Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) bringt frischen Schwung für den Wandel zu mehr Diversität & Inklusion in der Arbeitswelt: Bereits ab 2025 müssen über 15.000 Unternehmen in Deutschland konkrete Zielgrößen und Fristen für den Anteil von Frauen in Führungsebenen und weiterer dort unterrepräsentierter Gruppen definieren. Und: Sie müssen darlegen, was genau sie gegen Ungleichheiten wie z.B. den Gender Pay Gap tun und wie sie Vielfalt und ein inklusives Umfeld fördern.
Wie aber gelingt dieser Kulturwandel in Unternehmen, in denen noch immer zumeist die Männer das Sagen haben? Von denen viele mit dem Thema Diversität fremdeln und sich der eigenen Privilegien oft gar nicht bewusst sind?
Im Interview zeigt Anne Tischer, Gründerin und Geschäftsführerin Karma she said GmbH und Gründerin und Vorsitzende FRAUEN !N FÜHRUNG (F!F) e.V., auf, wie es funktionieren kann, Männer zu aktivieren und als starke Unterstützer für den Weg zu mehr Diversität & Inklusion zu gewinnen.
„Ich erlebe in den Unternehmen immer wieder, dass Kulturwandel keine Chance hat, wenn die Männer nicht an Bord sind.“
herCAREER: Von wem wurde die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) geschaffen, für wen (welche Unternehmen) gilt sie und wie verbindlich ist sie?
Anne Tischer: Die CSRD ist eine EU-weit verpflichtende Nachhaltigkeitsrichtlinie für alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden und einer Bilanzsummer von mindestens 20 Mio. Euro im Jahr oder einem Jahresumsatz von mindestens 40 Mio. Euro. In Deutschland sind über 15.000 Unternehmen berichtspflichtig – und zwar ab 2026 für das Jahr 2025. Für große kapitalmarktorientierte Unternehmen gilt die CSRD bereits ab 2024.
herCAREER: Inwiefern spielen die Männer eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung von Diversität und Inklusion? Resultiert diese Erkenntnis aus konkreten Erfahrungen bei deiner Beratungstätigkeit mit Karma she said?
Anne Tischer: Ja, absolut. Ich erlebe in den Unternehmen immer wieder, dass Kulturwandel keine Chance hat, wenn die Männer nicht an Bord sind. Nicht nur, weil sie im Schnitt die Hälfte der Belegschaft sind, sondern auch weil sie die Mehrzahl der Führungskräfte darstellen und damit besonders einflussreich, sichtbar und meinungsbildend innerhalb der Organisation agieren. Deshalb ist es so wichtig, sie aktiv einzubeziehen und – um mal ein Bild aus dem Sport zu bemühen – sie von stillen Beobachtern an der Seitenlinie in die Mitte des Spielfelds zu holen.
Konkret heißt das: Bei allen Formaten, in denen über Diversität & Inklusion im Unternehmen gesprochen wird sowie Feedback eingeholt und Ideen und Maßnahmen für die Umsetzung entwickelt werden, müssen Männer dabei sein und sich aktiv einbringen. Z.B. bei Workshops, Bereichs- und Führungskräfte-Meetings, Umfragen und Veranstaltungen.
herCAREER: Wie kann es gelingen, die Männer mit ins Boot zu holen, so dass sie auf dem Weg zu mehr Diversität zu Allies werden? Welche Stolpersteine gilt es dabei zu vermeiden?
Anne Tischer: Es gelingt in dem Moment, in dem Männer verstehen, was Diversität, Inklusion, Gleichberechtigung – für viele erst mal relativ abstrakt klingende Begriffe – mit ihnen selbst zu tun haben. Dass es nicht darum geht, ihnen etwas wegzunehmen oder sie als „alter weißer Mann“ zu kritisieren, sondern dass sie im Gegenteil viel dazugewinnen: ein Umfeld z.B., in dem sie nicht den Druck spüren, jederzeit den starken Macher-Typen spielen oder gesellschaftlichen Erwartungen an Erfolg, Karriere, Status entsprechen zu müssen. Weniger Ego-Gerangel im Umgang, mehr wertschätzende, lösungsorientierte Kommunikation. Horizonterweiterung und bessere Entscheidungen durch unterschiedliche Perspektiven am Tisch. Und ganz wichtig auch für Männer: zeitliche Flexibilität, beruflich und privat erfüllt zu sein und Verantwortung zu übernehmen – als aktive Väter, Partner, bei der Pflege der Eltern –, Zeit für ein Ehrenamt oder eigene Interessen.
Die Sehnsucht der Männer, über ihre Wünsche und Bedürfnisse in Bezug auf Job, Privatleben, Führungskultur, gesellschaftliche Veränderung zu sprechen, ist groß. Auch weil es dazu bisher zu wenig Gelegenheiten in Unternehmen gibt. Ein guter Weg ist, Räume für Dialog und Austausch aufzumachen, z.B. in Workshops, Treffen oder Veranstaltungen. Ich beobachte oft, wie das, was dort von den Teilnehmenden offen ausgesprochen wird, eine ganz besondere Energie erzeugt und die Mitarbeitenden bereichs- und hierarchieübergreifend näher zusammenbringt, weil sie auf menschlicher Ebene ein Verständnis füreinander entwickeln können. Eine tolle Basis, um im nächsten Schritt gemeinsam Ideen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und in die Umsetzung zu bringen.
Neben meiner Beratungsarbeit in den Unternehmen haben wir die Idee, die Männer ins Boot zu holen, auch mit der Male-Ally-Kampagne von FRAUEN !N FÜHRUNG erfolgreich umgesetzt. Über 40 Männer erzählen in persönlichen Interviews, warum sie sich für gemischte Führungsteams, geteilte Care-Arbeit und Chancengleichheit einsetzen. In einem Workshop haben die Teilnehmer der Kampagne 18 praktische Tipps erarbeitet, wie sich jeder Mann im Job, als Führungskraft, privat und gesellschaftlich dafür einsetzen kann. Viele gute Ideen und Impulse für alle Männer – und eine Anregung, die eigene Haltung zu reflektieren und vielleicht sich auch selbst in die Diskussion einzumischen und zu positionieren. Denn Veränderung geht nur gemeinsam!
herCAREER: Bei herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartner:innen aufsetzt. Zu welchen Themen kannst Du als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?
- Gleichberechtigung in der Arbeitswelt
- Frauen in Führung, Netzwerke
- Karriere und Karriereplanung
- Kulturtransformation
- Male Allies
- Diversität & Inklusion
- Mentoring
herCAREER: Würdest Du auch als Mentor:in bei herCAREER fungieren? Welche Frau würdest Du dir als Mentee wünschen?
Anne Tischer: Jede Frau, die gute Tipps und viel praktische Erfahrung mit dem Umschiffen von Hürden in der Arbeitswelt sucht und sich Ermutigung, Sparring und Zugang zu einem großen Netzwerk wünscht, um den für sich passenden Berufsweg zu finden und zu gehen.
Zur Kontaktaufnahme bitte die von der Interviewpartner:in angegebenen Möglichkeiten nutzen und sich auf das Interview bei herCAREER-Learn & Connect beziehen.
Über die Person
Anne Tischer, geboren 1978 in Ost-Berlin, ist Changemakerin, Unternehmerin, Speakerin und Mutter. Ihre Mission: eine menschlichere und inklusive Arbeitswelt durch mehr Frauen und mehr Vielfalt in den Führungsebenen der Unternehmen. Mit ihrem Beratungsunternehmen Karma she said GmbH hilft sie Organisationen dabei, mit gemischt besetzten Führungsteams und einer attraktiven Unternehmenskultur relevant, performant und zukunftsfähig zu bleiben. Außerdem ist Anne Initiatorin und Vorsitzende des 2019 gegründeten Vereins FRAUEN !N FÜHRUNG (F!F) e.V. unter der Schirmherrschaft von Bundesbauministerin Klara Geywitz, der sich für mehr Frauen in den Führungspositionen der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft einsetzt. Anne war über 15 Jahre als Pressesprecherin und Marketingexpertin in Immobilienkonzernen sowie in Politik und Stiftungen tätig. Sie ist Jurymitglied des Next-Gen-Netzwerks MAT (Top 30 unter 30 der Immobilienbranche) und des PropTech Germany Award 2024 – und eine der profiliertesten Stimmen für Diversität und Frauen in Führung in der Immobilienbranche.
Dieses Interview bezieht sich auf ein MeetUp der herCAREER Expo 2024, Ort und Zeitpunkt finden Sie im Programm.