Die heutige Arbeitswelt verlangt den Menschen viel ab: Neben globalen und lokalen Krisen gibt es Wachstumsdruck und Wettbewerbsdruck. Heidi Stopper coacht Führungskräfte – und hat selbst lange in Führungspositionen gearbeitet. Sie weiß, dass Arbeit und vor allem Führung ein wachsendes Maß an Resilienz erfordern.
In der Physik beschreibt Resilienz die Fähigkeit eines Stoffes, nach äußeren Einflüssen wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Bei Menschen ist das anders: Hier geht es darum, zu lernen und gestärkt aus einer schwierigen Situation hervorzugehen.
Wie sie selbst widerstandsfähiger geworden ist und welche Tipps sie hat, um die eigene Resilienz ganz pragmatisch zu stärken, erzählt die Coachin im Interview mit Moderatorin Stefanie Hornung in dieser Live-Aufzeichnung von der herCAREER Expo.
Kernthesen aus dieser Folge:
Was deine Resilienz nicht stärken wird, sind Ratschläge, wie
- “Leg dir ein dickeres Fell zu.”
- “Was dich nicht umbringt, macht dich stärker.”
- “Du musst lernen, das auszuhalten.”
Was Heidi Stopper stattdessen empfiehlt:
- Ausreichend Momente des Abstands
- Gefühle zulassen und lernen, sie zu regulieren
- Ein gewisses Maß an Härte
Denn: „Widerstandsfähiger wird man vor allem, indem man an sich selbst und nicht am eigenen Umfeld arbeitet“, sagt die Unternehmerin, Beirätin und Professorin. Darum sei es wichtig, sich auch beruflich immer wieder freiwillig schwierigen Situationen zu stellen und auszusetzen.
Thema
Persönlichkeits- & Kompetenzentwicklung | Führung & Kommunikation
Angaben zur Referent:in
Prof. Heidi Stopper hat viele Jahre als Führungskraft und Vorstand im Personalbereich gearbeitet, zuletzt als Vorstand im MDAX. Coaching und Beratung von Führungskräften aller Ebenen, insbesondere des Topmanagements, war immer ein wesentlicher Bestandteil ihrer Tätigkeit. Heute ist sie Unternehmerin, eine der gefragtesten Topmanagement-Coaches und Beraterin zum Thema Karriere und berufliche Positionierung. Sie sitzt in etlichen Beiräten, ist Kuratoriumsvorsitzende der Macromedia und leidenschaftliche Förderin von Frauen im Berufsleben. Mitte Oktober 2019 wurde Heidi Stopper die Honorarprofessur für Leadership & Organizational Behaviour an der Hochschule Macromedia verliehen.
Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER Expo 2024 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.
[00:00:00] Heidi Stopper: Jeder kann lernen, resilienter zu werden. Die schlechte Nachricht ist, dass ist nicht mit einem Kurs getan. Das muss in eure täglichen Routinen eingehen, wie morgens im Bad sich zu schminken und zu waschen. Wir müssen es täglich üben.
[00:00:35] Kristina Appel: Willkommen beim HerCareer Podcast. Du interessierst dich für aktuelle Diskurse aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft und das insbesondere aus einer weiblichen Perspektive? Vielleicht wünschst du dir persönliche Einblicke in den Arbeitsalltag von Menschen und Unternehmen, die sich dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel stellen? dann bist du hier genau richtig. In der Physik beschreibt die Resilienz die Fähigkeit eines Stoffes, nach äußeren Einflüssen wieder in seinen Urzustand zurückzukehren. Beim Menschen ist das anders. Da geht es darum, aus Beanspruchung zu lernen und gestärkt aus einer schwierigen Situation herauszugehen. Heidi Stopper coacht Führungskräfte und hat lange selbst in Leadershippositionen gearbeitet. Sie weiß, die heutige Arbeitswelt verlangt den Menschen viel ab: Wachstumsdruck, Konkurrenz, Belastung und globale und lokale Krisen. In dieser Liveaufnahme erzählt die Coachin, wie sie selbst widerstandsfähiger geworden ist, und welche Ratschläge sie hat, um die eigene Resilienz ganz pragmatisch zu stärken.
[00:01:43] Stefanie Hornung: Resilienz gilt heute als die Superpower für die Unternehmen, für Führungskräfte und eigentlich für alle Beschäftigten. Aber was macht Resilienz eigentlich aus? Und wie kann man denn resilient werden? Mein Name ist Stefanie Hornung. Ich bin freie Journalistin und darüber spreche ich jetzt gleich mit einer Frau, die auf eine langjährige Führungslaufbahn zurückblicken kann. Unter anderem war sie Personalvorstand bei ProSiebenSat.1, und heute ist sie eine der gefragtesten C-Level-Coachs. Sie ist außerdem Honorarprofessorin und Kuratoriumsvorsitzende der Macromedia Universität und engagiert sich als Beirätin in ganz vielen unterschiedlichen Gremien. Ein Applaus bitte für Heidi Stopper. Heidi, das Problem bei Resilienz fängt ja schon mit der Definition an, also es gibt keine einheitliche Definition und viele denken, das ist so irgendwas mit Widerstandsfähigkeit. Was würdest du sagen, was ist eigentlich Resilienz?
[00:02:54] Heidi Stopper: Also es gibt physikalisch schon eine Definition davon. In der Praxis wabern aber unheimlich viele tolle Sprüche um das Thema Resilienz. Ihr habt vielleicht alle schon gehört: Was uns nicht tötet, härtet uns ab. Habe ich am Anfang meiner Karriere sehr, sehr häufig gehört. Heute hört man vielleicht eher: Jetzt denk mal positiv. Oder man hört: Das musst du jetzt aber auch mal aushalten können, bleib einfach positiv dabei. Ja, und das enthält, ich würde mal sagen, schon zwei ganz, ganz wesentliche Komponenten von Resilienz, nämlich Resilienz kommt in zwei Teilen daher. Es braucht Härte, weil ohne dass wir schwierige Situationen erleben und lernen, mit denen umzugehen, können wir keine Resilienz entwickeln. Resilienz braucht auf der anderen Seite aber auch Abstand, braucht die Fähigkeit, unsere Gefühle auf eine gute Art und Weise zu regulieren. Und wir brauchen beides. Nur positiv zu denken, schwierigen Situationen aus dem Weg zu gehen, mal was auszusitzen, das hilft nicht an der Resilienzfront.
[00:04:06] Stefanie Hornung: Es gab ja vorher aber auch schon viele andere Konzepte, die so ein bisschen in diese Richtung gingen. So wie ich das verstanden habe, kommt man dann wieder raus, im gleichen Zustand, wie man vorher war. Da kommt irgendeine Krise oder was Hartes auf einen zu und dann bewegt man sich da fluffig und ist hinterher wieder in einen Urzustand zurückversetzt. Oder verändert sich dann vielleicht doch was durch diesen Einfluss von außen?
[00:04:31] Heidi Stopper: Also ich würde mal sagen, bei uns Menschen ist es nicht wie in der Physik. Der ideale Punkt am Ende ist nicht, auf den Ausgangspunkt zurückzugehen, sondern daraus zu lernen und stärker hervorzugehen. Ja, das ist, würde ich mal sagen, wenn ich jetzt die physikalische Definition auf uns Menschen übertrage, dann bedeutet Resilienz, schwierige Situationen so bewältigen zu können, dass wir hinterher gestärkt daraus hervorgehen, ohne Schaden genommen zu haben.
[00:05:03] Stefanie Hornung: Also auch eine Entwicklung durchgemacht zu haben. Du coachst vor allem Top-Managerinnen, ich hab’s gesagt. Kann man generell davon ausgehen, dass die resilienter gegenüber Krisen sind? Sonst wären sie vielleicht ja nicht in diese Top-Positionen gekommen.
[00:05:21] Heidi Stopper: Ja, also ganz allgemein kann ich das nicht so sagen. Ich habe Vorstände, die noch ein bisschen älter sind als ich, die an ihrer Resilienz ganz gewaltig arbeiten müssen, weil die Anforderungen der letzten Jahre sehr, sehr sportlich geworden sind und viele heute an ihre Grenzen bringen. Also Führungskräfte sind heute ohnehin sehr, sehr häufig in der Grenzbelastung, insofern: Das Thema Resilienz und besser zu werden in Resilienz haben alle, auch Top-Führungskräfte. Allerdings muss man schon sagen, viele Top-Führungskräfte sind resilienter wie wir es sind am Anfang der Karriere, weil die einfach auch viel mehr Einschläge schon hatten und daraus lernen konnten im besten Fall. Bei mir ist das ganz definitiv so. Als junge Frau bin ich so naiv da losgesprungen und habe sehr viele blauen Augen kassiert, viele graue Haare bekommen. Aber ich habe auch aus vielen Konflikten, aus vielen Momenten, die mich selber so wahnsinnig umgetrieben haben, sehr viel über mich selber gelernt und verstanden, dass ich in erster Linie an mir selber arbeiten muss und nicht an meinem Umfeld, um viel widerstandsfähiger zu werden. Und das braucht man ganz definitiv in der heutigen Arbeitswelt. Völlig egal, in welchen Positionen ihr sitzt.
[00:06:34] Stefanie Hornung: Euch geht es ja sicher auch so, man wäre gerne ein bisschen resilienter. Kann man denn resilienter werden? Und wie geht das?
[00:06:43] Heidi Stopper: Die Forschung sagt, es gibt Menschen, die kommen schon mit einer etwas höheren Resilienz auf die Welt. Das sind die sehr Glücklichen unter uns. Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch daran arbeiten können. So, die gute Nachricht ist: Jeder kann lernen, resilienter zu werden. Die schlechte Nachricht ist, dass ist nicht mit einem Kurs getan oder mit „einmal arbeite ich jetzt an mir, um resilienter zu sein“, sondern die schlechte Nachricht ist: Das muss in eure täglichen Routinen eingehen, wie morgens im Bad sich zu schminken und zu waschen. Also das ist wie Körperhygiene, das müssen wir regelmäßig machen, sonst müffelt’s und sonst schwächelt’s. So ist es in der Tat mit Resilienz. Wir müssen es täglich, täglich üben. Wir müssen uns deswegen auch täglich Situationen aussetzen, die nicht nur „walk i nthe park“ für uns sind, die nicht nur immer so super angenehm für uns sind, weil ohne dass wir uns diesen Situationen aussetzen, können wir nicht üben.
[00:07:44] Stefanie Hornung: Kannst du da mal ein Beispiel geben? Gib uns doch ein paar Tipps.
[00:07:47] Heidi Stopper: Jede von euch kann unheimlich viel dafür tun. Das Erste und vielleicht auch das Einfachste ist, dass wir sicherstellen, dass wir nicht ausschließlich den ganzen Tag im Hamsterrad rennen, sondern dass wir so winzig kleine Abstandsrituale über den Tag verteilen. Als ich noch Vorständin war bei ProSieben, hatte ich meine Assistentin gebeten, morgens die erste Stunde in meinem Kalender zu blocken. Da habe ich die erste Stunde, die erste halbe Stunde drüber nachgedacht: was ist heute wirklich wichtig? Ja, sobald wir losgehen, erachten wir ja alles wichtig. Alles, was reinkommt, ist plötzlich drängend und wichtig. Was ja ein totaler Quatsch ist. Wenn wir es mit Abstand betrachten, können wir nämlich sehen, dass die Hälfte von den Aktivitäten nicht drängend ist und noch viel mehr gar nicht wichtig. Die zweite halbe Stunde habe ich so mit meinem Team, da war meine Türe offen, da kam immer irgendjemand mit einer Kaffeetasse oder mit einem Tee und wir haben da geplaudert und ich hatte einen sehr schönen Tagesstart mit meinem Team. Ein paar sitzen hier übrigens, das freut mich wahnsinnig, da geht mir mal das Herz auf. Dann habe ich in der Mittagspause – never lunch alone – ich bin immer mit jemand essen gegangen und habe den sprechen lassen. Das heißt, ich bin weg von meinen Fragestellungen und habe immer denjenigen kommen lassen. Hab wahnsinnig viel gelernt. Was passiert in der Firma? Habe genetzwerkt, hab meine Machtkonstruktionen bedient in dieser Mittagspause, aber ich habe nichts gemacht, was mein Tagesgeschäft ganz unmittelbar betrifft. Mittags um vier hatte ich meinen damaligen Lieblingsplatz, da bin ich spazieren gegangen. Das war noch vor der Pandemie. Das war zu Zeiten, wo wir noch physisch im Büro saßen. Und am Anfang wurde das wahnsinnig belächelt, dass die neue Vorständin jetzt mittags um vier immer spazieren gehen will. Und wer mit mir da sprechen wollte, muss halt Gummistiefel anziehen oder Sonnencreme auflegen, um mit mir mitzugehen. Es war aber sehr schnell dann der meistgebuchte Slot, wo eben Andrea, meine Assistentin, Wochen im Voraus den Termin schon vergeben hat und er war, by the way, auch noch einer der besten, um schwierige Gespräche zu führen. Weil wenn man nebeneinander her läuft, dann bewegt sich das Gehirn ganz anders und wir tun uns viel, viel leichter, mit schwierigen Situationen umzugehen. Dann hatte ich am Abend noch mal ein Abstandsritual. Bevor ich gegangen bin, habe ich drüber nachgedacht: Was ist mir gelungen, was hat mir heute Spaß gemacht? Weil wir sind alle so gut darin, alle die Probleme noch mit uns mitzunehmen, aber nicht unsere Erfolge und nicht die schönen Momente. Und es ist ganz, ganz wichtig, dass wir uns auch über die Erfolge und über die guten Momente gewahr werden. Und ich habe dann überlegt: Pkay, von den Themen, die am Morgen mir so wichtig erschienen, habe ich die alle abgedeckt oder muss ich vor morgen noch etwas mitnehmen? Hab’s aufgeschrieben. So, das ist ein Ritual, das können wir alle machen. Das nächste: Was habe ich gelernt? Dass die Konflikte, die ich hatte – und ich bin leider auch noch sehr konfliktfreudig. Ich hatte mannigfaltig Konflikte. Ja, ich bin ausgesprochen kämpferisch und habe am Anfang mir meine Zähne ganz schön ausgebissen im Kampf und hab dann irgendwann gelernt, dass die Konflikte, die ich hatte, ich würde mal sagen, 99 Prozent waren überhaupt keine, die mit mir als Person zu tun hatten, sondern die Konflikte waren eigentlich alles Rollenkonflikte. Und dann, an dem Tag, als mein Chef irgendwann mal gesagt hat: Heidi, nimm die Themen nicht persönlich, versetz dich jetzt mal in die Haltung des anderen. Warum hat der aus dem Controlling, warum piesackt er dich so bei deinem Budget? Der tut das nicht, weil er dir nicht vertraut oder weil er dich unfähig findet, sondern der macht das, weil es seine Rolle ist. Und Unternehmen sind um den Konflikt gebaut. Das ist anders als bei unseren privaten Beziehungen, die nicht um den Konflikt gebaut sind, aber bei denen der Konflikt nicht schädlich ist. Aber ein Unternehmen muss Konflikte haben, weil wir unterschiedliche Interessen haben. Einer, der ein Produkt gestaltet, hat ein anderes Interesse wie derjenige, der das Produkt am Markt platzieren soll. Das Marketing hat ein anderes Interesse wie das Controlling. Ich als Personalchefin habe ein anderes Interesse wie mein Finanzchef. Und diese Konflikte zu verstehen als was Wichtiges und diese Konflikte nicht zu meiden, sondern konstruktiv zu führen und sogar zu lieben, selbst wenn sie manchmal brutal anstrengend sind und auch nerven. Aber auch das Gefühl zu lieben, mal zu verlieren. Ja, jetzt bin ich schon so sozialisiert am Anfang: Gewinnen ist gut, argumentativ überzeugen ist brutal gut. Ich bin auch ziemlich gut im argumentativ überzeugen, das lernt man. Aber das ist alles Quatsch, weil es ist ganz wichtig, dass jeder von uns auch mal zwischendrin sagen kann: Okay, ich hab meine Meinung und die anderen folgen meiner Meinung nicht, aber ich habe sie eingebracht und dann akzeptiere ich, dass ich meine Meinung mal hinten anstelle und wir gemeinsam voranschreiten. Das habe ich lernen müssen. Das war nicht so, dass mir das gegeben war und leichtgefallen ist es mir auch nicht. Also Resilienz heißt, wir müssen uns intensiv mit uns selber auseinandersetzen. Ich habe lernen müssen, dass es zwar cool ist, kurzfristig zu gewinnen, aber das ist ehrlich gesagt Quatsch und sogar schädlich, schädlich manchmal für mein Unternehmen. Das Dritte, was ich gelernt habe, ist, meine Gefühle viel mehr in den Vordergrund zu stellen. Ich habe noch angefangen, weit vor euch. Die meisten von euch hier sind jünger. Vor 30 Jahren, da hat man mir gesagt, Gefühle haben in der Arbeitswelt nichts verloren. Hier geht es um Ratio. Jetzt sei doch mal nicht so emotional. Ich hatte genau das gleiche Problem. Ich konnte erhebliche Gefühle überhaupt nicht thematisieren. Mich haben bestimmte Situationen wahnsinnig umgetrieben. Ich habe die in die Nächte mitgenommen. Ich war schlaflos über viele Nächte, und erst sehr viel später, als ich mal auch mit einem Coach gearbeitet habe, habe ich festgestellt, dass das Scham ist, was mich umtreibt. Ich habe mich geschämt. Scham kann heute fast gar niemand benennen. Das ist uns aberzogen. Wenn man Führungskräfte heute fragt, welche Gefühle sie kennen bei der Arbeit, dann sagen die uns, was sagen die uns? Was glaubt ihr? Wut! Hallo! Männliche Führungskräfte sind sehr häufig wütend. Wut ist ein starkes Gefühl. Wut lässt uns uns stark fühlen. Wut ist nur leider sehr häufig ein sogenanntes Sekundärgefühl, weil da irgendwas anderes drunter liegt, was ganz schmerzvoll ist. Und ich war auch eine von der Sorte. Ich habe mich, wenn ich mich geschämt hab, wahnsinnig aufgeregt über alles und jeden, weil die Wut hat sich für mich viel besser angefühlt als die Scham. Und so ist es bei uns allen. Wir haben alle Gefühle, und vielleicht an der Stelle noch: Kennt jemand den Unterschied zwischen Gefühl und Emotion? Also wenn ihr was ganz toll findet, dann habt ihr ein Gefühl. Das ist etwas, was spontan ausgelöst wird über den Reiz, den ihr bekommt. Also, wenn ihr heute hier nach Hause geht und ihr fühlt euch ganz toll, das ist ein Gefühl, das entstanden ist über die Veranstaltung. Das verpufft aber wieder relativ schnell. Gefühle haben keine lange Halbwertzeit. Gefühle gehen irgendwann wieder weg. Wenn ihr jetzt ein Problem habt bei der Arbeit, das euch nachts beschäftigt, das euch über Tage beschäftigt, dann ist das kein Gefühl. Dann ist das eine Emotion. Und Emotionen sagen wahnsinnig viel über uns aus, weil sie tief verankerte Antworten sind auf Verhaltensmuster, Glaubenssätze, die irgendwann in der Vergangenheit in uns entstanden sind. Wenn wir also diese schmerzvollen Emotionen nicht haben wollen, dann müssen wir uns mit den Ursachen auseinandersetzen. Das heißt, wir müssen so was machen wie Persönlichkeitsentwicklung, wo wir uns selber ganz intensiv anschauen und drüber nachdenken. Interessant. Jetzt reagiere ich in der Situation so, und warum ist das denn so? Sich selber besser kennenlernen ist der beste Weg zur Resilienz. Ich war letzte Woche auch bei einem Podcast und hab da gesprochen und ich wurde gefragt, wie viel ich mich denn mit anderen verglichen hab und ob es nicht sehr gut war, sich immer mit anderen zu vergleichen. Und ich hab dann gesagt: Nee, es ist überhaupt nicht gut, sich mit anderen zu vergleichen. Ich habe in der Karriere mich eigentlich überwiegend mit mir selber beschäftigt, und das hat einen totalen Lacher ausgelöst. Und das sollte aber keinen Lacher auslösen, sondern wir sollten uns alle sehr, sehr intensiv mit uns selber beschäftigen! Und vor allem, wenn wir andere Menschen führen wollen, umso mehr sollten wir uns mit uns selber beschäftigen, uns viel mehr selber kennenlernen, lernen, unsere Gefühle zu regulieren, unsere Gefühle erst mal überhaupt zu verstehen, weil wenn wir unsere eigenen nicht regulieren können, wie wollen wir dann in Konflikten, die mannigfaltig auftreten in der Arbeitswelt, wie wollen wir dann um Himmels Willen Gefühle und Konflikte, die in größeren Gruppen sind, wie wollen wir die denn als Führungskraft handeln können? Und jetzt treten wir hier auf der Messe ja alle ein für Chancengerechtigkeit, für Vielfalt, für Chamber Equality. Ja, wir können als Frauen nur alle mit am Tisch sitzen, wenn wir lernen, unser Harmoniebedürfnis hintenan zu stellen und uns kennen zu lernen und in den Konflikten immer besser zu werden. Und das geht nur, wenn wir nicht zu Kursen gehen, zu Sachthemen. Meistens sind wir eh schon besser qualifiziert wie die Männer, die dann befördert werden, sondern wir sollten uns in unserer eigenen Entwicklung nicht so sehr mit den harten Themen auseinandersetzen, sondern viel, viel mehr mit den soften, mit mir als Persönlichkeit. Was macht mich aus? Was brauche ich? Warum reagiere ich in manchen Situationen so, selbst auf der Vorstandsebene? Ich habe zwei Kunden, die kamen ins Coaching, weil sie einen neuen Kollegen hatten, der hervorragend auf ihrer Klaviatur gespielt hat, die wussten ganz genau, welchen Knopf sie drücken müssen bei demjenigen, um den ins Off zu schießen. Das ist für einen Vorstand sehr, sehr schlecht, weil der macht seinen Punkt ja nicht mehr. Der kann auch seinen Beitrag gar nicht mehr leisten, wenn der andere hervorragend einfach nur immer auf den roten Knopf drückt bei demjenigen. Und dann macht es Puff! und dann denken wir nicht mehr vernünftig, dann sind wir auch nicht mehr souverän. Das heißt, mich treibt nicht mein erster Impuls Ja, jetzt sagt irgendwas jemand zu mir und mein erster Impuls ist der, mit dem platze ich sofort raus. Sondern souverän heißt: Ich kann mal kurz mich zurücklehnen und drüber nachdenken. Interessant. Ja, ich gehe nicht sofort in die Ich-Betroffenheitsperspektive, sondern überlege mal, was sagt denn eigentlich das, was er jetzt gerade gemacht hat, über ihn aus? Bevor ich in die Reaktion gehe. Wir sind aber alle so trainiert darauf, dass wir sofort reagieren. Das ist ein einziges Ping-Pong bei der Arbeit, die ganze Zeit, und wir müssen ja sehr schnell reagieren. Nein, das müssen wir nicht. Wir müssen besonnen reagieren und wir müssen souverän reagieren. Und das bedeutet manchmal, dass wir vielleicht erst einen Trick anwenden. Ja, es gibt so ein paar Tricks, um uns aus der ersten Impulsschlaufe rauszuholen. Und das ist zum Beispiel in meinem Fall: Ich bin Brillenträgerin, auf auf die Nähe bin ich blind wie ein Maulwurf. Und wenn ich in Meetings saß und jemand was gemacht hat, wo ich schon gemerkt habe, dass es ganz gewaltig hier ins Brodeln kommt und meine Kollegen haben das durchaus auch verstanden bei mir, dann habe ich meine Brille rausgeholt und habe erst mal in epischer Ruhe meine Brille geputzt. Und das hat mir die Zeit zu geben, mal durchzuschnaufen und mal zu überlegen: Moment. Nee, nee, nee, nee, wir bleiben nicht bei dir. Wir gehen erst mal zum anderen, weil was jemand tut und was jemand sagt zu dir, sagt über uns nichts aus. Das sagt nur über denjenigen etwas aus, der spricht. Wie wir dann reagieren, das sagt über uns was aus. Und wir können üben daran. Wir können in jedem Meeting, wenn ihr in ein Meeting geht, beim nächsten Mal mit jemand, der euch wahnsinnig auf den Keks geht, der euch in den Wahnsinn treibt und wo ihr auch in die Tischkante beißen wollt, weil ihr mit dem zu tun habt. Könnt ihr im Vorfeld in der Haltung gehen und sagen: Das ist ein Entwicklungsgeschenk, der Kerl ist heute mein Entwicklungsgeschenk, oder die Frau ist heute mein Entwicklungsgeschenk. Und nicht: Oh Gott, der Vollidiot! Jetzt muss ich schon wieder da rein. Wenn wir in der Haltung reingehen – oh mein Gott, dieser Schwachmat! – ja, dann wird’s furchtbar. Wenn wir da reingehen und denken: Interessant. Ja. Jetzt beobachte ich mich mal selbst. Und ich gehe da rein und denke: Ja, der triggert mich immer. So, jetzt übe ich heute mal, den nicht so blöd zu finden, sondern irgendwo kann er ja was, weil sonst wäre er nicht da. Jetzt versuche ich heute mal, da reinzugehen und viel cooler zu sein und im Zweifel fünfmal meine Brille zu putzen. Oder wie ein anderer Kollege von mir es gemacht hat, der ist bei jedem Wetter aufgestanden und hat immer das Fenster geöffnet, egal, ob es draußen geschneit oder gerade geregnet hat. Das war sein Mechanismus, sich selber aus seiner Reaktionsschleife rauszuholen. Und geht in das nächste Thema mit den Schwachmaten, mit denen, die euch auf den Keks gehen, die euch in den Wahnsinn treiben, mit einer anderen Haltung und überlegt mal, was erzählt der zu Hause eigentlich seiner Frau? Oder was erzählt der eigentlich über mich? Und dann stellt ihr sehr schnell fest, dass er wahrscheinlich einfach nur seine Jobinteressen, die ihm auch als Rolle mitgegeben sind, vertritt, und dass er vielleicht andere Triggerpunkte hat, auf die ihr drückt. Und wenn wir das können, wenn wir sehr viel in unser Gegenüber reinlesen können, werden wir nicht nur viel mächtiger, weil wir dann sehr viele Konflikte erst gar nicht austragen können, weil wir sie im Vorfeld schon vermeiden können, sondern wir führen uns auch zu weit weniger Aufgeriebenheit. Und das ist das Ziel. Das Ziel ist es, souveräner zu werden mit weit weniger grauen Haaren und sonstigen Körperreaktionen. Ihr könnt euch mal beobachten, Reiz-Reaktions-Schlaufen, wie die bei euch ablaufen. Also ich und mein Mann, wir sind 35 Jahre zusammen. Bei uns laufen seit 35 Jahren ziemliche Schlüsselthemen ab. Die haben wir ja nicht nur in unserer privaten Beziehung, sondern die haben wir auch bei der Arbeit. Da drückt jemand drauf bei uns, das ist ein Reiz, der reinkommt. Dann habe ich eine Interpretation und diese Interpretation löst bei mir Gefühle aus, Gedanken und sogar Körperreaktionen. Diese Körperreaktion kennt ihr auch. Was sind Körperreaktionen, wenn wir gestresst sind? Wir schwitzen, wir schwitzen. Was noch? Was können wir bei anderen beobachten? Wir können das alles sehen: hektische Flecken. Wir können ganz viele Körperreaktionen sehen, die nicht andere machen, weil wir machen unsere Gefühle selbst! Die anderen machen nicht unsere Gefühle, sondern die Interpretation dessen macht unser Gefühl. Und wenn wir anfangen, drüber nachzudenken, erst mal in das Gegenüber reinzugehen, schaffen wir es, eine andere Interpretation zu generieren. Das macht uns andere Gefühle und es macht uns die ganzen schlimmen Körperreaktionen wie Schlaflosigkeit, Wut, hektische Flecken, dann können wir drauf verzichten und es stellt sich gar nicht mehr ein. Das heißt: Übt! Raus mit euch, stürzt euch in die Konflikte, stürzt euch auf die Leute, die ihr nicht leiden könnt, stürzt euch auf die Leute, die euch triggern und nehmt es als Geschenk! Wenn man mit so einer Haltung hingeht, erträgt man es von vornherein viel, viel lässiger und man bleibt souverän. Und genau das ist das, was ich euch wünsche. Wenig Aufgeriebenheit und ganz, ganz viel Souveränität, um die Jungs ganz gewaltig aufzumischen.