Ob es ein Teilzeit-Vertrag ist, das Sabbatical oder der achtsame Umgang mit der Freizeit: Wer auf die Work-Life-Balance achtet, muss seine Prioritäten gut kennen – und klar kommunizieren. Doch das ist nicht immer einfach. Gerade in der Beratung gibt es Herausforderungen, die Arbeitnehmer:innen beachten sollten. Xenia Polikhovskaja kennt die wichtigsten Dos und Don‘ts und erklärt, wie eine Ausgeglichenheit zwischen Arbeitszeit und Freizeit gelingt.
„Wir stellen die Arbeit oft vor alles andere“
herCAREER: Eine ausgewogene Work-Life-Balance wird in Zeiten von New Work immer wichtiger. Doch gerade im Consulting ist das nicht immer leicht: Kunden warten, Projekte drängen. Welche Herausforderungen gibt es – und wie können Frauen, die in diese Branche wollen, damit umgehen?
Xenia Polikhovskaja: Erst mal vorab: Das Wort „Work-Life-Balance“ finde ich eigentlich gar nicht optimal. Denn sobald man anfängt, Work und Life zu trennen, ist das ungesund. Die Arbeit gehört zu unserem täglichen Leben dazu und wir sollten den Beruf und den Arbeitgeber wählen, mit denen wir uns identifizieren können. Wir sollten uns einen Job aussuchen, der Spaß macht. Denn wenn man in und mit seiner Arbeit unzufrieden ist, kann man an der Work-Life-Balance drehen so viel man will, man wird auf Dauer nicht glücklich. Bei der Work-Life-Balance geht es für mich um einen gesunden Ausgleich zwischen Arbeitszeit und Freizeit. In der Beratung ist es besonders wichtig, selbst auf diesen Ausgleich zu achten, da es normalerweise kein klassischer „Nine-to-five-Job“ ist. Aber auch die teilweise langen Arbeitszeiten, Deadlines oder der intensive Projektalltag schließen eine ausgewogene Work-Life-Balance nicht aus. Wichtig ist dafür, dass man seine eigenen Prioritäten genau kennt: Möchte ich schnellstmöglich viel Geld verdienen? Mehr Verantwortung übernehmen und Karriere machen? Möchte ich viel reisen? Möchte ich Sport treiben? Ist mir die Familie am wichtigsten? Je nach Priorität muss aber auch klar sein, dass alles andere erst danach kommt. Wer eine steile Karriere machen will und möglichst viel verdienen möchte, schafft das sicher nicht mit einem 20-Stunden-Vertrag. Und wer seine Freizeit oder Familie priorisiert, wird teilweise in einer anderen Rolle oder mit anderen Projektaufgaben eingesetzt als jemand, der Vollzeit arbeitet. Ich sollte mir also klar darüber sein, was ich gerade leisten kann und möchte.
herCAREER: Ganz konkret: Wie können Arbeitnehmer:innen eine ausgewogene Work-Life-Balance leben, wenn das Thema im Unternehmen vielleicht noch gar nicht so eine große Rolle spielt?
Xenia Polikhovskaja: Nehmen Sie das Thema einfach selbst in die Hand. Projektleiter:innen und Teamleads sind oft selbst zu sehr beschäftigt, um sich nach Ihrer Work-Life-Balance zu erkundigen. Also trauen Sie sich, zu fragen. Wer ein Sabbatical machen möchte, einen zehnwöchigen Yogakurs am Nachmittag oder seine Arbeitszeit reduzieren will, sollte das seinem Arbeitgeber gegenüber offen kommunizieren – und gut vorbereitet, mit verschiedenen Optionen im Kopf, in das Gespräch gehen. Es geht oft eben nicht nur um das „Ob“ und eine „Ja-oder-nein“-Entscheidung, sondern vielmehr um die mögliche Ausgestaltung und das „Wie“. Vielleicht ist dem oder der Vorgesetzten das gewünschte Sabbatical zu lang oder der freie Tag wäre freitags besser als montags: Wer auf die verschiedenen Szenarien vorbereitet ist, kann sich im Vorhinein überlegen, wo er oder sie verhandlungsbereit ist und wo eben nicht. Insbesondere bei längeren Abwesenheiten oder größeren Vertragsänderungen macht es Sinn, den Arbeitgeber frühzeitig zu informieren, damit dieser besser für Vertretung oder zeitige Übergaben sorgen kann. Und auch im normalen Arbeitsalltag hilft es, Abwesenheiten oder Prioritäten klar im Team zu kommunizieren und dafür einzustehen. Blocken Sie sich auch längere Mittagszeiten oder Abendkurse direkt im Kalender und nehmen Sie diese wahr. Lernen Sie, Nein zu sagen. Meistens erlaubt es auch die termingebundene Projektarbeit unter der Woche, mal früher zu gehen. An dieser Stelle ist ein gutes Zeit- und Selbstmanagement wichtig. Sie sollten Ihr Arbeitspensum kennen und insbesondere an kurzen Tagen fokussierter und konzentrierter arbeiten können. Und wenn Sie gerade mitten in einer heißen Projektphase stecken und sehr viel Arbeit haben, dann hilft es zu wissen, dass es nur eine Phase ist, und auch zu akzeptieren, dass man heute mal länger am Schreibtisch sitzt. Oder Sie gehen trotzdem abends zur gewohnten Zeit zum Sport und starten dafür am nächsten Tag früher. Eine gewisse Flexibilität hilft sehr, die Work-Life-Balance zu erhalten und trotzdem der Verantwortung im Job oder im Team gerecht zu werden. Es sollte nur nicht zur Gewohnheit werden, jegliche spät angesetzten Meetings und neue dringende To-dos immer gegenüber seinen privaten Plänen zu priorisieren. Und wenn Ihnen die Work-Life-Balance sehr wichtig ist, suchen Sie sich einen Arbeitgeber, der flexible Arbeitszeitmodelle unterstützt und dem das langfristige Wohlergehen der Mitarbeiter:innen wichtig ist. Wenn es in Ihrem Unternehmen noch nicht etabliert ist, könnten Sie auch selbst Pionier:in bei diesem Thema sein und an der Gestaltung mitwirken. Ventum hat neben anderen Angeboten seit diesem Jahr auch ein Programm „Health & Wellbeing“ ins Leben gerufen, bei dem es um die mentale und physische Gesundheit am Arbeitsplatz geht – initiiert von unseren Kolleg:innen.
herCAREER: Welches sind die größten Fehler, die Arbeitnehmer:innen in Sachen Work-Life-Balance machen – und was ist Dein Rat?
Xenia Polikhovskaja: Gerade Frauen tun sich oft schwerer, Nein zu sagen oder offen zu kommunizieren, dass sie mal früher wegmüssen. Das sollten sie aber. Denn das Gegenüber kann das sonst gar nicht wissen. Es gibt Kund:innen oder Kolleg:innen, die für den späten Nachmittag angesetzte Meetings gerne überziehen. Und wenn niemand etwas dagegen sagt, gehen sie davon aus, dass das für alle in Ordnung ist. Meistens ist die Reaktion, wenn wir zugeben, dass wir heute früher gehen wollen, viel positiver als wir denken. Und wer sich traut, ist vielleicht auch ein Vorbild für die anderen.
Wir stellen die Arbeit oft vor alles andere. Meistens passiert aber überhaupt nichts, wenn wir mal früher gehen und die anstehende Aufgabe erst am nächsten Morgen erledigen. Aber diese Entscheidung sollte man bewusst und achtsam treffen, natürlich auch unter Berücksichtigung der eigenen Projekt- und Teamverantwortung. Und wenn man entschieden hat, dass private Themen – seien es die Familie, Sport oder soziales Engagement – heute Abend Priorität haben und nicht im Konflikt zur aktuellen Aufgabe stehen, sollte man es auch ohne ein schlechtes Gewissen durchziehen, statt es nicht zu tun und sich dann zu ärgern, dass man immer noch am Schreibtisch sitzt.
Um kraftvoller in den Tag zu starten, kann es helfen, sich ein paar kleine Rituale in die Morgenroutine einzubauen, statt sich im Homeoffice direkt mit der ersten Tasse Kaffee an den Laptop zu setzen. Wer morgens länger braucht, weil er noch Yoga machen oder ausgiebig und gesund frühstücken möchte, sollte sich diese Zeit nehmen. So startet man mit einer ganz anderen Energie in den Arbeitstag.
Ein Fehler, den auch viele machen, ist es, ihre Freizeit zwar mit vielen Aktivitäten zu verplanen, aber sie nicht bewusst zum Auftanken zu nutzen. Suchen Sie sich Hobbys, die Ihnen wirklich Energie zurückgeben – Bewegung in der Natur, den Blick mal in die Ferne richten, Tanzen, Sport, das ist bei jedem von uns was anderes.
Und zuletzt: Oft nehmen wir unbewusst an, dass Entscheidungen – egal ob es ein Sabbatical, ein Teilzeitvertrag oder etwas anderes ist – für die Ewigkeit getroffen werden. Meistens ist das aber gar nicht so. Wir verändern uns – und genauso ändern sich unsere Prioritäten und damit auch die Work-Life-Balance immer wieder in der beruflichen Laufbahn. Und wir haben die Möglichkeit, uns immer wieder neu zu entscheiden. Wir sollten nur offen dafür sein.
herCAREER: Bei herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartner:innen aufsetzt. Zu welchen Themen kannst Du im Vorfeld / auf der Messe / im Nachgang als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?
- Female Leadership
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- Female Leadership
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Xenia Polikhovskaja: Frauen, die innerlich für bestimmte Themen brennen, die Lust haben, einen aktiven Beitrag zu leisten, die den Mut haben, sich selbst und die Arbeitswelt um sich herum kontinuierlich weiterzuentwickeln und mitzugestalten.
Zur Kontaktaufnahme bitte die, von der Interviewpartner:in angegebenen, Möglichkeiten nutzen und sich auf das Interview bei herCAREER-Learn & Connect beziehen.
Über die Person
Xenia Polikhovskaja ist Senior Manager bei Ventum Consulting und seit über 10 Jahren dort als Beraterin für (IT-)Projektmanagement tätig. Ihre internationale Projekt- und Teamführungserfahrung hat sie bei namhaften Kunden im Automotive- sowie Healthcare-Sektor gesammelt. Mit ihrem interdisziplinären Verständnis für (IT-)Prozesse, Unternehmensstrukturen und -kulturen berät sie Großunternehmen in den Bereichen Planung, Steuerung, Organisation sowie Change Management. Sie brennt für Themen rund um Menschen, Teams und Organisationen in Veränderungsprozessen. Bereits zwei Mal hat sie ein mehrmonatiges Sabbatical genommen und ist in dieser Zeit um die Welt gereist, unter anderem nach Argentinien, Sri Lanka und Guatemala. Letzten Sommer hat sie die Zeit unter anderem dafür genutzt, als Childcare Volunteer in Ghana, Westafrika, zu arbeiten.