle ein gutes Leben führen? Das ist Teil des weiblichen Prinzips.

Ines: Ohne es zu bewerten: Olaf Scholz Entscheidung, die Bundeswehr jetzt mit 100 Millionen Euro zu unterstützen, aufzurüsten, war zum Beispiel eine sehr männliche Entscheidung. Frauen hätten sich vermutlich andere Fragen gestellt.

herCAREER: Welche?

Ines: Wie können wir die Menschen auffangen? Ist es sinnvoll, jetzt die Muskeln spielen zu lassen? Verschärft das nicht den Konflikt? Sollten wir nicht einen klugen, anderen Weg wählen, uns zu wehren? Digital angreifen? Oder auch: Schaffen wir das überhaupt in der Kürze der Zeit? Und wir sehen, dass dieses Abwägen, das Abwarten, das Überlegen, wertvolle weibliche Eigenschaften sind, die den Verhandlungen in der akuten Situation fehlen. Das Vermitteln, das Kompromissbereite, das Streitschlichtende. Selbst erzkonservative Männer wie Erdogan vermissen die Mediatorenkompetenz unserer alten Bundeskanzlerin. Daran sieht man wirklich, wie sehr wir alle vom Weiblichen profitiert haben und profitieren können.

herCAREER: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock machte bei einer Debatte im Bundestag jüngst einmal mehr transparent, dass sie manchmal durchaus etwas länger überlegt, bevor sie zum Beispiel auf Angriffe der Opposition reagiert. Ein gutes Beispiel?

Janine: Annalena Baerbock, der man nach dem holprigen Wahlkampf so wenig zugetraut hat, genießt gerade völlig zu recht eine hohe Glaubwürdigkeit. Auch, weil sie extrem transparent, ehrlich und Ordnung schaffend mit der Situation umgeht. Ordnung schaffen ist eine weitere These in unserem Buch. Beispielsweise sagt sie deutlich: „Wir Grünen hätten vor ein paar Jahren nicht in Rüstung investiert. Aber jetzt ist die Entscheidungsgrundlage doch eine ganz andere.“ Robert Habeck empfinde ich übrigens als genauso transparent und Ordnung schaffend, was die Energiefrage anbelangt. Und beide gehen auch relativ offen mit ihrer Gefühlslage um. Man sieht und hört, dass diese ganzen Entscheidungen sie auch belasten. Und das ist okay. Robert Habeck zeigt da gerade weibliche Stärken. Und das legt wunderbar dar, dass die unterschiedlichen Stärken von allen Geschlechtern angewendet werden können und nicht den biologischen Geschlechtern zugeordnet sind.

herCAREER: Also durchaus auch mal den eigenen, persönlichen Konflikt offenlegen?

Janine: Ja, Transparenz schaffen, emphatisch sein, Verletzlichkeit zeigen. Einfach menschlich sein. In unserem Buch sagt Verena Pausder: „Menschen folgen Menschen. Deshalb gehört Emotionalität zu guter Führung.“

herCAREER: Ihr fordert außerdem ein Gesetz, dass Wirtschaft nur noch mit Nachhaltigkeit ermöglicht. Wie könnte das konkret aussehen?

Janine: Der erste Schritt ist auf Bundesebene ja schon getan, indem man das Wirtschaftsministerium gleichzeitig zum Klimaschutzministerium gemacht hat. Das sollte auch in den einzelnen Bundesländern so umgesetzt werden. Und eigentlich müssten auch alle anderen Sektoren an den Klimaschutz gekoppelt sein. Momentan lösen wir das über Sektorenziele, die für den Klimaschutz festgeschrieben werden. Das Problem: Werden die nicht erreicht, passiert eigentlich nichts.

Wir brauchen insgesamt Systeme, in denen Klimaschutz belohnt und nicht bestraft wird. Und zwar auf allen Ebenen. Dann rechnet sich die Weltrettung schnell von ganz allein.

Ines: Und genau das braucht es unbedingt auch, um Diversität zu erreichen. Für mich trifft sich hier beides: Gleichberechtigung und Klimaschutz. Unternehmen, die in der Führung gleichwertig aufgestellt sind, sind bis zu 36 Prozent wirtschaftlicher und nachhaltiger unterwegs. Das sind keine getrennten Themen, das muss unbedingt man zusammen denken.

herCAREER: Frauen sind ja nachweislich auch wesentlich stärker vom Klimawandel betroffen als Männer.

Janine: Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Wenn es im globalen Süden beispielsweise zu Notsituationen kommt, Unwetterkatastrophen oder ähnliches, werden die Mädchen und Frauen zuerst zuhause gehalten, um anzupacken. Sie dürfen die Schule nicht mehr besuchen, Bildungsgerechtigkeit funktioniert also nicht mehr. Oder sie werden, weil sie nicht arbeiten, nicht in ein Warnsystem eingebunden, und dann zuhause von Tsunamis oder ähnlichem überrascht. Oder sie müssen in Dürrezeiten unendlich weit zu Wasserstellen laufen. Sie sind oft auch deutlich gehandicapter, wenn es um das Thema Flucht geht. Sie wollen die Eltern, die Verwandtschaft, nicht im Stich lassen. Sie haben also eine intrinsische Motivation, dieser Klimakrise zu begegnen. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit der Kraft der Frauen Veränderungen wesentlich schneller herbeiführen können und wertvolle Zeit verschenken, wenn wir sie nicht gleichberechtigt einbinden.

herCAREER: Wenn wir das alles wissen, woran liegt es also, dass wir immer noch so weit entfernt sind von der Gleichwertigkeit?

 Ines: Wir wissen tatsächlich schon seit 15 Jahren, dass Unternehmen mit einem gleichwertigen Anteil an Frauen in der Führung mehr Geld verdienen. Aber das überzeugt die Männer nicht, Aufklärung allein reicht nicht, weil die emotionale Ebene nicht stimmt. Es besteht einfach die Angst, dass ihnen etwas weggenommen wird. Und ganz ehrlich: Würden wir alles führen, hätten wir diese Sorge vermutlich auch. Unser Anliegen ist es also, die Männer genau auf dieser emotionalen Ebene anzusprechen, sie mitzunehmen und ihnen auch Lust zu machen, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen. Die vermeintlichen weiblichen Schwächen in Stärken umwandeln, die allen Geschlechtern Spaß bringen. Wir sind in allen Bereichen besser, wenn wir dabei Freude haben. Eben auch wenn wir nachhaltig leben, das kein Verzicht ist, sondern wir gleichzeitig Spaß daran haben.

herCAREER: Janine, du erwähnst immer wieder Wut als treibendes Gefühl. Eine per se den Männern zugeschriebene Emotion. Frauen versuchen das Gefühl oft zurückzuhalten. Müssten Frauen öfter wütend sein?

 Janine: Uns Frauen wird so oft der Vorwurf gemacht, zu emotional zu sein. Wenn eine Frau wütend ist, gilt sie oft als zickig, oder unweiblich. Frauen traut man außerdem oft gar nicht zu, wütend zu sein. Für mich persönlich ist Wut aber ein ganz großer Treiber, und es ist ganz wichtig, sie auch zu zeigen. Gleichzeitig ist es natürlich gut, wenn aus der Wut möglichst auch immer etwas Konstruktives entsteht.

Ines: Das haben wir auch in der Studie ganz deutlich gesehen. Als Frau ist man eigentlich immer falsch. Entweder zu emotional, empfindsam und bescheiden oder zu deutlich, zu männlich oder zu aggressiv. Egal, wie sich eine Frau verhält, es passt nicht wirklich. Auch das liegt daran, dass wir immer das männliche Maß ansetzen. Bist du typisch weiblich, kommst du nicht weit, hast du männliche Eigenschaften, bist du auch falsch, weil es als unpassend empfunden wird. Wir müssen die Gesellschaft umbegeistern, und aufhören, in gute und schlechte Emotionen zu unterteilen. Denn auch das ist ein Ergebnis: bei Frauen sind Emotionen eher problematisch, bei Männern gewünscht.

herCAREER: Ines, du hast nach jedem deiner vier Kinder acht Wochen nach der Geburt wieder gearbeitet und warst dabei sehr erfolgreich. Deinen männlichen Partnern war das dennoch nicht genug, obwohl du, wie du sagst, die finanziellen Vorgaben in der Unternehmenspartnerschaft immer erfüllen konntest. Was hat sie irritiert? Das damit einhergehende Infragestellen des eigenen Lebensmodell?

Ines: Das war ein schweres Kapitel in meiner Geschichte. Ich habe 20 Jahre versucht, die Anerkennung von diesen durchaus guten Psychologen mit sehr männlich geprägten Rollenbildern zu bekommen. Privat hatte ich einen Partner an der Seite, der das anders gelebt hat, und sich genauso um die Kinder gekümmert hat wie ich, aber es hat tatsächlich so stark das konservative Rollenbild meiner damaligen Geschäftspartner belastet, dass irgendwann der Spruch kam: Meine Frau ist ja auch klug und bleibt zuhause. Da steckt eigentlich alles drin. Und es war immer wieder Thema, sie konnten das einfach nicht akzeptieren. Nach zwanzig Jahren habe ich entschieden, ich fange noch einmal von vorne an. Das war genau die richtige Entscheidung. Ich fühle mich heute viel freier und beweglicher und mein Lebensmodell wird nicht andauernd hinterfragt.

herCAREER: Haben nicht nachhaltige Business-Modelle denn überhaupt eine Zukunft?

 Janine: Nein, darin sind sich ja auch alle Expertinnen und Experten einig. Du wirst nicht zukunftsfähig sein, wenn du nicht nachhaltig wirtschaftest. Da geht es nicht nur um Außenwirkung, denn mittlerweile ist es ja auch gesetzlich getrieben. Und die, die wirklich innovativ sind und über die gesetzlichen Vorgaben hinaus gehen, sind die, die auch wirklich am Markt überleben werden. Weil sie es ernst nehmen, weil sie sich am Pariser Klimaabkommen orientieren. In Zukunft werden sich auch nur noch für nachhaltige Geschäftsideen Investoren finden lassen.

herCAREER: Ihr skizziert im Buch auch die Welt von 2030. Was erwartet uns im besten Fall?

 Janine: Wir haben im Buch ja einige Dinge ganz konkret benannt, wie zum Beispiel die Empfindsamkeitstage, die im rheingold Salon zum Beispiel schon existieren, und die hoffentlich jedes Unternehmen übernimmt. Jeder Mensch funktioniert zyklisch, unabhängig vom Geschlecht. Deshalb können Mitarbeitende diese Tage in Anspruch nehmen, wenn es ihnen mal nicht gut geht, aus welchen Gründen auch immer, um dann ausgeruhter und konstruktiver arbeiten zu können.

Ines: Die Empfindsamkeitstage sind eine ganz konkrete Ableitung aus der Studie und dem Buch. Niemand kann jeden Tag gleich gut funktionieren, diesen Leistungsdruck kann niemand auf Dauer aushalten. Und dabei ist es egal, was die Ursache ist. Regeneration brauchen wir eben nicht nur am vorgeschriebenen Wochenende, sondern dann, wenn man sich danach fühlt. Das ist die konsequente Weiterentwicklung der Vertrauensarbeitszeit. Natürlich sind wir Dienstleister und müssen Deadlines einhalten. Aber genau das funktioniert viel besser, wenn wir gut mit uns selbst umgehen.

herCAREER: Und was sollte sich auf politischer Ebene ändern?

Janine: Für Deutschland hoffe ich sehr darauf, dass das Gemeinwohl, ähnlich wie in den skandinavischen Ländern, eine größere Rolle spielt. Vielleicht könnte die bislang in Deutschland selbst ernannte Glücksministerin ein echtes Ministerium bekommen. Solche Schritte können uns wirklich voranbringen. Ich glaube, auch wenn wir in einer furchtbaren Krise stecken momentan, zumindest in Deutschland und auf EU-Ebene eine andere Art von Engagement und Ernsthaftigkeit beim Thema Nachhaltigkeit zu erkennen. Viele haben verstanden, gerade weil wir uns an einem so neuralgischen Punkt befinden, dass es so nicht weitergeht. Natürlich ist es eine Hoffnung, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und ich werde mich mit all meiner Kraft und Wut dafür einsetzen.

Ines: Und wir halten das auch durch. Wir können das ertragen und aushalten. Eine ganz große weibliche Stärke.

Über Janine Steeger

Janine Steeger ist ausgebildete Fernsehjournalistin und hat fast 20 Jahre für private und öffentlich-rechtliche Sender gearbeitet, vor und hinter der Kamera. Bis 2015 hatte sie ihre eigene tägliche Live-Sendung bei RTL. Dann kündigte sie ihren Job, um sich auch beruflich komplett den Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu widmen. Auslöser dafür war die Geburt ihres Sohnes. Seitdem nennt sie sich Green Janine, arbeitet als Moderatorin und Speakerin und hat  FUTUREWOMAN.de mitgegründet. Janine Steeger lebt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn in Köln.

Über Ines Imdahl

Ines Imdahl studierte an der Universität Köln Psychologie mit dem Schwerpunkt Morphologie. Seit Januar 2000 war sie Geschäftsführerin und Inhaberin bei rheingold. Sie hat das rheingold Institut, eine der renommiertesten internationalen Adressen für tiefenpsychologische Markt- und Medienforschung, mitgeprägt und aufgebaut.

2011 gründete sie zusammen mit Jens Lönneker den rheingold salon, eine tiefenpsychologisch arbeitende Forschungsagentur, die Emperie, Strategien, Gestaltung und Umsetzungsprozesse verbindet.

Die Arbeitsschwerpunkte von Ines Imdahl liegen in der psychologischen Markt- und Kulturforschung, besonders im Bereich Frauen- und Jugendforschung, sowie Werbewirkungsforschung. Ihre zahlreichen Studien, Veröffentlichungen und die Medienpräsenz rund um das Thema Frauen, Jugend und Werbung unterstreichen ihre unbestrittene Kompetenz auf diesen Fachgebieten. Sie war über zwei Jahre Werber-Rat-Kolumnistin im Handelsblatt, zeigt mit ihrem Buch „Werbung auf der Couch“ (Herder-Verlag), warum und wie Werbung uns wirklich berühren kann. Heute ist sie zusätzlich Expertin für den
„Werbecheck“ und Servicezeit-Psychologin in ihrer Sendung „5 Fallen – 2 Experten“ zusammen mit Prof. Dr. Vogel (Jurist) im WDR Fernsehen.
Ines Imdahl ist verheiratet und hat vier Kinder. Neben ihrer Arbeit steht die Familie an erster Stelle.

Ines Imdahl wird live auf der herCAREER-Expo 2022 am 06. & 07. Oktober beim Authors-MeetUp das Buch „Warum Frauen die Welt retten werden – und warum Männer dabei unerlässlich sind“ vorstellen.

Hier finden Sie die aktuelle Pressemitteilung von Janine Steeger und Ines Imdahl.

Das Interview führte Belinda Duvinage.