„Geh doch zur Polizei“: Bei sexueller Gewalt ist das leichter gesagt als getan. Nur eine von zehn Vergewaltigungen wird überhaupt angezeigt. Warum so viele Vergewaltigungen nicht angezeigt werden, darüber schreiben Johanna Dürrholz und Franziska Pröll in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Angela Wagner vom Frauennotruf Frankfurt hört von vielen betroffenen Frauen: „Ich steh das nicht durch.“ Manchmal hinderten Schuldgefühle sie daran, Anzeige zu erstatten – weil sie „unvorsichtig gewesen“ waren oder „sich nicht gewehrt“ hätten –, oder sie wollten nicht vor Gericht von intimen Erfahrungen berichten müssen bzw. hofften das Erlebte zu vergessen, statt immer wieder damit konfrontiert zu werden. Fehlende Beweise, die demütigende Aussicht auf Misserfolg können hinzukommen, oder Angst vor dem Täter. Laut BKA stehen sich in den meisten Fällen Täter und Opfer nahe, und eine Anzeige hätte gravierende Folgen: nicht nur für die beiden Beteiligten, sondern auch für Freunde und Familie.

Wenn die Frau sich trotzdem zu einer Anzeige durchringt, führt das keineswegs immer zu einem Strafverfahren. Oft erhebt die Staatsanwaltschaft keine Anklage, weil kein „hinreichender Tatverdacht“ vorliegt.

Bis es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, vergehen oft viele Monate. Wer etwas so Belastendes wie eine Vergewaltigung erlebt hat, gewinnt in dieser Zeit meist einen gewissen inneren Abstand. „Wenn dann plötzlich das Gerichtsschreiben im Briefkasten liegt, sei das für viele ein Schock.“

Laut Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht, möchten viele Strafverteidiger:innen keine Angeklagten in Vergewaltigungsprozessen vertreten, weil diese Verfahren „praktisch zwingend damit verbunden sind, die Glaubwürdigkeit der mutmaßlichen Opfer von Sexualstraftaten infrage zu stellen.“

Die Anwältin Christina Clemm, Autorin des Buches „Gegen Frauenhass“, fordert deshalb, die juristisch gängige Definition von einvernehmlichem Sex zu hinterfragen. Zwar gilt seit 2016 im deutschen Sexualstrafrecht: „Nein heißt Nein“ – es reicht, dass die Betroffene keinen Sex wollte und das für den Täter ersichtlich war. Wenn die Frau, womöglich in einer Schockstarre, nicht „Nein“ vermittelt, dürfe aber niemand einfach davon ausgehen, dass sie zustimmt.

Besonders wenn objektive Beweismittel fehlen, ist vor Gericht die Aussage des Opfers zentral. Können Zweifel an der Glaubwürdigkeit nicht ausgeräumt werden, muss der Angeklagte freigesprochen werden. Singelnstein sieht hier die Grenzen des Strafrechts und plädiert dafür, die Gesellschaft in den Blick zu nehmen. „Wir leben in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft, in der es ein Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen gibt, das sich auch in Sexualstraftaten ausdrückt.“

Angela Wagner möchte dennoch den Frauen, die eine Vergewaltigung nicht auf sich beruhen lassen wollen, dabei helfen, sich über die eigenen Ängste und die Vorbehalte anderer hinwegzusetzen. Sie sagt: „Jede Frau, die Anzeige erstattet, hat meine größte Hochachtung.“

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Ein Beitrag von herCAREER, 
veröffentlicht bei LinkedIn 25.03.2024